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Presse

Herzlich willkommen im Pressebereich des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI).

Das Institut ist an einen konstruktiven Dialog mit Medien-Vertretern interessiert. Unterlagen zu Publikationen Veranstaltungen und Diskussionsbeiträgen stehen zum Download bereit. Zusätzlich gibt es Gesamtpakete aller vorhandenen Pressematerialien sowie aller DIVSI Magazine.

Big Data in der Medizin – Antworten auf nie gestellte Fragen

2. Oktober 2015

Info-Abend des DIVSI zum Gesundheitstracking

Berlin, 02.10.2015 – Technische Geräte für Gesundheits-Tracking werden immer öfter von immer mehr Menschen genutzt. Sind diese digitalen Möglichkeiten treue Assistenten oder Trojaner an unserem Körper? Um diese Problematik ging es bei einer Diskussionsveranstaltung des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) im Berliner Meistersaal. Dr. Franz Bartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, kritisierte dabei, dass die „Diskussion über Big Data in der Medizin bisher noch ohne eine erkennbare strukturierte Zielrichtung“ abläuft: „Big Data wird unser gesellschaftliches Leben komplett umkrempeln. Die Digitalisierung in der Medizin erschlägt uns in ihrer Komplexität.“ Derzeit käme man nicht mehr nach, diese digitalisierte Medizin mit unseren analogen Verwaltungskriterien und Kommunikationsmethoden korrekt zu verwalten.

Bartmann, auch Vorsitzender des Ausschusses „Telematik“ der Bundesärztekammer: „Big Data liefert Antworten auf Fragen, die wir bislang nie gestellt haben. Die Chancen bestehen darin, dass wir neue Muster in der Entstehung von Krankheiten und in der Behandlung erkennen, von denen wir heute noch nicht ahnen, dass sie tatsächlich bestehen.“

Gleichzeitig würden die Wearables das klassische Verhältnis zwischen Arzt und Patient ändern: „Es ist nicht mehr der Arzt, der Daten beim Patienten erhebt, sondern der Patient bietet ihm Daten an.“ Gleichzeitig mahnte der Mediziner aber auch: „Gibt es nicht eigentlich ein Recht auf Nichtwissen?“ Negative oder kritische Daten, wenn sie denn überall zur Verfügung stehen, könnten dazu führen, dass Leute deshalb vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden.

Ministerialdirektor Oliver Schenk vom Bundesministerium für Gesundheit betonte: „Wir brauchen die Digitalisierung, gerade im Gesundheitswesen. Digitale Technologien und die Vernetzung der Akteure sind der Schlüssel für ein gutes und modernes Gesundheitswesen. Es ist überfällig, dass wir hier endlich Fortschritte erzielen.“

Es gehe jetzt darum, den Dialog zu führen und Lösungen zu finden. Schenk: „Dabei denke ich auch an die dringend notwendige Erweiterung des Kataloges abrechnungsfähiger telemedizinischer Leistungen.“

Technologie sei aber nur dann gut, wenn sie es schafft, sich in die Bedürfnisse der Menschen in einzufügen. Schenk: „App Entwickler sind deshalb klug beraten, den Kontakt mit dem Nutzer zu suchen.“ Gleichzeitig kündigte er an, dass das Gesundheitsministerium das Bündel anstehender Projekte „in Kürze durch die Aufarbeitung ethischer Fragestellungen erweitern“ werde.

Die Berliner Veranstaltung lief im Rahmen des Projektes „Braucht Deutschland einen digitalen Kodex“, an dem DIVSI und das Berliner iRightsLab seit 2013 arbeiten. Den Anstoß hierfür gab der frühere Bundespräsident Professor Dr. Roman Herzog, Schirmherr des DIVSI. Die grundlegende Frage ist mittlerweile positiv beantwortet worden. In der im Herbst 2014 gestarteten zweiten Phase des Projekts soll jetzt anhand der konkreten Themenbereiche „Recht auf Vergessenwerden“ sowie Big Data das Konzept eines digitalen Kodex in der Praxis ausgelotet werden.

