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Hatespeech – die große Herausforderung

3. Mai 2017

Hatespeech

Kann unsere Gesellschaft es zulassen, wenn Meinungs- und Funktionsträger eingeschüchtert und bedroht werden?

Von Simon Assion

Hatespeech“, das ist eigentlich nichts wirklich Neues. Schon immer haben Menschen gehasst, und schon immer haben Menschen diesen Hass auch ausgesprochen. Und doch geht es bei der Debatte um „Hatespeech“ um etwas, das sich in unserer Gesellschaft gerade ganz grundsätzlich verschiebt. Denn der Hass manifestiert sich heute schriftlich und öffentlich, nicht mehr nur im privaten Kreis. Hinter der Bezeichnung „Hatespeech“ steht außerdem auch ein Wandel in der sozialen Bewertung. Wer den Begriff „Hatespeech“ gebraucht, der zeigt, dass es ihm weniger um den Schutz der persönlichen Ehre der Betroffenen geht, sondern mehr um die allgemeine Eindämmung bestimmter Meinungen und Äußerungen. Aber was soll das eigentlich sein, „Hatespeech“?

Kritikwürdiger Kampf

Das Wort „Hatespeech“ ist ungenau. Wer gegen „Hatespeech“ kämpft, kämpft vermeintlich für ein gutes Ziel, weil niemand „Hatespeech“ wirklich in Schutz nehmen will. Aber was abstrakt gesehen sinnvoll erscheint, lässt sich kaum in die Praxis übertragen. Denn im Einzelfall ist die Einstufung einer Äußerung als „Hatespeech“ kaum umsetzbar. Was der eine für untragbare Hetze hält, bewertet der andere als verzeihlichen (oder sogar nachvollziehbaren) Gefühlsausbruch. Des einen „Hatespeech“ ist nun einmal des anderen Meinungsäußerung.

Eben aus diesem Grund sehen viele Beobachter die Initiativen gegen „Hatespeech“ sehr kritisch. Versteckte Zensurinstrumente seien dies, vermuten Kritiker. Und in der Tat laufen viele der Initiativen darauf hinaus, mit staatlichen Mitteln Einfluss auf die öffentliche Debatte zu nehmen – stärker, als dies dem Staat eigentlich erlaubt ist.

Grundregeln

In Deutschland gibt es seit mehreren Jahrzehnten ein fein ausdifferenziertes Medien- und Äußerungsrecht. Die grundsätzlichen Koordinaten dieses Rechtsgebietes sind universell, die gelten auch für „Hatespeech“.

Erstens hat sich demnach der Staat aus politischen Debatten herauszuhalten. In einer Demokratie ist der Staat zwar Gegenstand der öffentlichen, politischen Debatte, aber er beteiligt sich nicht selbst – es sei denn sachlich und neutral (Neutralitätsgebot). Zweitens bedarf jeder Eingriff in die Meinungsfreiheit einer klar formulierten gesetzlichen Rechtfertigungsgrundlage. Jede Einschränkung muss auf das Notwendigste beschränkt sein (Verhältnismäßigkeitsprinzip). Zensur und die gezielte Unterdrückung bestimmter Meinungen sind generell untersagt. Drittens ist Medienregulierung ausschließlich Ländersache, und sie muss durch staatsfern organisierte Landesbehörden durchgeführt werden. Die Behörden, denen diese Aufgabe zufällt, heißen Landesmedienanstalten; sie sind aus dem normalen Behördenapparat ausgegliedert und werden durch Rundfunkräte kontrolliert. Im Bereich der gedruckten Presse hat der Staat sogar komplett auf eine Aufsichtsbehörde verzichtet, zugunsten einer (schwachen) Selbstregulierung der Presse durch den Deutschen Presserat.

Unser heute geltendes Mediensystem hat den großen Vorteil, staatliche Einflussnahme auf die politische Debatte weitgehend zu vermeiden. Dies ist essenziell für die Funktionsfähigkeit einer Demokratie, denn Demokratie lebt davon, dass die Bürger den Staat kontrollieren und steuern, nicht umgekehrt. Demokratie funktioniert nur, wenn sich Bürger unbefangen untereinander austauschen können und die Institutionen, die diesen demokratischen Austausch unterstützen – die Medien –, dabei nicht behindert werden.

