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Themen: Vertrauen und Sicherheit im Internet Leitplanken in der digitalen Welt 

Geheimnisverrat und Vertrauensbruch

1. Juni 2012

Geheimnisverrat

Eine Gesellschaft ohne Diskretion, Loyalität und Geheimnisse wäre eine andere Gesellschaft

Von Dr. Göttrik Wewer

Vertrauen aufzubauen, ist nicht so einfach. Das gilt schon in der realen Welt, aber erst recht in der virtuellen Welt. Denn da können wir nicht immer sicher sein, dass derjenige, mit dem wir kommunizieren, auch wirklich der ist, für den er sich ausgibt. Wir kennen ihn nicht und wir sehen ihn nicht von Angesicht zu Angesicht. Wir wissen nicht, ob er gute oder böse Absichten hat. Leute, denen wir persönlich begegnen, können wir versuchen einzuschätzen: Macht die Person einen seriösen Eindruck, wie redet sie, wie benimmt sie sich?

Natürlich kann man sich dabei irren. Wenn Mörder wie Mörder aussehen würden und Betrüger wie Betrüger, dann wäre vieles leichter. Aber im Internet haben wir noch weitaus weniger Anhaltspunkte. Im Rechner sehen wir nur bestimmte Abfolgen von Buchstaben und Zahlen und selbst Fotos müssen nicht bedeuten, dass der andere, mit dem ich mich verabrede, wirklich so aussieht.

Noch aus einem zweiten Grund ist es im Internet noch schwieriger als im täglichen Leben, Vertrauen aufzubauen: weil es noch so neu ist und weil es sich ständig rasant verändert. Viele Firmen, die inzwischen alle kennen, sind erst wenige Jahre alt. Viele Angebote gibt es erst seit ein paar Jahren oder Monaten. Und ständig kommen neue Angebote hinzu. Uns fehlt also die Erfahrung, ob man diesen Anbietern wirklich vertrauen kann. Nicht nur uns selbst, sondern auch unseren Freunden und Bekannten.

Was Facebook, Google & Co. am Ende des Tages mit unseren Daten alles machen, wissen wir heute noch nicht. „Die Menschen müssen darauf vertrauen dürfen, dass die Technologie ihnen nutzt“, heißt es in der zweiten von sieben Thesen, auf deren Grundlage das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) arbeitet. Dazu gehört auch die Erwartung, dass vertraulich bleibt, was vertraulich bleiben soll.

Wir alle haben unsere größeren und kleineren Geheimnisse, von denen wir nicht möchten, dass andere sie erfahren. Das gilt für den einzelnen Menschen, für soziale Beziehungen, für Organisationen und für Institutionen, für Unternehmen wie für Ministerien. Die Welt ist voller Geheimnisse und noch immer voller Rätsel. Bei Geheimnissen handelt es sich um sensible Informationen, die für andere durchaus von Interesse sein könnten, die ihnen aber nicht bekannt sind.

Wenn Menschen, denen wir ein Geheimnis anvertraut haben, dieses verraten, dann können wir ihnen die Freundschaft kündigen oder die Scheidung einreichen. Wer Betriebsinterna ausplaudert oder Staatsgeheimnisse verrät, muss mit härteren Strafen rechnen. Unter das Betriebsgeheimnis fallen technische Aspekte der Produktion, unter das Geschäftsgeheimnis kaufmännische Aspekte. Beim Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen droht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe, in besonders schweren Fällen sogar eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Verrat ist ein besonders schwerer Vertrauensbruch, der die angenommene Loyalität verletzt.

Für staatliche Geheimnisse gibt es unterschiedliche Geheimhaltungsstufen. Über das „normale“ Amts- und Dienstgeheimnis hinaus – dass man nicht mit Dritten über dienstliche Angelegenheiten redet – sind das die Stufen: Vertraulich, Geheim, Streng Geheim („Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“). Wer solche Geheimnisse offenbart, muss ebenfalls mit Strafe rechnen. Die Aufgabe des strafrechtlichen Staatsschutzes (§§ 80 – 92 b StGB) besteht darin, den Bestand des Staates, seine Sicherheit und die verfassungsmäßige Ordnung zu schützen. Dabei unterscheidet man traditionell zwischen Hochverrat und Landesverrat: Hochverrat meint alle Straftaten, die sich gegen den inneren Bestand des Staates, also gegen die Staatsverfassung, die Staatsgewalt oder das Staatsoberhaupt richten, während Landesverrat alle kriegerischen und nichtkriegerischen Handlungen umfasst, die die äußere Sicherheit des Staates berühren.

Dass Verrat sich nicht gehört und geahndet werden muss, war bisher nicht strittig. Sonst gäbe es die Gesetze ja nicht, die Geheimnisse schützen sollen. Dass Unternehmen ihre Planungen, Entwicklungen und Innovationen schützen, und auch der Staat gewisse Informationen vertraulich behandelt, liegt eigentlich auf der Hand. Ohne den Informanten Vertraulichkeit zuzusichern, würde er bestimmte Informationen gar nicht erst bekommen. Ohne vertrauliche Gespräche, diskrete Sondierungen und verdeckte „back channels“ – zwischen West und Ost, zwischen Palästinensern und Israelis, zwischen NATO und Taliban – würden weder Politik noch Diplomatie funktionieren. Offenheit ist die Schwester der Vertraulichkeit. Und dass jeder von uns das eine oder andere private Geheimnis mit sich herumträgt, ist eigentlich auch bekannt: Der Mensch braucht, wenn er Mensch bleiben will, eine gewisse Privatsphäre, in die er sich zurückziehen kann. Hier kann er seinen Gefühlen – wie Angst, Scham oder Ärger – freien Lauf lassen, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Hier kann er seine Bedürfnisse ausleben. Zur Würde des Menschen gehört das Recht, frei darüber befinden zu können, ob und wie er in der Öffentlichkeit stattfinden will.

