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„Gute Schnittstellen zu den Ministerien gestalten!“

8. Oktober 2014

Gesche Joost

Foto: SPD

„Digital Champion“ Prof. Dr. Gesche Joost zu ihrer neuen Aufgabe, der NSA-Affäre und einer Traumvorstellung.

Von Joanna Schmölz

Gesche Joost, in Kiel geboren, ist seit 2011 Professorin an der Universität der Künste Berlin für das Fachgebiet Designforschung und seit Kurzem „Digital Champion“. Sie schätzt klare Worte – und bewies dies auch im DIVSI-Interview.

DIVSI magazin: Frau Prof. Joost, seit vergangenem Jahr haben wir drei fürs Internet zuständige Minister. Und jetzt gibt es mit Ihnen als „Digital Champion“ noch einen Botschafter. Warum?

Prof. Gesche Joost: Ich bin nicht Mitglied der Regierung. Daher kann ich auch kritisch kommentieren, zum Beispiel, ob nicht eine Schwierigkeit darin liegt, dass so unterschiedliche Ministerien für die Digitale Agenda zuständig sind. Oder dass beim E-Learning in anderen Mitgliedsländern mehr passiert und Deutschland noch kaum initiativ geworden ist.

Halten Sie die Konstruktion mit drei Ministerien für ideal?
Das ist nicht einfach. Die Digitalisierung zieht sich ja durch alle Bereiche. Der erste Schritt müsste eigentlich sein, die komplette Digitale Agenda gemeinsam zu entwerfen. Dabei kann die Arbeitsgruppe zur Digitalen Agenda im Parlament auch eine Rolle spielen. Es wird sich herausstellen, wie erfolgreich die ersten Teile der Digitalen Agenda am Ende der Legislaturperiode umgesetzt werden konnten. Ich sehe eine große Herausforderung darin, wie man es schafft, dass alle Kompetenzen der unterschiedlichen Ministerien ineinandergreifen.

Wäre ein Internet-Ministerium nicht besser gewesen?
Es hätte nicht geschadet, die Digitalthemen mit einer festen Zuständigkeit zu verbinden. Das Internet gehört für die meisten Menschen zum Alltag, die Politik hinkt der Realität hinterher. Ich wünsche mir eine eigene Datenpolitik, eine Vision, wie wir uns eine gelungene digitale Gesellschaft vorstellen. Mit allen Chancen und Risiken, die dazugehören.

Falls ein solches Ministerium doch kommt, stehen Sie zur Verfügung?
Im Moment fragt mich ja keiner. (lacht)

Digital Champions. Worin liegt eine der wesentlichen Aufgaben dieser Botschafter?
Sie sollen eine Verbindung herstellen zwischen der europäischen Digitalen Agenda und dem, was in den Mitgliedsstaaten läuft. Dabei sollen die Botschafter nicht einfach Mitglieder der Regierungen sein, sondern den Prozess kritisch begleiten können.

Die Botschafter haben kürzlich das Projekt „Grand Coalition for Digital Jobs“ angestoßen. Was steckt dahinter?
Es ist das jüngste Projekt, und dabei geht es um die Zukunft der digitalen Arbeit – ein Thema, das in Europa extrem wichtig ist, um der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa zu begegnen. Digitale Jobs können hier eine echte Zukunftsperspektive bieten. Wir wollen Ideen aus den Mitgliedsländern zusammenführen, um die Rahmenbedingungen und die Ausbildung zur digitalen Arbeit zu verbessern.

Wo liegt die Schnittstelle bei Ihrer Arbeit als Designforscherin und „Digital Champion“ der Bundesregierung?
Ich bin ja nicht allein Politikerin, sondern Vollblutwissenschaftlerin. Was ich als Wissenschaftlerin erforsche, ist die Quelle, aus der ich Strategien für die vernetzte Gesellschaft speise.

Können Sie unabhängig von der Regierung agieren?
Ich trage kein politisches, sondern ein Experten-Ehrenamt. Insofern bin ich unabhängig in dem, was ich sage. Die Herausforderung wird sein, wie ich gute Schnittstellen zu den Ministerien gestalte, damit ich Gehör finde.

