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Haben wir Grund zur Angst?

10. Mai 2012

Haben wir Grund zur Angst?

Bild: Sergej Khackimullin – Fotolia

Die Datenschutz-Diskussion ist in eine Sackgasse geraten. Vieles behindert die notwendige Entbürokratisierung.

Von Prof. Dr. Hans Peter Bull

Neue Technik, die wir nicht durchschauen, macht uns unsicher. Vor den Produkten und Systemen der Informations- und Kommunikationstechnik stehen wir entweder fasziniert oder angstvoll. Es sind Apparate, die viel Nützliches können. Aber wir trauen ihnen auch Schlimmes zu – wir fürchten ihren Einfluss auf unser tägliches Leben, Pannen und Schäden durch Schlamperei, Fehlsteuerung und Missbrauch.

Während interessierte Unternehmen die Chancen ausmalen, die sich eröffnen, und IT-Freaks die „schöne neue Welt“ des Internets anpreisen, wird in Medien und Politik vornehmlich über die Risiken gesprochen. Die eine Seite erwartet vom Internet enormen wirtschaftlichen Aufschwung, eine lebendigere Demokratie und für den Einzelnen mehr Entfaltungsfreiheit durch Kontakte mit der ganzen Welt. Die andere aber sagt den Niedergang der Kultur und das Ende der Privatsphäre voraus.

Bei näherer Betrachtung steht uns weder das eine noch das andere bevor. Wir können die Risiken beherrschen und die Chancen angstfrei nutzen, wenn wir einen rationalen Zugang zu den Problemen finden. Dazu bedarf es einer

  • genauen Erkundung der tatsächlichen Verhältnisse – daran fehlt es vielfach
  • angemessenen Ordnung der Techniknutzung durch Rechtsnormen – davon haben wir mehr als die meisten wissen – oder durch soziale Normen, die von den Beteiligten und Nutzern selbst entwickelt werden
  • konsequenten Zurückdrängung negativer Entwicklungen, also vor allem der Durchsetzung der geltenden Regeln – hier hapert es noch gewaltig.

Die Probleme sind nicht technischer Art. Zu lösen sind vielmehr politische, soziale, wirtschaftliche oder psychologische Probleme, und zwar vor allem Durchsetzungsprobleme. Die Sorge davor, dass Maschinen die Menschen überwältigen, dass sie den Herren der Daten zu viel Macht über die Betroffenen vermitteln, dass die Freiheit der Meinungsäußerung gefährdet wird oder dass Fremde in die Rückzugsräume des Individuums eindringen – all das kann nicht durch technische Regeln ausgeräumt werden, sondern muss durch verbindliche Regeln des staatlichen Rechts oder durch Selbstregulierung der Beteiligten bewältigt werden. Alternative technische Gestaltungsweisen können solche Konflikte allenfalls abmildern

Deshalb ist die „Netzpolitik“ zu einem neuen Arbeitsfeld für Politiker aller Parteien geworden. Allenthalben entstehen Arbeitskreise und Initiativen, die für den Ausbau der Netze plädieren und über den Datenschutz in den sozialen Netzwerken nachdenken. Auf Parteitagen werden Beschlüsse zur „digitalen Demokratie“ gefasst, und die „Piraten“ haben mit ihrer Forderung nach „Freiheit im Internet“ erste Wahlerfolge erzielt. Jedoch: Allzu undurchsichtig erscheinen die verschiedenen Einwirkungen auf das „Kampf-Feld“. Wie viel Einfluss haben die Unternehmen, die das Internet betreiben und mit Inhalten bestücken? Geht es den Streitenden wirklich um Grundrechte oder nicht doch vor allem um Geld und Macht?

Besonders erbittert wird derzeit darüber gestritten, ob das Urheberrecht der Künstler und Autoren gegen das üblich gewordene illegale Herunterladen von Musik, Filmen und Texten durchgesetzt werden kann und soll. In den USA werden neue Gesetze vorbereitet; dabei stehen sich die Medienkonzerne, die über die Rechte an den Inhalten verfügen, und die Internetbetreiber, die ihr Geld mit Werbung verdienen, welche sie den inhaltlichen Angeboten hinzufügen, unversöhnlich gegenüber.

Ein anderes Beispiel: Wenn ein Staat bestimmte Internetseiten sperren will – z.B. weil sie Kinderpornografie enthalten –, wird ihm vorgeworfen, er betreibe Zensur. Und in der Tat gibt es ja Staaten, die ihre Bürger vom weltweiten Netz abschneiden, weil sie unliebsame Kritik fürchten. Im einen wie im anderen Fall sind Lösungen nötig, die den entgegengesetzten Interessen möglichst weit gerecht werden – Lösungen im Sinne einer „praktischen Konkordanz“ (Konrad Hesse) der kollidierenden Grundrechte. Das kann im ersten Fall eine neue (pauschalere) Form des Urheberrechts sein und im zweiten Fall statt der Sperrung die Löschung der verbotenen Bilder (so hat es die Internet-Gemeinde gegen die zuständige Bundesministerin geschafft: „Zensursula“ von der Leyen musste sich geschlagen geben).

