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Wir leben im Jahr 2014 in einem Zeitalter der Digitalisierung aller wesentlichen Infrastrukturen, Organisationen und Lebenswelten unserer Gesellschaft, auch wenn wir das im gesamtgesellschaftlichen Diskurs noch nicht voll und ganz realisiert haben. Wir fangen erst heute an, tatsächlich zu verstehen, was die Logik einer voll vernetzten Gesellschaft bedeutet, sei es in der Produktion mit Industrie 4.0, in der Verwaltung mit der nutzerorientierten, an Lebenslagen ausgerichteten Verwaltung 2020, seien es Unternehmen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich um die Idee der Cloud organisieren und über Organisationsgrenzen und innerorganisatorische Silos hinweg kollaborieren: Und trotzdem entsteht sie, Stück für Stück, die Cloud-Gesellschaft.
Es besteht ein ungesundes Spannungsverhältnis zwischen der Politisierung des Themas und dem noch eher niedrigen Niveau, auf dem der Diskurs geführt wird. Das sieht man auch an den transatlantischen Unterhaltungen, bei denen das gegenseitige Unverständnis zwischen den Meinungsmachern in den USA und in Deutschland gefährlich geworden ist. In keiner anderen Industrie kann so fröhlich ein nationalistischer Ansatz gefordert werden, wie das zurzeit in der IT-Industrie geschieht. Politische Spielereien in komplexen Situationen können gefährliche, nicht intendierte Konsequenzen haben. Wann immer große strukturelle Veränderungen, die schwer zu überschauen sind, mit politischen Interessen zusammenkommen, besteht die Gefahr, dass die Konsequenzen schrecklich sein werden.
Analog zur jungen Moderne Anfang des 20. Jahrhunderts, verändern sich heute Prozesse, Geschäftsmodelle, Politik und Gesellschaft nachhaltig. Dies geschieht gleichermaßen in der Energiewirtschaft, dem Gesundheitswesen, der Bildung, der Mobilität, der Gesellschaft sowie im Staat. Allerdings gibt es auch viel verkaufsfördernde Scharlatanerie, politische Interessen und Gegenbewegungen. Es lohnt sich, den Versuch zu machen, die Situation zu verstehen und damit umzugehen. Drei Megatrends bestimmen unsere Zeit:
Das Pflänzchen Cloud-Gesellschaft ist allerdings noch zart. Wir tragen heute eine historische Verantwortung: die Schicht der Zivilisation, die wir in den letzten 60 Jahren aufgebaut haben, nicht zu zerstören.
Die strukturelle Logik der Cloud-Gesellschaft ermöglicht Organisationen und Prozesse, die anders geschnitten sind als noch im 20. Jahrhundert. Während es im 20. Jahrhundert darum ging, 1-zu-n Beziehungen („Massen-Technologien“) zu organisieren (Radio, Fernsehen oder auch das Fließband), geht es im 21. Jahrhundert darum, n-zu-n Netzwerke (Internet, Social Media, Development Communities) zu strukturieren.
Und diese Debatten sollten wir nicht einem esoterischen Kreis der digitalen Eingeweihten und ihren Partikularinteressen überlassen. Denn digitale Politik unterliegt anderen, aber genauso im Kontext nur teilweise veränderbaren Bedingungen. Jegliche Realpolitik orientiert sich an den als real definierten Bedingungen und Möglichkeiten in ihrem Handlungsraum und ist zu unterscheiden von werteorientierten Ansätzen, die sich auch auf politische Ideen beziehen, egal, ob das kalifornisches Hippietum, libertarische Anarchie oder die athenische Demokratie ist.
Die Formbarkeit des Netzes ermöglicht unterschiedliche Architekturen, in denen dann Machtpolitik stattfindet. Das heißt, wir müssen lernen, das Spannungsverhältnis auszuhalten, zwischen den Dingen, die wir ändern können (auch metastrukturell), und denen, die wir nicht ändern können. In den Worten Reinhold Niebuhrs:
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ (1941)
Das heißt, es geht heute um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, wie wir unsere Cloud-Gesellschaft ausgestalten. Und das ist große Politik. Es ist jetzt die Aufgabe von digitalen RealpolitikerInnen, daran zu arbeiten, die Szenarien sachlich zu reflektieren, Möglichkeitsräume intelligent auszuloten, denn nur dann können wir als Gesamtgesellschaft das Bestmögliche erreichen.
Die Diskussion um IT-Sicherheit ist seit fast einem Jahr geprägt von der Idee, „deutsche Kabel in deutscher Erde zu verbuddeln“, ein erstaunlich nationalistischer Ansatz. Als intuitive Reaktion auf die Snowden-Enthüllungen klingt das verständlich, sie ist aber brandgefährlich. Geprägt ist diese Idee von digitaler Souveränität von einer zu naiven Sicht auf die Begriffe Vertrauen und Sicherheit. Dieses naive Verständnis wird dann von industriepolitischen Interessen gekapert und führt dazu, dass nationalistische Tendenzen unter dem Deckmantel der „Sicherheitspolitik“ gefördert werden. Leider erhöht sie unsere Sicherheit nicht, sondern gefährdet sie.
Das heißt, wir müssen die Sicherheits- und Vertrauenskrise verstehen und Ansätze entwickeln, vernünftig mit ihr umzugehen. Wir haben eine historische Verantwortung, dies zu tun. Und genau darum geht es in der IT-Sicherheitspolitik.