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Fake News und „alternative Fakten“

5. April 2017

Facebook Maßnahme gegen Fake-News

Bild: Facebook

Wie sozial schädlich Falschmeldungen tatsächlich sind. Man könnte fast sagen: Sie gehören zum Leben. Was tun?

Von Peter Schaar

In den Medien mehren sich Befürchtungen, die in diesem Jahr stattfindenden Wahlen in Europa könnten durch Fake News beeinflusst werden. Solche Befürchtungen erscheinen begründet – insbesondere vor dem Hintergrund des jüngsten US-Wahlkampfs. Vieles spricht dafür, dass der Erfolg der Wahlkampagne von Donald Trump auch durch den systematischen Einsatz des Instruments Fake News zu erklären ist.

Trotzdem sollten wir einen kühlen Kopf behalten und nicht unüberlegte Gegenmaßnahmen fordern, die letztlich mehr Schaden anrichten, als sie verhindern könnten. Dabei darf nicht ausgeblendet werden, dass Halb- und Unwahrheiten und bewusst unscharfe Botschaften seit jeher zum politischen Geschäft gehören. Auch die Verbreitung von wahren oder erfundenen, teils aus verborgenen Quellen stammenden schädigenden ‚Hintergrundinformationen‘ über die jeweils gegnerische Seite gab es bereits lange vor dem Anbruch des Informationszeitalters.

Das wirklich Neue an dem Phänomen Fake News besteht darin, dass Lügen (oder gezielt geleakte vertrauliche Informationen) in einem veränderten technologischen Umfeld erzeugt und verbreitet werden. Ihre Wirksamkeit entfalten Fake News vor allem deshalb, weil sie vorbei an den klassischen Medien direkte massenmediale Wirkung erreichen. Der Qualitätsfilter, der bei seriösen Medien durch die journalistische Arbeit gewährleistet ist, wird auf diese Weise umgangen.

Was ist das Besondere an Fake News?

  1. Es handelt sich um unwahre Nachrichten, die in großer Zahl bewusst in die Welt gesetzt werden. Die Urheber dieser Nachrichten verfolgen kommerzielle Interessen (Maximierung von Klicks und damit von Werbeeinnahmen), sind politisch motiviert oder einfach destruktiv (Verwirrung als Selbstzweck). Bisweilen kommen auch mehrere Motivationen zusammen, speziell dann, wenn kommerzielle Fake-News-Produzenten mit politisch interessierten Kreisen zusammenarbeiten.
  2. Fake News werden vornehmlich über soziale Netzwerke verbreitet. Dabei kommt den dort wirksamen viralen Effekten besondere Bedeutung zu, also der Weiterverbreitung und dem ‚Liken‘ durch andere Nutzer. Um diesen viralen Effekt hervorzurufen, müssen Fake News so formuliert werden, dass sie als solche nicht erkannt werden. Völlig absurde, auf den ersten Blick von jedermann als unwahr zu erkennende Nachrichten können den gewünschten Effekt nicht erreichen. Wirksamer ist die Berufung auf angebliche alternative, kaum nachprüfbare Quellen oder verfälschte Inhalte, bei denen die Wahrheit „zurechtgebogen“ wird.
  3. Eine gute Chance, weiterverbreitet zu werden, besitzen Nachrichten, die sich auf das Weltbild der jeweiligen Empfänger einlassen, also zielgruppenorientiert sind. Dabei können dieselben Methoden verwendet werden wie beim elektronischen Marketing. So erschien vielen Migrationsgegnern die (nachweislich gefälschte) angebliche Sympathiebekundung der Grünen-Politikerin Renate Künast mit dem Weihnachtsmarkt-Attentäter auf dem Berliner Breitscheidplatz durchaus glaubwürdig. Auch dies erklärt deren rasche Verbreitung.
  4. Fake-News-Kampagnen nutzen den Effekt der Schnelligkeit, was wirksame Reaktionen und Richtigstellungen erschwert. Vielfach werden automatisierte Verfahren eingesetzt, um die falschen Nachrichten automatisiert und möglichst auf verschiedenen Kanälen zu verbreiten(„Social Bots“). Erfolgreich sind solche automatisiert erzeugten Nachrichten vor allem dann, wenn den Nutzern der Eindruck vermittelt wird, dass sie nicht von einer Maschine, sondern von einem anderen Nutzer verfasst sind. Dies gelingt insbesondere dann, wenn die Programme nicht nur stereotype, sondern individualisierte Nachrichten generieren, die gegebenenfalls als Reaktionen auf Mitteilungen anderer Teilnehmer formuliert sind.

Fakten, Fakten, Fakten!

Zunächst einmal ist die Frage gestattet, wie sozial schädlich Fake News tatsächlich sind. Wie bereits oben angedeutet, sind unwahre Behauptungen nichts Neues. Man könnte fast sagen: Sie gehören zum Leben.

Ein Blick ins Recht zeigt zudem, dass nicht jede Lüge verboten oder gar strafbar ist. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn in bestimmten Situationen, etwa vor Gericht, gelogen wird. Oder wenn versucht wird, sich durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen. Und schließlich sind – jedenfalls in Deutschland – eine Vielzahl von Informationsdelikten strafbar: Zu ihnen gehören in erster Linie üble Nachrede, Verleumdung, Beleidigung und Bedrohung. Wenn gefordert wird, Fake News aus sozialen Netzen zu verbannen, muss es in erster Linie um diese Arten von Nachrichten gehen. Hier sind insbesondere Strafverfolgungsbehörden gefragt, denn an erster Stelle obliegt es ihnen, unzulässige Äußerungen zu sanktionieren.