Wenig Schutz vor Missbrauch

Der Nachteil, der mit diesem Ansatz einhergeht, ist der schwache Schutz der Betroffenen vor Rechtsverletzungen. Im Bereich der Medien, einschließlich Social Media, hält sich der Staat zurück. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Es soll eben kein „Wahrheitsministerium“ entstehen, das wie in George Orwells „1984“ den Bürgern vorschreibt, was sie zu sagen und zu denken haben. Für Betroffene von Beleidigungen, Hetze oder Mobbing bedeutet die staatliche Zurückhaltung allerdings, dass sie von der Hoheitsmacht kaum Unterstützung erwarten können.

Unser aktuelles Äußerungsrecht verleiht den Betroffenen zwar durchaus (zivilrechtliche) Abwehransprüche. Wer im Internet beleidigt oder verleumdet wird, kann die Täter vor den Zivilgerichten verklagen. Aber um dies tun zu können, braucht fast jeder die Unterstützung eines Rechtsanwalts und muss außerdem die Prozesskosten vorschießen. Für viele ist das zu mühsam und zu teuer. Eine zivilrechtliche Klage kann außerdem nur einreichen, wer die Identität des Beklagten kennt. Längst nicht immer ist das der Fall.

Zu den zivilrechtlichen Abwehransprüchen kommt das Strafrecht hinzu. Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Volksverhetzung, öffentlicher Aufruf zu Straftaten – all dies ist bereits jetzt strafbar. In der Theorie könnten Polizei und Staatsanwaltschaften solchen Äußerungen deshalb selbstständig nachgehen, die Täter ermitteln und sie der Strafverfolgung zuführen. In der Praxis werden strafrechtliche Ermittlungsverfahren aber nur selten eingeleitet und führen noch seltener zur Verhängung von Strafen. Denn Polizei und Staatsanwaltschaften sehen sich nicht als „Meinungspolizei“ und verfolgen nur solche Äußerungen, die ganz eindeutig strafbar sind. Und auch die schiere Masse der entdeckten und angezeigten Delikte macht es den Behörden schwer.

Im Ergebnis heißt das: Gefühlt 99 Prozent der rechtswidrigen Äußerungen im deutschsprachigen Internet bleiben ungeahndet.

Schreiduell

Ist dies ein Zustand, der so bestehen bleiben sollte? Oder ist es nicht auch andersherum eine Gefährdung der Demokratie, wenn bestimmte Menschen von einer Welle von Hassäußerungen überflutet werden – mit keinem anderen Schutz als dem eigenen „dicken Fell“?

Wer glaubt, es gäbe kein akutes Problem mit „Hatespeech“, sollte sich einmal damit auseinandersetzen, was es für viele Politiker, Aktivisten und Journalisten heutzutage bedeutet, sich zu kontroversen Themen öffentlich zu äußern. Beleidigungen übelster sexueller oder rassistischer Art sind nicht nur alltäglich, bei Spitzenpolitikern treten sie im Minutentakt auf. Häufig kommt es zu ganz konkreten Bedrohungssituationen, z.B. durch Verbreitung der Privatadresse. Und in vielen Fällen bleibt es nicht bei der abstrakten Bedrohung, sondern es gibt Angriffe, Brandanschläge.

Kann unsere Gesellschaft es zulassen, wenn Meinungs- und Funktionsträger eingeschüchtert und bedroht werden? Wollen wir es zulassen, dass unser politischer Diskurs zu einem Schreiduell wird? Einem Meinungskampf, in dem sich nicht die Meinungsströmung mit den besten Argumenten durchsetzt, sondern die, die ihre Gegner am besten überschreit und einschüchtert?

