Foto: ambrozinio | Shutterstock
Über die „Digitalisierung des Verkehrs“ läuft derzeit auch international eine hitzige öffentliche Diskussion in Wirtschaft, Politik und Medien, die sich mit einer Vielzahl von bekannten und neuen Schlagworten um einen gesellschaftlichen Dauerbrenner dreht: die Erhaltung einer umfassenden Mobilität von Menschen und Gütern in unserer modernen, innovationsoffenen, ressourcenschonenden und verantwortungsbewussten Welt. Bei der Suche nach den optimalen Strategien und Systemen sorgt ein wachsendes Akteursspektrum für eine Vielfalt, die schon Anzeichen einer dysfunktionalen Fragmentierung bei der Umsetzung für die gesamte Gesellschaft aufweist.
Die Diskursanalyse der letzten 20 Jahre von Kalifornien bis Europa und Deutschland über einen datengelenkten urbanen Straßenverkehr, über Smart Cities bis hin zum autonomen Fahren zeigt immerhin unverändert drei konstante Erwartungen auf: Die zeitraubenden Stauprobleme werden gelöst, die ökologische Nachhaltigkeit wird gesichert, und die Zahl der Verkehrsopfer wird reduziert. Niemand unter den Verkehrsexperten, den Akteuren der Wirtschaft, der Politikgremien, der Verkehrsbehörden und der Fachpublizistik kann an diesen vernünftigen Zielen auch nur einen Zweifel haben.
Sämtliche Verkehrsteilnehmer in allen Ländern teilen diese drei Zielvorstellungen, vom Autofahrer bis zum Fußgänger, Alte wie Kinder, selbst absolute Autogegner oder Smartphone- Abstinente sehen diese Prioritäten. Die Erreichung dieser Ziele ist von allen Akteuren in der „Verkehrstelematik“ schon vom Beginn der Diskussion in den Neunzigern an den „unaufhaltsamen technologischen Fortschritt“ geknüpft. Seit einigen Jahren stehen dafür die rasanten Leistungssteigerungen der „datenvernetzten künstlichen Intelligenz“, die in ihren Anwendungsmöglichkeiten weit über die längst akzeptierten „elektronischen Fahrzeugassistenten“ und „digitalen Verkehrsanzeigen“ hinausgehen. Die „vernetzte Digitalisierung“ kann über automatische Fahrerassistenz hinaus bereits im Probebetriebsstadium der autonomen Autos sogar den Menschen vom aktiven Fahrer zum passiven Passagier machen.
Die analysierten Diskussionen und Aktivitäten – in den USA gleichermaßen wie hierzulande – werfen die Fragen nach den erforderlichen Rahmenbedingungen für eine praktische Umsetzung in wachsender Komplexität auf. Nicht überraschend werden die entstandenen grundsätzlichen Rechtsfragen von der Haftung der „Datenbesitzer“ bis hin zum Datenschutz und Privatheitsschutz und bis hin zu Ethikfragen interdisziplinär erforscht und in klare Leitbilder umgesetzt werden.
Die Techniker und Informatiker arbeiten unter Hochdruck an den zwingend erforderlichen hohen Sicherheitsanforderungen. Verzweifelt zeigen sich hingegen die Finanzleute in Wirtschaft und Staat angesichts der immensen Vorleistungskosten. Überall in den Kommunen sitzt der Schock tief, dass viele smarte Lösungen ihren großen Investitionsschatten vorauswerfen.
Erstaunlich früh setzten auch im „Auto-Subkontinent“ USA, wo man ansonsten doch zunächst etwas pragmatisch ausprobiert und später erst unvermeidliche Regeln und Regulierungen aufsetzt, breit und tief angelegte, durchaus grundsätzliche Diskussionen ein. Europa mit seinen Millionen heimlich, aber vorschriftswidrig am Steuer genutzten Handys würde sich wundern, wie konsequent die US-Verkehrsbehörden an Vorschriften arbeiten, die beispielsweise das Problem der Ablenkung von Fahrern durch Smartphones mit steigenden Unfallfolgen lösen sollen. Das dort auch intensiv untersuchte Vigilanzproblem ist bei uns noch ein Spezialgebiet für wenige herausragende Experten. Viel zu wenig Aufmerksamkeit gilt in der gewohnten Pro-und-Kontra-Diskussion – etwa über Fahrzeugautonomie – der Tatsache, dass es in jedem Fall eine lang dauernde Übergangsphase geben wird, in der ein „Mischverkehr“ von dynamischen Fahrern und penibel auf die StVO programmierten Robot-Fahrern ganz neue Notwendigkeiten unter anderem für Signalisation, Sensorik und Aktorik mit sich bringt. Vergleichbares gilt für „intelligente“ Parkplatzbuchungen und „smarte“ intermodale Mobilitätsformen. Hier sind zweifellos neue strategische Ansätze erforderlich, die angesichts der Verflechtung mindestens europaweit zwingend zu gemeinsamen digitalen Infrastrukturen führen. Eine „EU-Plattform für Kooperative Intelligente Transportsysteme“ (C-IST) mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Behörden hat sich bereits Anfang 2016 auf einen „gemeinsamen Weg zu intelligenten Verkehrssystemen in Europa“ verständigt und will bis 2019 Grundlagen dafür schaffen, damit vernetzte Autos kommunizieren können. Aber auch diese wichtige Wegmarke zeigt die enormen Schwierigkeiten der verschiedenen Akteure – typischerweise der Kfz-Hersteller und der IT-Branche – hinsichtlich gemeinsamer Systemgestaltung auf. Weil weltweit – nicht nur bei Exportnationen – an innovativen Lösungen gearbeitet wird, müssen umgehend eine interdisziplinäre zeitstabile Expertise und ein geordneter Diskurs in Gang gesetzt werden, der anders als schlagwortzentrierte Kreislaufdiskussionen klare Umsetzungsziele mit Nutzenvergleichen und Zeitmarken aufweist.
Die Diskursanalyse zur digitalen urbanen Mobilität zeigt auch auf, dass die drei konstanten Erwartungen zur Staufreiheit, Nachhaltigkeit und Sicherheit keinesfalls allein mithilfe eines noch so umfassenden „Datenverkehrs“ (bis hin zu Big Data) erfüllt werden können. Wo zu viele Fahrzeuge auf zu kleiner Straßenfläche operieren müssen, bleibt nur der innovative Trost aus weltweiten Erfahrungen von Metropolen, von San Francisco bis Tokio, die Zeit im digital exakt prognostizierten Stau mithilfe von Digitalmedien nutzbringender oder wenigstens unterhaltsamer zu machen.
In unserem Studienbereich kann die neue DIVSI Studie „Digitalisierte urbane Mobilität: Datengelenkter Verkehr zwischen Erwartung und Realität“ eingesehen und heruntergeladen werden.