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Die Mühen haben sich gelohnt – DIVSI Entscheider-Studie: Basis für interdisziplinäre Diskussionen

14. Januar 2013

Von Matthias Kammer

Hamburg – Wer steckt hinter dem Internet? Wer sind die Entscheider, Macher und Beobachter? Welche Einflussmöglichkeiten haben diese Akteure, wie schätzen sie die Nutzer ein, was sagen sie zu Sicherheits- und Freiheitsbedürfnissen? Die aktuelle DIVSI Entscheider-Studie, bundesweit repräsentativ und wissenschaftlich untermauert, hatte einen umfangreichen Punktekatalog abzuarbeiten.

Die Mühen haben sich gelohnt. Die neue Untersuchung, wiederum durch das renommierte Heidelberger SINUS-Institut realisiert, beantwortet nämlich nicht nur alle aufgeworfenen Fragen. Sie füllt darüber hinaus eine Lücke, die voraus gegangene Studien gelassen haben.

Motivationen und Einstellungen der in Deutschland lebenden Bevölkerung in ihrem Verhältnis zum Internet sind spätestens seit der „DIVSI Milieu-Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet“ bekannt. Dargelegt ist dort auch, welche Erwartungen die Menschen hinsichtlich Sicherheit und Datenschutz haben.

Aber auch unsere Untersuchung betrachtete den fortschreitenden Digitalisierungsprozess – wie fast alle ähnlich gelagerten Arbeiten zu diesem Thema – aus der Nutzer-Perspektive. Seither tauchte in Diskussionen über die Studie, die oft auch interdisziplinär geführt wurden, immer wieder die Frage nach der Verantwortung für das Internet auf, nach dem Gestaltungsmandat.

Relativ einfach ließen sich aus den verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft Entscheider identifizieren. Bei einem zweiten Blick zeigte sich jedoch, dass wenig bis gar nichts dazu bekannt ist, welche Einstellungen diese Gruppen zum Internet haben, was ihre Intentionen sind, wo sie Chancen und Gefahren sehen.

Diese Erkenntnis gab letztlich den Anstoß zur DIVSI Entscheider-Studie. Vorausgegangen ist ihr eine qualitative Untersuchung, deren Ergebnis wir im November 2012 vorlegen konnten.

Aus den jetzt vorliegenden Ergebnissen lassen sich fünf wesentliche Aussagen ableiten. Sie mögen nicht immer ungeteilte Zustimmung erfahren. Das wird uns jedoch nicht daran hindern, auch unwillkommene Fakten zur Diskussion zu stellen.

In Schlagzeilen gepresst lesen sich diese herausragenden Erkenntnisse so:

  • Es gibt kein Offline-Leben mehr
  • Sicherheit im Internet ist ein Top-Thema – aber eine Illusion
  •  Die Privatwirtschaft macht das Netz
  •  Die Hauptverantwortung liegt beim Nutzer, doch der kennt sich nicht aus
  •  Risikoverursacher im Netz sind Hacker, globale Internet-Dienstleister und unbedachte Nutzer

Dr. Silke Borgstedt, beim SINUS-Institut verantwortlich für die Realisierung der DIVSI Entscheider-Studie, erläutert diese Headlines im Detail.

Die Ergebnisse der Studie zeigen nach meiner Einschätzung auch: Die Digitalisierung wird die Entwicklung des 21. Jahrhunderts zentral prägen. Dies beinhaltet aus Sicht der Entscheider eine Veränderung von Selbstverständlichkeiten. Vieles muss neu definiert und ausgehandelt werden.

Auffällig ist weiter, dass eine Gesamtverantwortung für „das Internet“ von den Entscheidern strukturell weder als möglich erachtet wird noch gewollt ist. Ihre Lösung besteht darin, die Verantwortung zu großen Teilen an den Nutzer weiter zu reichen. Hier stehen uns sicher noch Diskussionen bevor, ob man es sich mit dieser Sichtweise nicht zu einfach macht.

Das Gebot der Stunde – so ein Ergebnis der Studie – sei Eigenverantwortung. Unter dieser Prämisse sollten sich die Nutzer im Internet bewegen. Der Nutzer sei selbst schuld, wenn er Risiken im Internet leichtfertig übersieht.

Verhält es sich tatsächlich so?

Auffällig ist auch, dass den Machern des Netzes die Formulierung eines übergeordneten Werte-Kodex geradezu utopisch erscheint. Aus Sichtweise der Entscheider wird es immer schwieriger, Rechtsgrundlagen zu schaffen, die wirksam und durchsetzbar sind. Dies auch vor dem Hintergrund, dass das Internet ein globales Phänomen ist.

Es ist gut, dass diese Ansicht nunmehr offen auf dem Tisch liegt. Es ist aber nicht gut, sie einfach zu akzeptieren. Es lohnt sich mit Sicherheit, die Diskussion um einen Werte-Kodex für das Zusammenleben in der Gesellschaft im digitalen Zeitalter aufzunehmen und voranzubringen.

Wir haben deshalb den Versuch gestartet, mit unserem Schirmherrn Prof. Dr. Roman Herzog einen solchen Kodex zu entwickeln. Die Schwierigkeiten auf diesem Weg sind uns sehr wohl bewusst. Gleichwohl liegt darin eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe, die unbedingt in Angriff genommen werden sollte.

Das Stufenmodell der DIVSI-Entscheiderstudie

Bereits jetzt wird es immer schwieriger, für den Verhandlungsraum Internet generell gültige Regelungen und gegenseitige Vereinbarungen zu treffen. Der Diskurs bewegt sich von einer rein technologischen Perspektive zunehmend zu einer Frage nach der „digitalen Kultur“.

Die DIVSI Entscheider-Studie macht auch deutlich, dass Hackerangriffe als das größte Risiko im Internet angesehen werden. Neun von zehn Entscheidern stimmen darin überein, dass eine Garantie gegen derlei Angriffen nicht gegeben werden kann. Interessant ist in diesem Zusammenhang die provokante These von Prof. Dr. Hans Peter Bull, der fragt: „Hacker als Agenten des Fortschritts?“.

Neben den reinen faktischen Erkenntnissen gibt die Entscheider-Studie Hinweise darauf, dass ein größerer gesellschaftlicher Umbruch im Gange ist. Im Vergleich zu allen anderen Entscheidern bekunden die Digital Souveränen das geringste Vertrauen in das politische System und unseren Rechtsstaat. Droht unserem Land angesichts dieser Antworten der Avantgarde der Führungskräfte eine allgemeine Vertrauenskrise?

Kennern unserer ersten Studie wird übrigens auffallen, dass sich die Ansichten der Entscheider teils deutlich von den im letzten Jahr ermittelten Einstellungen und Handlungsweisen der Bevölkerung unterscheiden. 39 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen sind danach Digital Outsiders. Für die Entscheider spielt das keine Rolle. Denn aus ihrer Sicht leben auch die Digital Outsiders in einer Umgebung, die fortwährend stärker von der Online-Welt geprägt wird.

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Der Autor

Matthias Kammer

Matthias Kammer

Foto: Frederike Heim

ist Direktor des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI).

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