Ihre nächsten Ziele als Internet-Beauftragte?
Ich will die Allianz für digitale Arbeit auf den Weg bringen. Wir müssen definieren, ob in Zukunft nicht alle Arbeit digitale Arbeit ist und welche Profile dabei entstehen.

Haben Sie im Ausland Erfolgsrezepte entdeckt, von denen wir lernen könnten?
Im vergangenen Jahr gab es die Code Week. Fast alle EU-Mitgliedsländer haben mitgemacht. Deutschland jedoch bisher nicht. Da wurden an vielen Schulen und öffentlichen Einrichtungen Programmierkurse angeboten. Ich will bei uns die Code Week aufs Gleis setzen und damit zeigen, was Medienkompetenz bedeutet. Das startet jetzt konkret Anfang Oktober 2014.

Ein zweites Beispiel?
In anderen Ländern, zum Beispiel in Skandinavien, wird die universitäre Ausbildung in bestimmten Bereichen schneller an die Weiterentwicklung der Technologie angepasst. Die Lehre muss sich weiterentwickeln, um die richtigen Kompetenzen vermitteln zu können. Ich finde Deutschland hier in einigen Bereichen zu langsam.

Sehen Sie Unterschiede, wie Frauen und Männer digitale Aufgaben anpacken?
Frauen nähern sich digitalen Technologien oftmals interdisziplinärer und haben einen alltagspraktischeren Blickwinkel. Ein Beispiel: Eine Gruppe junger Frauen konzipiert in unserem Lab an der Universität interaktive Textilien. Sie entwickeln ihre Ideen gemeinsam mit Demenzkranken und Schlaganfallpatienten und suchen nach Lösungen für alltägliche Probleme. Die Wissenschaftlerinnen können programmieren, entwerfen die Schaltkreise und das Design – und davon bin ich begeistert. Daraus entsteht zum Beispiel eine Jacke, die im Notfall Hilfe ruft. Wir müssen mehr Frauen zu solchen Projekten ermutigen.

Wird das Thema Netzpolitik nach Ihrer Einschätzung bei uns eher fachlich oder parteipolitisch diskutiert?
Ich hatte in den Koalitionsverhandlungen den Eindruck, dass sich die Netzpolitiker parteiübergreifend in vielen grundsätzlichen Bereichen einig sind, etwa beim Breitbandausbau oder bei der Förderung der Digitalwirtschaft und der Start-ups. Alle wollen das Thema nach vorn bringen.

Gibt es also keine Unterschiede?
Doch, durchaus. Die gab es z.B. bei der Einschätzung zur Vorratsdatenspeicherung oder zum Leistungsschutzrecht.

Wie beurteilen Sie den Wissensstand bei der Politik?
Grundsätzlich ist fachliche Expertise für die digitalen Themen sehr wichtig. Bei einigen Politikern habe ich den Eindruck, dass sie gar nicht richtig durchdrungen haben, was vernetzte Gesellschaft eigentlich heißt. Man muss auch die technischen Grundlagen kennen, um antizipieren zu können, was da auf uns zurollt, beispielsweise bei der Privatsphäre.

Gutes Stichwort. Wo sehen Sie in diesem Bereich offene Fragen?
Es gibt sehr viele. Einige Beispiele: Wie definieren wir Privatsphäre in Zukunft? Was ist mein Recht an meinen Daten? Was sind die Potenziale, aber auch die ethischen Grenzen von Big Data?

Müssen wir uns vor Big Data fürchten?
Wir sollten hier nicht kulturpessimistisch herangehen und sagen: Big Data ist böse, wir lehnen es ab. Das bezieht sich nur auf die – durchaus vorhandenen – Risiken. Big Data hat auch großen Nutzen, zum Beispiel bei der Verbesserung von Energieeffizienz oder bei der Verbesserung von Prozessen der Logistik. Die Nutzung von Big Data ist ein wichtiger Faktor für die Digitalwirtschaft, daher sollten wir sie differenziert betrachten. Eine einseitige Verteufelung hilft nicht weiter. Viele Unternehmen haben sowieso mit dem Vertrauensverlust der Nutzenden zu tun – daher sind Aufklärung und Transparenz der richtige Weg.

