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Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges schien es, als wäre die Hochzeit der Geheimdienste vorbei. Die Rüstungsprojekte der Staaten wurden immer teurer, und insbesondere die USA konnten es sich leisten, eine ganz ungewohnte Transparenz zu praktizieren. So ist z.B. der einfache Nachbau von Hightech-Waffensystemen kaum noch möglich. Die sich hieraus ergebende Asymmetrie wirkt sich immer stärker auf das Konfliktverhalten streitender Parteien aus.
Daten in einer digitalen Welt sind hierbei zum wichtigen Machtfaktor geworden. Nach dem Terroranschlag im tunesischen Badeort Sousse, dem Bombenanschlag auf den Airbus A321 der russischen Fluglinie Kogalymavia, den koordinierten Anschlägen in Paris und der Geiselnahme im Hotel Radisson-Blu in Bamako im Jahr 2015 oder den Bombenanschlägen in Istanbul und Ankara und den Anschlägen von Al-Shabaab in Somalia in diesem Jahr brauchen wir unsere Sicherheitsbehörden mehr denn je. Wir sehen uns neuen Gefährdungsszenarien ausgesetzt, die eine Vernetzung und Abstimmung national und international erfordern, um dem Kampf gegen asymmetrische und hybride Bedrohungen zu begegnen.
Die digitale Kommunikation, bis hin zur Einflussnahme in sozialen Netzwerken spielt eine immer größere Rolle. Die Macht über das Netz und unsere Daten ist sowohl für Unternehmen wie auch für Nachrichtendienste in Zukunft der entscheidende Faktor. Die Sicherheit unserer Daten, die Sicherheit der intimsten Informationen über jeden von uns bis hin zur Persönlichkeit des Einzelnen interessiert heute mehr als je zuvor.
Gleichzeitig wird die Herrschaft über Daten, z.B. in Form von Nachrichten aus der ganzen Welt, für viele Akteure ein Machtfaktor. Die Zahl der nachrichtenähnlichen Beiträge von Facebook-Profilen, Blogs und in abgestufter Weise auch bei Twitter und Instagram hat in den letzten Monaten massiv zugenommen. Gleiches gilt für Kommentare auf den Webseiten seriöser Presseorgane. Hier werden Artikel als Lügen verunglimpft und mit falschen Behauptungen diskreditiert. In vielen Fällen handelt es sich bei den Autoren der Kommentare um sogenannte Trolle, also Nutzer, die es gar nicht gibt und die nur zum Schein erstellt wurden. Über sie gelingt es im Internet Meinung zu machen, wie es auch gelingt, Shitstorms beispielsweise über Personen oder Firmen loszutreten. Nachrichtendienste mancher Staaten, aber auch Strukturen der organisierten Kriminalität spielen hier keine unerhebliche Rolle, was wir derzeit insbesondere beim Thema Flüchtlinge sehen.
Vertrauen und Sicherheit in der Gesellschaft zu garantieren, ohne dabei die Freiheit der Bürger zu gefährden, ist eine Aufgabe, die für die Politik, aber auch für alle gesellschaftlichen Akteure unter diesen Umständen nicht leichter geworden ist. Die Masse an Daten, die wir alle täglich produzieren, ist interessant. Sie ist interessant für Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook, die ihre Firmenphilosophie gerade auf die Herrschaft über Daten und Informationen gründen. Man denke nur an den fast explodierenden Markt der Gesundheitsdaten.
Unsere Daten sind aber auch interessant für Nachrichtendienste und weite Teile der organisierten Kriminalität, die den stetig wachsenden Pool von Daten gerne als Steinbruch für ihre Zwecke nutzen möchten. Gleichzeitig nutzen Kriminelle immer mehr das sogenannte Darknet – eine Parallelwelt im Netz, die eine anonyme Möglichkeit bietet, Verbrechen im Internet zu planen, anzubahnen und zu begehen. Für Polizei und Nachrichtendienste wird es in diesen „Räumen“ immer schwerer, für Sicherheit zu sorgen. Bürgerinnen und Bürger müssen geschützt werden, indem Terroristen oder Gefährder rechtzeitig identifiziert werden, lautet daher auch die Argumentation, um die Datenerfassung der NSA und anderer Dienste zu rechtfertigen.
Die gleiche Argumentation finden wir in Großbritannien und nun auch in Frankreich nach den Anschlägen gegen die Redaktion der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ am 7. Januar 2015 in Paris. Bei uns ist die jahrelange Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung beispielhaft für diese Debatte. Unsere Gesellschaft befindet sich also in einem Spannungsfeld zwischen digitaler Freiheit und der Sensibilität, die eine vernetzte Welt einfordert.
In diesem Spannungsfeld befindet sich der sogenannte NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, der aufgrund der Veröffentlichungen von Edward Snowden Anfang 2014 eingesetzt wurde. Seine Aufgabe ist es erstens, das Ausmaß und die Hintergründe der Ausspähungen durch die Dienste der sogenannten Five-Eyes-Staaten in Deutschland aufzuklären. Zweitens soll er ermitteln, inwieweit die deutschen Dienste hieran beteiligt waren und ob gesetzliche Regelungen durch sie verletzt wurden. In einem dritten Komplex soll der NSA-Untersuchungsausschuss Empfehlungen abgeben, wie die Telekommunikation der Bürger, von Unternehmen und von staatlichen Stellen besser geschützt werden kann. Ziel ist es also nicht, unsere Nachrichtendienste zu zerschlagen, sondern die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu finden.