Inzwischen wird offensiv dafür geworben, Staatsgeheimnisse und Betriebsinterna auszuplaudern. Julian Assange, der Gründer von WikiLeaks, versteht seine Plattform als eine soziale Bewegung zur Aufdeckung von Geheimnissen, bevorzugt von Regierungen, von westlichen Regierungen, aber auch von Unternehmen. „Kollateralschäden“, also Gefahren für Leib und Leben betroffener Menschen, werden bei dem Streben nach totaler Transparenz in Kauf genommen.

Daniel Domscheit-Berg, Mitbegründer von WikiLeaks, aber dann im Streit geschieden und jetzt auf dem Weg, eine ähnliche Plattform („OpenLeaks“) aufzubauen, gesteht Individuen ein Recht auf Geheimnisse zu, nicht aber Firmen, Militärs und Regierungen. Diese würden Macht ausüben und deshalb müsse man sie anders betrachten. Hier werde „Geheimnisverrat zur Notwendigkeit“. Was „schlechte“ und was „gute“ Geheimnisse sind, soll offenbar jeder für sich selbst festlegen und nicht etwa an klaren Kriterien orientiert, gesetzlich geregelt oder demokratisch entschieden werden. Dass der Einzelne, wenn er sich nicht auf Recht und Gesetz berufen kann, auch das volle Risiko seiner Handlungen trägt, ist hoffentlich jedem klar. Immerhin plädiert er für „stärkere Gesetze“, um jene Geheimnisverräter, die Whistleblower, „vor Repressalien zu schützen“.

Das wollen auch die Piraten. Auch sie sehen im Whistleblowing eine Form von Zivilcourage, die unbedingt unterstützt und geschützt werden müsse. In diesem Sinne wenden sie sich gegen eine Einteilung in gute und in schlechte Geheimnisverräter und plädieren für einen „generellen und umfassenden Schutz für Whistleblower mit notwendigen Ausnahmen“ – was immer das heißen mag.

Früher gab es im Einzelfall ein gewisses Verständnis, bestimmte Interna öffentlich gemacht zu haben („Pentagon-Papiere“, Watergate), aber keine generelle Befürwortung von Indiskretionen, Illoyalität und Verrat. In jenen Fällen handelte es sich um eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit durch Amtsträger oder eindeutig um Machtmissbrauch. Für Illoyalität und Verrat gab es jedenfalls bisher – jenseits strafrechtlicher Normen – hohe moralische Hürden.

Eine Gesellschaft ohne Diskretion, Loyalität und Geheimnisse wäre eine andere Gesellschaft. Während die Piraten die Privatsphäre des Menschen noch verteidigen und nur für den Staat eine nahezu totale Transparenz wollen („Akteneinsicht für jedermann“), sind andere da schon weiter. „The age of privacy is over“, verkündet zum Beispiel kurz und bündig Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Es lohne sich nicht, die Privatsphäre zu verteidigen, schreibt der Blogger Christian Heller, denn dieser Kampf sei längst verloren.

Dass die Wortführer dieser Bewegung alles daran setzen, sich selbst möglichst wenig in die Karten gucken zu lassen, und dass Gruppierungen wie WikiLeaks oder Anonymus ihre eigenen Anhänger sicher nicht zu Indiskretionen, Illoyalität und Verrat aufrufen, obwohl sie gewiss auch Macht ausüben, gehört zur Ironie der Geschichte. Man meint, man gehöre zu den Guten. Und für die gilt natürlich nicht, was man von den anderen fordert.

Eine „Kultur des Misstrauens“, weil man stets damit rechnen muss, dass alles, was man sagt, schreibt und macht, öffentlich gemacht wird, wäre nicht geeignet, im digitalen Zeitalter Vertrauen und Sicherheit zu fördern. Und wer das „Ende der Privatheit“ und damit aller Geheimnisse als unausweichlich darstellt, versucht sich im Grunde einer öffentlichen Diskussion und demokratischer Entscheidung zu entziehen. Diesen Gefallen sollten wir ihm nicht tun.

Es bleibt dabei: „Verrat ist Vertrauensbruch“ (Margret Boveri).

Der Autor

Dr. Göttrik Wewer

Dr. Göttrik Wewer studierte Politikwissenschaft, Soziologie, Volkswirtschaftslehre, Öffentliches Recht und Neuere Geschichte in Braunschweig und Hamburg. Anschließend Tätigkeiten an der Universität Hamburg und als Geschäftsführer der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) und ab 1991 in der öffentlichen Verwaltung, u.a. in der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein und als Direktor der dortigen Verwaltungsfachhochschule. Von 2001 bis 2003 Staatssekretär im niedersächsischen Kultusministerium und von 2003 bis 2006 im Bundesministerium des Innern. Danach Staatsrat für Bildung und Wissenschaft bzw. für Inneres und Sport in Bremen und später Geschäftsführer der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA). Seit 2010 Vice President E-Government bei der Deutsche Post Consult GmbH.

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