Forschungsdesign: Methoden und Stichprobe

Die grundsätzliche Zielrichtung des Projekts und seine Erkenntnis-Interessen, die sowohl auf ein vertieftes Verstehen als auch auf ein zuverlässiges Zählen und Messen gerichtet waren, erforderten einen breit angelegten Forschungsansatz, der qualitative und quantitative Methoden kombiniert. Insbesondere mit Blick auf die wissenschaftliche Gültigkeit und die operative Umsetzbarkeit der angestrebten Zielgruppen-Typologie wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt.

In einer ersten Erhebungsphase wurden im Rahmen einer qualitativ-psychologischen Leitstudie 60 Explorationen in allen Bevölkerungsmilieus durchgeführt. Aufbauend auf den Erkenntnissen aus dieser Untersuchung wurde dann gezielt die nachfolgende quantitative Hauptstudie konzipiert, deren Aufgabe es ist, auf der Basis einer bevölkerungsrepräsentativen Befragung Einstellungstypen zu Vertrauen und Sicherheit im Internet zu identifizieren und zu beschreiben.

Die nachfolgende Grafik gibt einen Überblick über das Forschungsdesign.

Forschungsdesign

Die qualitative Leitstudie

Die in der ersten Projektphase durchgeführte Erhebung basiert auf einem qualitativ-psychologischen Ansatz. Ziel war es, unverfälschte Befunde darüber zu gewinnen, welche Einstellungen und Erwartungen im Themenfeld aus Sicht der Bevölkerung von Bedeutung sind und welche unterschiedlichen milieuspezifischen Zugangsweisen es zum Thema Vertrauen und Sicherheit im Internet gibt. Die eingesetzten Methoden mussten deshalb eine umfassende, in die Tiefe gehende Analyse der Wahrnehmungs- und Erlebnismuster unterstützen und die Erfassung der hinter sozialen Normen und Klischees stehenden Bedürfnisse, Haltungen und Motive ermöglichen.

Um alle relevanten Dimensionen zum Thema zu erfassen, waren non-direktiv geführte Einzel-Explorationen die Methode der Wahl. Diese arbeiten nach dem didaktischen Prinzip, den Befragten Raum zu geben, ihre Wahrnehmungen, Meinungen und Emotionen in ihrer natürlichen Alltagssprache zu schildern und unbeeinflusst von strukturierten Vorgaben all das zum Ausdruck zu bringen, was aus ihrer subjektiven Sicht von Bedeutung ist.

Um dennoch zu gewährleisten, dass alle für die Beantwortung der Forschungsfragen relevanten Aspekte im Verlauf des Interviews zur Sprache kommen, wurde ein Gesprächsleitfaden eingesetzt, der die Erhebungsthemen vorstrukturierte. Auf diese Weise konnten die Interviewer noch einmal gezielt Gesprächsimpulse zu einzelnen Aspekten setzen, die spontan nicht angesprochen wurden. Der Gesprächsleitfaden basierte auf einem vom DIVSI erstellten ausführlichen Briefing, auf einer vorgängigen Durchsicht der relevanten Literatur und auf einer gezielten Sekundär-Auswertung einschlägiger Daten aus den Markt-Media-Studien Typologie der Wünsche1 und Verbraucher Analyse2.

Die narrativen Interviews wurden von speziell ausgebildeten, mit dem Thema Internet vertrauten Mitarbeitern des Sinus-Instituts im Juni und Juli 2011 – regional gestreut – in Nord-, West-, Süd- und Ostdeutschland durchgeführt. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet und anschließend vom Projektteam inhaltsanalytisch entsprechend der Methode der hermeneutischen Text-Interpretation ausgewertet.

Insgesamt wurden 60 Einzel-Explorationen durchgeführt. In jedem der zehn Sinus-Milieus wurden drei männliche und drei weibliche Personen interviewt. Um die relevanten Einstellungen zum Thema Vertrauen und Sicherheit im Internet zu erfassen, wurden in der Stichprobe sowohl Onliner als auch Offliner berücksichtigt, wobei sich die milieuspezifische Verteilung dieser beiden Gruppen an der Internet-Penetration der einzelnen Sinus-Milieus orientierte.