Brauchen wir eine Vorratsdatenspeicherung?
Nein, und ich würde genau diese Konsequenz aus dem NSA-Skandal ziehen. Es ist wichtig, dass das gerade am Europäischen Gerichtshof entschieden wird.

Zur NSA – wie beurteilen Sie die Reaktion der Bundesregierung auf die Enthüllungen?
Mich wundert, dass um die Vernehmung von Edward Snowden überhaupt gestritten wird. Es ist völlig klar, dass man ihn anhören muss, er hält alle Informationen in seinen Händen. Wir wollen die Spähaffäre aufklären, das ist unsere Pflicht. Die Opposition übt starken Druck aus, was ich in diesem Fall richtig finde. Das Anliegen sollte unterstützt werden, und zwar auch von Angela Merkel.

Ihre Erkenntnisse aus der NSA-Affäre?
Man ist aufgewacht. Sie war eine Erschütterung des Ideals vom offenen Internet. Verschlüsselung und IT-Sicherheit sind wichtiger geworden. In der Folge ist eine höhere Sensibilität entstanden, was man zum Beispiel auf Facebook postet oder ob man WhatsApp benutzt.

Was raten Sie Unternehmen, die unter möglichem Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit leiden?
Ein Weg wäre anzuerkennen, dass es eine große Sensibilität in Bezug auf den Umgang mit Daten gibt. Das sollte in den Diensten, die man anbietet, adressiert werden. Ein Grundrecht auf Transparenz wäre ein Beispiel, dass der Nutzende stets weiß, was mit seinen Daten passiert, und er sich dagegen wehren kann. Ein starker und garantierter Datenschutz ist sicher ein richtiger Weg.

Sehen Sie die Gefahr, dass sich unsere Gesellschaft spaltet, in Onliner und Offliner?
Die Gefahr ist groß. Die Linie verläuft zwischen denen, die immer online sind, und denen, die damit wenig anfangen können, denen die Medienkompetenz fehlt oder die sich keinen Computer leisten können. Es ist eine wichtige Aufgabe zu verhindern, dass sich diese Spaltung nicht noch vertieft. Man kann heute nicht mehr offline sein, selbst wenn man das Handy ausschaltet. Jeder Bürger ist Teil eines vernetzten Systems.

Vor diesem Hintergrund – wie könnten junge Menschen schon früh an die Thematik herangeführt werden?
Meine Traumvorstellung wäre das Unterrichtsfach Programmieren ab der Grundschule. Es ist wichtig, früh zu verstehen, dass das Internet kein Ort allein des Konsums ist, sondern etwas, das man selber gestalten kann. Die Programmiersprachen werden ja immer einfacher. Ein wichtiges Projekt ist auf europäischer Ebene hier die bereits erwähnte Code Week im Oktober.

Digital Champion Traum: Programmieren ab der Grundschule

Digital-Champion-Traum: Programmieren ab der Grundschule

Wie realistisch ist dieser Traum?
Abwarten. Denn die Thematik ist den Schulen ja nicht ganz fremd. Bei mir gab‘s in den Achtzigerjahren auch schon eine Informatik-AG. Aber natürlich haben die Länder die Bildungshoheit, da will ich auch gar nicht intervenieren. Aber mit solchen Aktionen wie der Code Week kann man schon zeigen, dass Programmieren nicht nur etwas für Nerds ist, sondern auch Spaß machen kann – für Mädchen und Jungen gleichermaßen. Man kann damit das Internet gestalten.

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Der Autor

Joanna Schmölz

Joanna Schmölz

Foto: frederike heim photography

studierte Medienkultur und Politische Wissenschaft. Sie ist stellv. Direktorin und wissenschaftliche Leiterin des DIVSI.

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