Einführung

Das „Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet“ (DIVSI) hat sich zum Ziel gesetzt, die Entwicklung eines sicheren und vertrauenswürdigen Wirtschafts- und Sozialraums Internet zu fördern. Alle hierfür notwendigen Aktivitäten erfordern ein vertieftes Verständnis darüber, wie und warum sich die Menschen in diesem Raum bewegen, welche Motive und Barrieren die Nutzung bestimmter Internetangebote steuern und welches Sicherheitsverständnis und welche Sicherheitsbedürfnisse hieraus resultieren.

Zwar existieren bereits einige Untersuchungen zur Internet-Nutzung, die auch das Thema Sicherheitswahrnehmung fokussieren, jedoch besteht aufgrund der rasanten Entwicklung der Bedarf nach aktuellen Studien, die sich vertiefend und differenziert mit diesen veränderten Herausforderungen auseinandersetzen. Insbesondere wird es in Zukunft nicht mehr nur um die Frage gehen können, wer online ist und wer nicht, sondern vor allem darum, wer sich wie im Netz bewegt, welche Motive und Sicherheitsbedenken hierbei relevant sind und welche Ansprüche hinsichtlich Sicherheit und Datenschutz im Internet jeweils damit verbunden sind. DIVSI hat deshalb das Sinus-Institut in Heidelberg mit einer sozialwissenschaftlichen Grundlagenstudie beauftragt, die erstmals die unterschiedlichen Zugangsweisen zum Thema Sicherheit und Datenschutz im Internet in Deutschland in einer bevölkerungsrepräsentativen Typologie differenziert und die aufzeigt, wie Verantwortung und Vertrauen im Internet gefördert werden können. Die Studie wurde im Januar 2012 abgeschlossen. Ihre Ergebnisse, über die im Folgenden berichtet wird, liefern eine verlässliche Grundlage für eine fundierte Diskussion und die Entwicklung von Handlungsoptionen für die unterschiedlichen Nutzertypen.

Hintergrund und Aufgabenstellung der Studie

Vier Fünftel der Deutschen ab 14 Jahren haben heute einen Zugang zum World Wide Web. Die Zahl der Nutzer hat sich in den letzten zehn Jahren praktisch verdoppelt. Das Internet hat sich von einem rein technischen Angebot (Datenkanal) immer mehr zu einem erweiterten Lebensraum der Menschen entwickelt. Viele Alltagshandlungen – seien sie beruflich oder privat bedingt – finden mittlerweile auch oder sogar ausschließlich online statt. Entsprechend erweitern sich nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken und Unsicherheiten – insbesondere was den Umgang mit persönlichen Daten betrifft.

So vielfältig wie die daraus erwachsenden Möglichkeiten sind die Einstellungen der Menschen zum Thema Vertrauen und Sicherheit im Internet. Sie reichen von Ignoranz und Unbekümmertheit bis hin zu umfassendem Problembewusstsein und entsprechenden Forderungen an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. In jedem Fall aber betrifft das Thema alle Bevölkerungsgruppen, auch diejenigen Menschen, die sich noch nicht oder nur selten im Internet aufhalten.

Auf der Basis einer Grundlagenstudie sollte aufgezeigt werden, welche Meinungen und Vorstellungen es zu diesem Thema in der Bevölkerung (bei Offlinern ebenso wie bei Onlinern) gibt, welche datenschutz- und sicherheitsrelevanten Einstellungs- und Verhaltenstypen (Internet-Milieus) in Deutschland existieren, wie sie sich in der Bevölkerung verteilen und wie stabil sie sind. Ziel der Untersuchung war es, eine gültige, bevölkerungsrepräsentative Typologie zum Thema Vertrauen und Sicherheit zu entwickeln, die das Spektrum der Einstellungen, Wertvorstellungen und Verhaltensweisen im Umgang mit dem Internet widerspiegelt. Mit Hilfe dieser Typologie lassen sich Handlungsempfehlungen für Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft ableiten und zielgruppenoptimierte Anspracheformen entwickeln.

Im Sinne eines ganzheitlichen Zielgruppenansatzes wurden zunächst die in der Bevölkerung verbreiteten Meinungen, Vorstellungen und Verhaltensweisen zu Typen gebündelt und diese dann auf das Gesellschaftsmodell der Sinus-Milieus®1 abgebildet. Dadurch war es möglich, den unterschiedlichen lebensweltlichen Hintergrund der Typen, d. h. ihre Werthaltungen und Lebensstile, in die Analyse mit einzubeziehen und sie ganzheitlich zu verstehen und zu beschreiben: Internet-Milieus.

Entsprechend wurde ein zweistufiges methodisches Vorgehen gewählt. In einer ersten Erhebungsphase hat das Sinus-Institut im Rahmen einer qualitativen Leitstudie 60 Explorationen in allen Bevölkerungsmilieus durchgeführt. Ergebnis waren vertiefte Befunde darüber, welche Einstellungsdimensionen (Sorgen, Risiken, Bewusstheiten, Anforderungen) aus Sicht der Bevölkerung von Bedeutung sind und welche unterschiedlichen milieuspezifischen Zugangsweisen es zum Thema Vertrauen und Sicherheit im Internet gibt.

Auf der Basis dieser Erkenntnisse wurde die nachfolgende Hauptstudie konzipiert, deren Aufgabe die Identifikation, Messung und Beschreibung sicherheits- und datenschutzspezifischer Typen war. Die Stichprobe (2.000 Fälle) ist repräsentativ für die Grundgesamtheit der deutschen Wohnbevölkerung ab 14 Jahren. Die Datenerhebung erfolgte in den Monaten September und Oktober 2011. Diese Erhebung ist die empirische Grundlage für das zentrale Ergebnis der Studie: die sieben Internet- Milieus zu Vertrauen und Sicherheit im Netz.

