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Während die einen umfassend in der digitalen Welt angekommen sind, machen andere einen Riesenbogen um sie. Manche wollen an dem teilhaben, was im Internet geschieht, können aber nicht; andere wiederum könnten, wollen aber partout nicht. So unterschiedlich zeigen sich aktuell die digitalen Lebenswelten der über 60-Jährigen in Deutschland. Das hat die bundesweit repräsentative DIVSI Ü60-Studie ergeben, die in Zusammenarbeit mit dem renommierten SINUS-Institut entstand und im November 2016 veröffentlicht wurde.
Das Internet wird in den Augen der über 60-Jährigen immer wichtiger. 44 Prozent von ihnen halten es gar für die beste Erfindung, die es je gab. 38 Prozent möchten an dem teilhaben, was im Netz geschieht. Dieser Wert ist seit 2012 um 11 Prozentpunkte gestiegen. Doch während der Wunsch nach digitaler Teilhabe steigt und 52 Prozent der über 60-Jährigen bereits online sind (knapp ein Viertel sogar täglich), gehen gleichzeitig 48 Prozent – und damit rund 10 Millionen Menschen in Deutschland – nie ins Internet. Bei ihnen ist die Distanz zur digitalen Welt in den letzten vier Jahren sogar noch größer geworden. Soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Alltag wird für sie immer schwieriger, je mehr Dinge nur noch online zu erledigen sind.
Übersicht: Die Grafik zu den Internet-Milieus Ü60 macht deutlich, wie unterschiedlich in dieser Altersgruppe die digitalen Interessen vertreten sind. (Bild: DIVSI Ü60-Studie)
Der souveräne Umgang mit digitalen Medien und dem Internet bekommt eine immer wichtigere Rolle, wenn es um die Frage nach Chancengerechtigkeit in einer Gesellschaft geht. Digitale Teilhabe bedeutet gleichzeitig auch soziale Teilhabe.
Dr. Silke Borgstedt, bei SINUS verantwortlich für die Studie: „Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass digitale Teilhabe mehr bedeutet als die Verfügbarkeit eines Online-Zugangs. Sie ist mit der tatsächlichen Nutzung digitaler Medien und Angebote und spezifischen Kompetenzen, aber auch einer generell aufgeschlossenen Haltung zu Fragen der Digitalisierung verbunden. Ebenso spielt ein Mindestmaß an selbst zugeschriebener Souveränität im Umgang mit Risiken und Unsicherheiten im Internet eine Rolle. Wie sich dieses Konglomerat an Teilhabevoraussetzungen in der Realität tatsächlich ausprägt, zeigen die DIVSI Internet-Milieus auf besonders anschauliche Weise: Sie machen deutlich, dass in den verschiedenen digitalen Lebenswelten jeweils unterschiedliche Treiber und Hürden den Weg in die digitale Welt erleichtern bzw. erschweren.“
Von den mehr als 11 Millionen (52 Prozent) Onlinern unter den über 60-Jährigen sind etwa 3,1 Millionen (15 Prozent) souveräne Intensiv-Nutzer. Sie stehen der sog. „digitalen Avantgarde“ im Hinblick auf Online-Kompetenz in nichts nach. Für sie ist das Internet eine selbstverständliche Infrastruktur im Lebensalltag, und der digitale Lebensstil dient ihnen als Abgrenzung von Gleichaltrigen. Sie brauchen weder Hilfe noch „seniorengerechte“ Digitalangebote und lehnen diese sogar strikt ab. Die Digitalisierung begreifen sie als Schlüsselressource für die Zukunft unserer Gesellschaft. Dies sehen auch viele Gelegenheitsnutzer und sogar Offliner so. Letztere sind zwar nicht selbst im Netz aktiv, werden aber zuweilen zu „Passiv-Onlinern“, indem sie Dinge im Netz von anderen erledigen lassen.
Viele Ältere halten sich für weniger kompetent im Umgang mit dem Internet als jüngere Menschen. Wenn man sich aber ihr Online-Verhalten ansieht, ist das häufig gar nicht der Fall. Jeder vierte über 60-Jährige besitzt mittlerweile ein Smartphone. Dieser Anteil ist in den letzten vier Jahren von 4 Prozent auf 24 Prozent gestiegen und hat sich damit versechsfacht. Für 77 Prozent derjenigen, die das mobile Internet nutzen, sind insbesondere Messenger-Dienste attraktiv – vor allem, weil sie es ermöglichen oder zumindest vereinfachen, mit Freunden in Kontakt zu bleiben.