Den Einzelnen aber treibt wohl stärker als diese Themen die Frage um, was mit den eigenen persönlichen Daten im Internet geschieht. Was machen Google, Facebook und Twitter mit all den Datenspuren, die wir hinterlassen? Wer sich genau umschaut, wird freilich feststellen, dass die meisten Horrorgeschichten, die über die Datensammlung im Netz verbreitet werden, nicht stimmen.

Richtig: Die Internet-Unternehmen speichern unzählige Angaben über die Personen, die ihre Webseiten aufsuchen, und stellen daraus Listen von User-Gruppen zusammen, die nach ihren bisherigen Einkäufen und ihren erkannten Vorlieben und Interessen geneigt sein könnten, neue Angebote anzunehmen. Alles dreht sich um Werbung und Marketing, denn davon „lebt“ das Internet und nur so werden die meisten Informationsangebote finanziert. Aber bedeutet das wirklich eine große Gefahr für die Privatsphäre? Verletzen gezielte Werbesendungen das Persönlichkeitsrecht?

Für mich ist die Verwendung von Personendaten zu Werbezwecken ein völlig harmloser Vorgang. Die Personen, deren „Profil“ dabei hergestellt wird, sind für die Unternehmen nicht mehr als Individuen von Interesse. Nur diejenigen Eigenheiten sind für die Wirtschaft relevant, die einen Bezug zu der angebotenen Ware oder Dienstleistung herstellen, und gerade nicht die Kombination persönlicher Eigenschaften, die den Einzelnen unverwechselbar macht. Nur wenn die Daten zu ganz anderen Zwecken verwendet werden, muss man um die Interessen der Betroffenen fürchten. Das aber ist gerade nicht erlaubt, und so läuft wieder alles auf die Durchsetzung der Regeln hinaus. Man kann trotzdem gegen die übermäßige Kommerzialisierung sein und den Missbrauch der eigenen Daten fürchten. Doch sollten diese Vorbehalte nicht dazu führen, dass etwas verboten oder unnötig erschwert wird, was an sich vernünftig oder wenigstens akzeptabel ist.

Die Datenschutz-Diskussion ist in eine Sackgasse geraten: Die vielfältigen Bemühungen, „mehr Datenschutz“ zu schaffen, laufen auf neue Rechtsnormen hinaus, stehen also quer zur notwendigen „Entbürokratisierung“. Zu dieser Fehlentwicklung hat auch das Bundesverfassungsgericht beigetragen – in Urteilen, die von Liberalen in Politik und Medien begeistert gefeiert worden sind, weil sie die vermeintliche Überwachungswut der Behörden einschränken. Die Karlsruher Richter haben versucht, die Menschen vor einem „diffus bedrohlichen Gefühl des Beobachtetseins“ zu schützen, für das es keine realistische Basis gab und gibt. Das damit geäußerte Misstrauen gegen die Sicherheitsbehörden macht deren Arbeit zwar nicht unmöglich, aber schwerer.

Die Europäische Kommission hat den Ehrgeiz, das Datenschutzrecht in der gesamten EU zu perfektionieren. Ihr Ende Januar dieses Jahres veröffentlichter Vorschlag einer EU-Datenschutz-Verordnung ist freilich ein Musterbeispiel dafür, was dabei herauskommt, wenn man ohne Gewichtung nach Relevanz „alles“ regeln und dabei immer „mehr“ Rechtsschutz für die Betroffenen, einführen will, ohne mit kollidierenden Rechten abzuwägen. Gut gemeint, aber als Ansammlung von Generalklauseln geradezu ein Anreiz zu Auslegungsstreitigkeiten, ein Konjunkturprogramm für Juristen. Über dieses Papier muss also noch sorgfältig beraten werden.

Der Autor

Prof. Dr. Hans Peter Bull

Prof. Dr. Hans Peter Bull (*1936) studierte von 1956 bis 1960 Rechtswissenschaft in Hamburg, Marburg und an der Freien Universität Berlin. Es folgten 1963 die Promotion zum Doktor der Rechte und 1966 das zweite Staatsexamen. 1972 habilitierte sich Bull für Staats- und Verwaltungsrecht und war als Professor für öffentliches Recht an der Uni Hamburg tätig. 1978 wurde er zum ersten Bundesbeauftragten für den Datenschutz berufen. Dieses Amt hatte er bis 1983 inne, nahm dann wieder seine Tätigkeit als Professor an der Uni Hamburg auf. 1988 bis 1995 übernahm Hans Peter Bull das Amt des Innenministers von Schleswig-Holstein. Danach wirkte er erneut als Professor an der Universität Hamburg. Seit 2002 ist er im Ruhestand. Von 1997 bis 2003 war er stellvertretender Vorsitzender der Bundesschiedskommission der SPD. In den Jahren 2002 bis 2006 fungierte er als Präsident der Deutschen Sektion des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften.

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