Forschungsfragen

Die Aufgabenstellung der Studie wurde in die folgenden Forschungsfragen übersetzt. Diese waren zugleich die Leitfragen für die Entwicklung der in den qualitativen und quantitativen Interviews eingesetzten Fragebögen.

Wahrnehmung von Vertrauen und Sicherheit im Internet

  • Wem wird Vertrauen im Umgang mit den eigenen Daten entgegengebracht? Unter welchen Bedingungen entsteht Vertrauen? Was bedeutet überhaupt Vertrauen im Internet?
  • Welchen Stellenwert hat das Thema Sicherheit im Internet heute im Bewusstsein der Menschen?
  • Welchen Stellenwert haben Datensicherheit und Datenschutz im Vergleich mit anderen sicherheitsrelevanten Bereichen?
  • Welche Bedeutung hat die Privatsphäre im Alltagsleben der einzelnen Zielgruppen? Wie gehen die Menschen mit ihrer Privatsphäre im Internet um?
  • Inwieweit ist man sich der Offenlegung seiner Privatsphäre bewusst? Was akzeptiert man, welche Grenzen setzt man, welche Risiken geht man ein?
  • Wie ist das Wissen über die Thematik entstanden? Woraus speisen sich die Meinungen und Urteile in Bezug auf Sicherheit im Internet?
  • Inwieweit gibt es ein Bewusstsein bezüglich Datenmissbrauch? Wie konkret werden Gefahren wahrgenommen, welche werden genannt? Wie groß sind die Unsicherheit und die Unwissenheit?
  • Welchen Anspruch an Sicherheit (im Internet und anderswo) haben die verschiedenen Zielgruppen?
  • Führen die jüngsten Skandale um Datendiebstahl bzw. Datenmissbrauch zu Einstellungsänderungen bzw. Bewusstseinsveränderungen und zu Veränderungen des Internet-Verhaltens?
  • Inwieweit herrscht Misstrauen in Bezug auf die Zuverlässigkeit von Informationen, in Bezug auf die Abwicklung von Geschäften, in Bezug auf politische Inhalte etc.?
  • Wie werden netzpolitische Aktivitäten und Gruppen im Internet wahrgenommen und beurteilt?

Verhaltensweisen in Bezug auf Sicherheit und Datenschutz im Internet

  • Wie nutzen die verschieden Zielgruppen das Internet?
  • Welche Verhaltensmuster lassen sich im Umgang mit dem Internet in Bezug auf Sicherheitsfragen erkennen? Worauf achtet man?
  • Wie hat sich der Begriff der Privatsphäre durch das Internet und insbesondere auch das Web 2.0 verändert?
  • Hat sich das sicherheitsrelevante Verhalten im Internet im Laufe der Onliner-Biografie (aufgrund von E-Banking, Internet-Shopping etc.) verändert?
  • Inwieweit werden Sicherheitsprodukte (Virenscanner, Firewall, Verschlüsselung, elektronische Signatur, biometrische Identifizierung etc.) genutzt und inwiefern vertraut man diesen?
  • Welche Meinungen gibt es bezüglich des Schutzes von Urheberrechten (z. B. Musik-Download) im Internet?

Sicherheitsrelevante Wünsche und Anforderungen

  • Welchen Webseiten, Dienstleistungen, Angeboten und Akteuren im Internet vertraut man und warum? Welchen Akteuren wird mit Misstrauen begegnet und aus welchen Gründen?
  • Wer ist für die Sicherheit im Internet verantwortlich (Individuum, Staat, Unternehmen)? Welche Aufgabe hat der Staat? Wird der Staat als Bedrohung oder eher als Schutz wahrgenommen?
  • Fordert man gesetzliche Regelungen, um Kriminalität (z. B. Kinderpornographie) zu unterbinden?
  • Wie groß ist der Wunsch nach einer (staatlichen) Regulierung des digitalen Raums? Welche Art der Regulierung wünscht man sich, welche lehnt man ab?
  • Welche Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit stellt man an Unternehmen?
  • Wie sollten Sicherheitszertifikate für Angebote im Internet beschaffen sein?
  • Was bedeutet Freiheit des Internets für die verschiedenen Zielgruppen?

Es ging also wesentlich um die Frage, wie die neuen interaktiven Möglichkeiten des Netzes heute verstanden und gelebt werden, wie mit Daten und den damit verbundenen Risiken umgegangen wird und wie sich verschiedene Gruppen der Bevölkerung darin unterscheiden.

Der vorliegende Bericht gibt darauf Antworten, zeigt das Spektrum der hinsichtlich Sicherheit und Vertrauen relevanten Einstellungen und Anforderungen auf, stellt in Form eines praktischen „Nachschlagewerks“ für jede Zielgruppe die typischen Erkennungsmerkmale bereit und fasst die jeweiligen lebensweltlichen und internetbezogenen Orientierungen bündig zusammen.

  1. Die Sinus-Milieus® sind das Ergebnis von drei Jahrzehnten sozialwissenschaftlicher Forschung. Ausgangspunkt ist die Lebensweltanalyse unserer Gesellschaft. Die Sinus-Milieus gruppieren Menschen, die sich in ihrer Lebensauffassung und Lebensweise ähneln. []