Spagat: Angst vor dem Überwachungsstaat und Terrorabwehr – in diesem Spannungsfeld muss sich der NSA-Untersuchungsausschuss bewegen. (Bild: Sergey Kohl – Shutterstock | ver0nicka – Shutterstock)
Die Arbeit konzentriert sich zum einen auf die Auswertung umfangreichen Aktenmaterials von derzeit über 2.325 Aktenordnern des BND und anderer Behörden, von denen rund 525 Aktenordner als vertraulich oder höher eingestuft sind. Zum anderen werden Zeugen, z.B. der Nachrichtendienste oder von Unternehmen der IT-Branche, geladen. Kürzlich sind Ladungen an Mark Zuckerberg von Facebook, Brad Smith (Microsoft), Eric Schmidt (Google) und Tim Cook (Apple) vom Ausschuss beschlossen worden. Bisher gab es 40 Zeugensitzungen mit 84 Zeugen. Rund 42 weitere Zeugen sind beschlossen, aber noch nicht zu einem konkreten Termin geladen worden.
Nur wenige Beobachter hatten sich vor dem Untersuchungsausschuss vorstellen können, wie intensiv der Ausschuss in öffentlichen Sitzungen in Projekte und Vorgehensweisen der Nachrichtendienste mit den geladenen Zeugen eindringt. Noch längst sind aber nicht alle Fragen beantwortet, was man an den noch zu befragenden Zeugen erkennen kann. Offen ist auch die Frage, ob die NSA über Jahre versucht hat, Ziele in Europa aufzuklären, und dafür auch den BND mit Suchbegriffen – den sogenannten Selektoren – versorgt hat. Zwar hat der BND über die ganze Zeit deutsche Selektoren herausgefiltert, soweit dies möglich war. Suchbegriffe in Europa wurden jedoch eingesetzt und Ergebnisse auch an die Amerikaner weitergeleitet.
Vertrauen unter Partnern schafft dies nicht, aber vielleicht wird dadurch auch nur offensichtlich, dass Nachrichtendienste sich nicht untereinander vertrauen, sondern nur mit allen Mitteln im Ausland Erkenntnisse gewinnen wollen. Eine unmittelbare Wirtschaftsspionage kann man hierin nicht erkennen, aber natürlich lassen sich Erkenntnisse aus Politik und Wirtschaft in Europa für politische Weichenstellungen in den USA nutzen. Aber nicht nur in den USA – es bestehen keine Zweifel, dass die Geheimdienste anderer Staaten wie China, Russland oder Frankreich genauso bei uns spionieren.
Der NSA-Untersuchungsausschuss wird daher Empfehlungen geben, wie wir uns gegenüber ausländischen Nachrichtendiensten verhalten müssen und wie wir unsere Spionageabwehr aufzustellen haben. Der Blick auf das Thema der Selektoren zeigt aber, dass wir auch bei unseren Nachrichtendiensten sehr sorgsam Kompetenzen einräumen müssen. Wenn der Staat auf der einen Seite Eingriffe in Rechte der Bürger z.B. zum Schutz vor Terroristen für nötig erachtet, muss er auf der anderen Seite eine hinreichende exekutive und parlamentarische Kontrolle gewährleisten.
Wenn wir in Deutschland dieses Gleichgewicht erreichen, schaffen wir auch einen Vorteil für den Technologiestandort Deutschland. Während seit Jahren beinahe alle großen IT-Unternehmen in den USA sind, können Deutschland und Europa, durch ein klares Bekenntnis zum Datenschutz und verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen, international wieder interessanter werden.
Das politische Berlin ist wohl wie kaum ein anderer Ort der Welt interessant für Nachrichtendienste. Gleiches gilt für die Strukturen der organisierten Kriminalität. Bei ihnen geht es dann auch um Wirtschaftsspionage oder um die Schädigung der deutschen Wirtschaft im ganzen Land. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz geht davon aus, dass dort bereits jedes zweite Unternehmen Ziel von Ausspähattacken geworden ist. Der Bund schätzt den jährlichen Schaden für die deutsche Wirtschaft durch Spionage auf 50 Mrd. Euro. Die Wirtschaft hält diese Schätzung für untertrieben und geht von rund 100 Mrd. Euro Schaden jährlich aus. Seit den Veröffentlichungen von Edward Snowden und der damit zusammenhängenden Diskussion gibt es in der Wirtschaft eine intensive Diskussion um die Sicherheit der eigenen Daten. Wenn Forschung und Innovation die entscheidenden Erfolgsfaktoren unserer Wirtschaft sind, dann müssen wir die digitale Kommunikation sicherer machen. Dies gilt gerade für den Mittelstand, der die Basis unserer Wirtschaft ausmacht. Hier besteht noch viel Nachholbedarf.
Der NSA-Untersuchungsausschuss wird vielleicht nicht jeden befriedigen, der sich erhofft hat, dass geheimste Sachverhalte an die Öffentlichkeit gelangen. Er ist aber ein Kristallisationspunkt für gesellschaftliche Debatten rund um das Gleichgewicht von Sicherheit und Freiheit in der digitalen Welt. Von daher sollten wir ihn als Chance erkennen!
Neben weiteren gesetzlichen Regelungen im Bereich IT-Sicherheit, Datenschutz und den Umgang mit den großen IT-Unternehmen, wie Facebook und Google wird auch über die Überarbeitung der gesetzlichen Grundlagen für unsere Nachrichtendienste nachgedacht werden müssen. Vielleicht gelingt es ja sogar vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg zur Vorratsdatenspeicherung, das Thema Datenschutz und Privatheit mit Blick auf die Nachrichtendienste in ganz Europa auf die Agenda zu setzen.