Verantwortung

Verantwortung Social Media Hatespeech

Welche Verantwortung tragen Social Media-Plattformen? (Bild: Julia Tim | Shutterstock)

Natürlich sind Soziale Medien an der Verbreitung von Hass und Gewalt nicht „schuld“ – das sind die Menschen, die solche Meinungen äußern. Aber das heißt nicht, dass Medienunternehmen keine Verantwortung dafür übernehmen müssen, was sich auf ihren Plattformen abspielt. Man kann diese Verantwortung als „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“ einordnen, so steht es im Grundgesetz (Art. 14 Abs. 2). Man kann auch simpler einfach von einer „Verkehrssicherungspflicht“ sprechen. Zum Betrieb eines Wirtschaftsunternehmens gehört es nun einmal, den Betrieb so auszugestalten, dass niemand dabei zu Schaden kommt. Am Ende läuft es auf dasselbe hinaus: Auch Soziale Medien sind Medien, und natürlich darf und soll es deshalb auch für Soziale Medien ein „Medienrecht“ geben.

Es gibt durchaus bereits einschlägige Gesetze. Insbesondere gilt § 54 des Staatsvertrags für Rundfunk und Telemedien: Anbieter von Internet-Angeboten sind nach dieser Bestimmung verpflichtet, die verfassungsmäßige Ordnung und die allgemeinen Gesetze zu beachten. Auch die Gesetze zum Schutz der persönlichen Ehre sind einzuhalten. Für Internet-Angebote mit journalistisch-redaktioneller Gestaltung gilt zusätzlich eine Verpflichtung auf die anerkannten journalistischen Grundsätze.

Sicherlich ist § 54 des Rundfunk- und Telemedienstaatsvertrags noch nicht der Endpunkt der Debatte. Aber er zeigt doch, dass nicht alles neu erfunden werden muss, sondern das geltende Medienrecht bereits Strukturen vorgibt, auf denen eine Weiterentwicklung aufbauen kann. Dabei stehen verschiedene Modelle zur Auswahl: vom „Laissez faire“-Ansatz wie beim deutschen Presserat bis hin zur strengen Aufsicht durch spezialisierte „Medienanstalten“, wie sie im Rundfunkbereich praktiziert wird. Auch das Jugendschutzrecht kann als Anregung dienen. Dort hat sich ein Modell der freiwilligen Selbstkontrolleinrichtungen etabliert, die sogenannte Co-Regulierung.

Vieles von dem, was Politiker sich in den letzten Jahren zur Bekämpfung ungeliebter Äußerungen gewünscht haben, gehört allerdings in die politische Klamottenkiste. Insbesondere gilt dies für Vorschläge, bei denen Bundesbehörden zur Bekämpfung bestimmter Äußerungen ermächtigt werden sollen. So hatte das Bundesinnenministerium vorgeschlagen, beim Bundeskanzleramt ein sogenanntes „Fake News-Abwehrzentrum“ einzurichten – ein Vorschlag, der aus gleich mehreren Gründen offensichtlich verfassungswidrig ist. Denn Medienregulierung muss staatsfern organisiert sein, abgeschirmt von politischer Einflussnahme. Außerdem ist die Medienaufsicht Ländersache, nicht Aufgabe von Bundesbehörden. Vor allem aber ist bereits der Ansatz verfehlt: Genau wie „Hatespeech“ ist auch „Fake News“ vor allem ein politischer Kampfbegriff, kein tauglicher Ansatz für Regulierung.

Höchst fragwürdig ist es außerdem, wenn Bundesjustizminister Heiko Maas fordert, Soziale Medienplattformen sollten „freiwillig“ Hassreden unterdrücken – und gesetzliche Maßnahmen androht, falls sein Wunsch nicht erfüllt wird. Denn Maas setzt hier staatliche Hoheitsmacht als Drohpotenzial ein, um ein Ziel zu erreichen, das er auf verfassungskonformem Weg nicht erlangen könnte. Auch wenn Maas das anders sehen mag. Er ist als Bundesjustizminister für derartige Initiativen schlicht nicht zuständig. Dies wäre, wie dargestellt, Ländersache und hätte sich an ganz anderen Koordinaten auszurichten als an dem undeutlichen Begriff „Hatespeech“.

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Der Autor

Dr. Simon Assion

Dr. Simon Assion

ist Mitbegründer des Telemedicus e.V. und Rechtsanwalt bei Bird&Bird. Er berät dort zu allen Fragen des Informations-, Kommunikations- und Medienrechts.

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