Großen Einfluss auf das Internet-Nutzungsverhalten der über 60-Jährigen und ihre Einstellungen zum Internet haben Alter und berufliche Tätigkeit. Mit zunehmendem Alter nimmt der Anteil der Offliner rapide zu. Während unter den 60- bis 69-Jährigen lediglich 17 Prozent noch zu den Offlinern zählen, sind es bei den Personen, die die 70-Jahre-Marke erreicht bzw. überschritten haben, alarmierende 83 Prozent. Die häufigsten Gründe, warum Menschen über 60 offline bleiben: Sie fühlen sich von der Komplexität des Internets überfordert oder sehen schlicht keinen (persönlichen) Nutzen darin. Vor allem aber hemmen Sicherheitsbedenken sowie die Sorge, Risiken hilflos ausgesetzt zu sein, die Internetnutzung.
Hürden gibt es jedoch nicht nur für Offliner, sondern auch für die, die regelmäßig online sind. Sie zeigen ebenfalls Unsicherheiten im Umgang mit dem Internet und sehen in Online-Angeboten Risiken, denen sie nicht immer souverän begegnen können. Viele sind auf Hilfe Dritter angewiesen und suchen diese aktiv auf, indem sie z.B. bestimmte Angebote nur mit Unterstützung von (meist jüngeren) Familienmitgliedern nutzen. Die Studie zeigt ferner, dass die über 60-Jährigen großen Wert auf die Bewahrung ihrer Privatsphäre im Internet legen. Zwar sind Social-Media-Angebote ein wichtiger Treiber der Internetnutzung, gleichzeitig jedoch existieren große Vorbehalte gegen die Veröffentlichung persönlicher Daten. Dr. Silke Borgstedt: „Die über 60-Jährigen haben unterschiedliche Strategien und Verhaltensweisen entwickelt, um die Herausforderungen im Internet zu meistern. So nutzen sie beispielsweise keine Angebote, die ihnen zu unsicher erscheinen. Allen Services, bei denen es um das eigene Geld oder persönliche Daten geht, begegnen sie besonders skeptisch. Und: Sie verzichten eher als die Gesamtbevölkerung komplett auf bestimmte Dienste aufgrund von Sicherheitsbedenken.“
Die Gemengelage aus Teilhabewunsch und Unsicherheit wirkt sich auch auf die Zuschreibung der Verantwortung für Sicherheit im Internet aus. 59 Prozent der über 60-Jährigen betonen die Eigenverantwortung der Nutzer im Umgang mit dem Internet. Weil die Zweifel daran, wie weit jeder Einzelne dazu überhaupt imstande sei, groß sind, adressieren sie auch Staat und Unternehmen. 85 der Befragten über 60 Jahre sehen die Unternehmen in der Pflicht, für mehr Sicherheit im Netz zu sorgen. 71 Prozent fordern, dass der Staat mehr Verantwortung übernehmen müsse. Gleichzeitig glauben die Onliner unter den über 60-Jährigen nicht, dass sich das Internet vollständig kontrollieren und sichern lässt. Vor allem aber betonen sie, dass die Freiheit im Netz nicht zugunsten von mehr Kontrolle eingeschränkt werden sollte.
Im Hinblick auf Einstellungen zu Vertrauen und Sicherheit im Internet und den übergeordneten Teilhabewunsch ist die grundlegende Werthaltung der Menschen maßgeblich. Die digitalen Lebenswelten der über 60-Jährigen sind ähnlich vielfältig wie bei jüngeren Altersgruppen. Dabei gibt es eine mit 38 Prozent große Gruppe von Menschen, die gern mehr online unternehmen würden, als sie es bisher tun – teils aus Sicherheitsbedenken, teils aus selbst zugeschriebener geringer Internetkompetenz. Sie sehen den digitalen Wandel als Chance für die
Zukunft, wissen aber nicht, ob sie umfassend teilhaben können oder angesichts bestehender Bedenken und Unsicherheiten wollen.
An ihnen wird sich in den nächsten Jahren entscheiden, ob es gelingt, auf die Bedürfnisse von Menschen mit Teilhabewunsch und -anspruch auch entsprechend eingehen zu können.