DIVSI-Direktor Matthias Kammer in seiner Begrüßung: „Wenn wir anstehende Neuerungen, wie hier den Gesundheitsbereich, in Deutschland vom Kopf her betrachten, suchen wir sofort nach Risiken. Gleichzeitig lässt sich jedoch beobachten, dass viele Menschen das aktiv nutzen. Dieses Paradoxon findet man an vielen Ecken. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass mit Engagement und Begeisterung, aber auch mit geistiger Anstrengung versucht wird, Chancen und Risiken in diesem neuen Feld zusammenzubringen.“

Stephan Noller, der mit seinem Startup ubirch aktuell einen Digital-Tampon namens Trackle zur Zyklusmessung entwickelt, zeichnete die Zukunft der Wearables. Heute werden sie meistens von Menschen getragen, die ihren Körper sportlich verbessern wollen oder Anhänger der totalen Selbstvermessung sind. Auf der anderen Seite stehen Nutzer mit Risikokrankeiten, bei denen Wearables in der Telemedizin zur Überwachung von Messwerten eine Rolle spielen.

Aktuell arbeiten Unternehmen daran, dass Wearables in den Körper eingelassen werden können. Ein Prozess, an dessen Ende die Cyborgs stehen und sich über ihre Plugins unterhalten. Noller: „Wearables können im Extremfall Leben retten.“ Gleichzeitig warnte er vor einer Ausgrenzung der Menschen, die keine Wearables tragen und eben nicht durch gesundes Leben und Laufen die Bonuspunkte ihrer Kassen sammeln können. Solche Entsolidarisierungseffekte müssten energisch bekämpft werden.

Datenschützer Peter Schaar machte auf die hochproblematischen Nutzungsbestimmungen der Wearables aufmerksam: Fast alle kommen mit einem Blankoscheck auf den Markt, der den Herstellern bereits mit dem Verkauf eines Gerätes alle Nutzungsrechte an den Daten einräumt. Es sei sicher eine tolle Sache, wenn einem digitale Technik dabei hilft, in Fragen der Gesundheit mehr über seinen Körper zu erfahren. Schaar: „Ich finde es jedoch genauso wichtig, dass man seine Daten-Hoheit auch dann bewahrt.“

Dr. Dagmar Borchers, Professorin für Angewandte Philosophie an der Uni Bremen, warnte: „Wenn man etwas tiefer gräbt, sehe ich schon gravierende Fragen auf uns zukommen. Was haben wir eigentlich für ein Bild von Gesundheit oder Krankheit, wenn man das immer nur über diese Art von Zahlen definiert?“ Das sei zu einfach. Gesundheit habe ganz viel auch mit Biografie und dem sozialen Umfeld zu tun. Prof. Borchers: „Wir kriegen ein sehr flaches Verständnis von Gesundheit oder Krankheit.“

Burkhard Dümler, Director Development Digital Sports der adidas-Gruppe, zeigte den Trend auf: „Wir gehen vom reinen Sportbereich über in den Wellnessbereich, nicht unbedingt in den reinen Gesundheitsbereich aber doch. Natürlich hat das auch schon positive Effekte für die Gesundheitsvorsorge. Für uns bedeutet das jedoch eher, die Menschen sollen sich besser fühlen.“

Kai Burmeister, Teamleiter Versorgung-Verträge der AOK Nordost: „In Sachen Prävention hat man die unterschiedlichsten Mittel. Dazu gehören sicher auch digitale Instrumente.“ Eine solche Plattform sei die App AOK mobil vital ist eine Plattform, mit der sich das eigene Gesundheitsverhalten digital tracken lässt. Burmeister beruhigte Skeptiker gleichzeitig: „Die Daten, die dort gewonnen werden, landen nicht bei uns. Wir wissen nicht, wie viel Schritte der Versicherte läuft. Es geht darum, Menschen dazu zu bringen, ihr Gesundheitsverhalten auszubauen und ihnen dazu neue Medien und neue Möglichkeiten an die Hand zu geben.“

Allein die Fähigkeit zu reflektieren, wie man sich gesundheitlich verhalten kann, dürfte für den einzelnen Vorteile bringen. Burmeister im Hinblick auf Risiken der Wearables: „Wir sehen, dass diese digitalen Möglichkeiten derzeit einen Hype auslöse und die Menge an Angeboten immer weniger überschaubar wird.“ Hierin könne auch eine Gefahr im Hinblick auf die Qualität der Geräte liegen.

DIVSI-Direktor Matthias Kammer fasste den Info-Abend zusammen: „Es ist sichtbar geworden, dass es eine professionelle Seite gibt und eine persönliche Verhaltensseite. Wir stehen am Anfang der Frage, wie man das in Deckung bringt. Es geht jetzt darum, Chancen und Risiken konkret auf den Punkt zu bringen, in Spielregeln ausdrückt, in einen gesellschaftlichen Diskurs überführt. Wie gestalten wir gemeinsam unsere digitale Gesellschaft, wenn es um Gesundheitsfragen geht?“

Pressemitteilung: Big Data in der Medizin (421 KB)

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