Andere falsche Nachrichten, insbesondere politische Falschmeldungen, müssen mit anderen Mitteln gekontert werden. Hier und in vielen anderen Fällen muss im Vordergrund stehen, Falschmeldungen als solche zu erkennen und zu benennen. Dabei darf nicht verkannt werden, dass es oft alles andere als einfach ist, den Wahrheitswert einer Nachricht nachzuprüfen und gegebenenfalls zu widerlegen. Vielfach bewegt man sich auch in einer Grauzone zwischen fragwürdiger Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung.

Darum wäre es ein Irrweg, die generelle Löschung von Tweets oder Facebook-Nachrichten zu verlangen, die vermeintlich oder tatsächlich unwahre Behauptungen enthalten. Eine solche Forderung läuft letztlich auf Zensur hinaus, die unser Grundgesetz verbietet. Tangiert wäre auch die ebenfalls grundrechtlich geschützte Informationsfreiheit, wonach jeder das Recht hat, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Zu diesen Quellen gehören gegebenenfalls auch Nachrichten, die der Wahrheit nicht entsprechen.

Im Zentrum der Strategie gegen Fake News muss die Prüfung des Wahrheitsgehalts stehen. Dieser Faktencheck sollte professionell erfolgen, und zwar innerhalb und außerhalb der sozialen Netzwerke. Ich halte dies für eine zunehmend wichtige Aufgabe des Journalismus. Ein professioneller Faktencheck ist umso wichtiger, als die Anzahl Nachrichten, mit denen wir es täglich zu tun haben, ständig zunimmt und es dem Rezipienten nicht zuzumuten (und vielfach nicht möglich) ist, die entsprechende Überprüfung selbst vorzunehmen.

Verantwortlichkeit

Auch wenn die sozialen Netzwerke einen neuartigen öffentlichen Raum bilden, sind deren Betreiber doch nicht frei von Verpflichtungen hinsichtlich der dort kommunizierten Inhalte. Dieser Tatsache sind sie sich offensichtlich durchaus bewusst – dies belegen die teils umfangreichen Nutzungsbedingungen und internen Richtlinien über nicht geduldete Nachrichten. Sie entsprechen allerdings nicht unbedingt den Vorgaben des europäischen oder deutschen Rechts. Vielmehr orientieren sich insbesondere Unternehmen amerikanischen Ursprungs am US-Rechtssystem, das zwar die Abbildung einer nackten weiblichen Brust verbietet, die Holocaust-Leugnung jedoch zulässt.

Das europäische Recht (Art. 12-15 der Richtlinie 2000/31/EG, umgesetzt durch §§ 7-10 Telemediengesetz) enthält abgestufte Regelungen über die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter für die jeweils verarbeiteten Inhalte. Völlig freigestellt sind nur diejenigen Unternehmen, die allein Informationen durchleiten, etwa reine Telekommunikationsdienste. Dagegen müssen die Anbieter von Diensten, die von Nutzern bereitgestellte Informationen speichern, unverzüglich handeln, wenn sie davon Kenntnis erlangen, dass die Informationen unzulässigerweise eingestellt worden sind. Im Hinblick auf die strafbaren Inhalte ergibt sich hieraus eine Handlungsverpflichtung für die Diensteanbieter.

Gleichwohl sind die Diensteanbieter nicht daran gehindert, auch darüber hinaus gegen die systematische Verbreitung von Fake News vorzugehen. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen sie davon Kenntnis haben, dass diese von Social Bots automatisiert erstellt und verbreitet werden. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass Facebook mit dem deutschen Journalistennetzwerk Correctiv eine Kooperation eingegangen ist mit dem Ziel, Fake News zu erkennen und zu kennzeichnen. Wünschenswert wäre es auch, wenn sich die Betreiber der Sozialen Medien im Rahmen einer Selbstkontrolle auf einen Verhaltenskodex einigen würden, entsprechend dem Pressekodex der im Deutschen Presserat vertretenen Printmedien.

Kein Wahrheitsministerium

Die von einigen führenden Politikern ins Gespräch gebrachte Einrichtung einer Behörde zur Überwachung von sozialen Netzwerken und zur Bekämpfung von Fake News ist insbesondere im Hinblick auf das Zensurverbot von Art. 5 GG kritisch zu beurteilen. Abgesehen von der Tatsache, dass auch im politischen Raum, sogar von Inhabern öffentlicher Ämter, nicht immer die volle Wahrheit kommuniziert wird, ist es keine staatliche Aufgabe, unwahre oder zweifelhafte Behauptungen in der Öffentlichkeit zu unterbinden. Hinsichtlich strafbarer Inhalte liegt die Zuständigkeit ohnehin im Bereich der Justiz. Sofern es sich dabei – wie etwa bei der Beleidigung – nicht ohnehin um ein Offizialdelikt handelt, müssen die Strafverfolgungsbehörden entsprechenden Anzeigen von Betroffenen nachgehen. Die dort vorhandenen Kapazitätsengpässe, die eine zeitnahe Behandlung der entsprechenden Fälle behindern, müssen dringend abgestellt werden.

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Der Autor

Peter Schaar

Peter Schaar

Foto: Peter Schaar

ist Vorsitzender der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz; Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit a.D.

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