Daraus ergab sich nebenstehender Stichprobenplan:

Stichprobe der qualitativen Untersuchung

Nutzung des Internets im Milieu-Vergleich

Die Ergebnisse der Studie sind gültig im Sinne inhaltlicher Relevanz und Typizität. Aufgrund des qualitativ-ethnologischen Forschungsansatzes und der eingesetzten sensiblen Methoden können valide Aussagen schon auf vergleichsweise kleiner Stichprobenbasis gewonnen werden. Weil zudem über die Sinus-Milieu-Quotierung das gesamte Spektrum der Lebenswelten berücksichtigt wurde, sind alle relevanten Wahrnehmungsmuster und Einstellungsdimensionen vertreten.

Parallel zur Explorationsuntersuchung wurde in einer anderen, ebenfalls nach Sinus-Milieus quotierten Stichprobe eine fotografische Erhebung durchgeführt. Um die unterschiedlichen Lebensstile zu veranschaulichen, hat das Sinus-Institut für jedes Milieu zwei typische Fallbeispiele ausgewählt und deren Wohnwelten fotografiert. Für jeden Fall wurde ein Kurzportrait und eine Fotoserie zusammengestellt, die wichtige Motive aus dem Alltag der Befragten darstellt. Dieses Bildmaterial wurde später für die Illustration der Typen und ihrer Alltagsästhetik verwendet.

Die Repräsentativ-Erhebung

Auf der Basis der differenzierten Befunde der qualitativen Untersuchung (Motive, Barrieren und Funktionen der Internet-Nutzung, Einstellungen zu Sicherheit und Datenschutz, Sicherheitsstrategien, Zuschreibung von Verantwortlichkeiten etc.) wurden gruppenspezifisch unterschiedliche Zugänge zu Digitalisierung und Sicherheit herausanalysiert und daraus die relevanten Dimensionen abgeleitet, in denen sich die verschiedenen Bevölkerungsgruppen signifikant unterscheiden:

Relevante Dimensionen für die Typenbildung

In Bezug auf Vertrauen und Sicherheit im Internet

Die verschiedenen Themenbereiche mussten dann so operationalisiert werden, dass sie in der nachfolgenden standardisierten Breitenerhebung abgefragt werden konnten. Dazu wurden die entscheidenden Themenaspekte in Fragen und Antwortvorgaben, Einstellungsstatements, Listen und Skalen übersetzt.

Vor ihrem Einsatz in der Repräsentativ-Befragung wurden die neu formulierten Erhebungsinstrumente zunächst einem explorativen Pretest unterzogen, um ihre Validität im Sinne von Verständlichkeit, semantischer Eindeutigkeit, inhaltlicher Passung und Akzeptanz durch die Befragten zu prüfen. In den 25 durchgeführten offenen Pretest-Interviews, die nach Alter, Geschlecht, Bildung und Internet-Nutzung breit gestreut waren, wurde darüber hinaus die Handhabbarkeit des Fragebogens untersucht, das heißt u. a. die Filterführung, die Sukzession der Fragen, die Plausibilität der Antwortskalen, der Zeitbedarf etc. Auf der Basis der Erkenntnisse aus dem Pretest wurden anschließend die Fragen-Instrumente noch einmal überarbeitet und optimiert.

Der endgültige Fragebogen beinhaltete die folgenden Themenbereiche:

Themen-Inventar des Fragebogens für die Repräsentativ-Erhebung

  • Vertrauen und Sicherheit im Internet im Kontext weiterer Sicherheitsthemen
  • Selbsteinschätzung Internet-Kompetenz
  • IT-Ausstattung und Besitz
  • Internet-Nutzung und Access
  • Online-Aktivitäten
  • Mobile Internet-Nutzung
  • Sicherheitsbedenken/Sicherheitslevel
  • Motive und Barrieren:
  • Online-Banking/Online-Shopping/ Soziale Netzwerke/Online-Kontakt zu Ämtern und Behörden
  • Einstellungen zu Datensicherheit/ Sicherheitsprogramme
  • Vertrauen schaffende Institutionen/ Marken
  • Typendifferenzierende Einstellungen (parallelisierte Versionen für Onliner und Offliner)
  • Viralitätsindex
  • Milieu- und Trend-Indikator (Diagnose der Milieu-Zugehörigkeit und Verortung in der soziokulturellen Dynamik)
  • Soziodemografie 

In den Monaten September und Oktober 2011 wurde vom Feldinstitut Ipsos Observer in Mölln mit diesem Fragebogen eine bundesweite Repräsentativ-Erhebung durchgeführt. Befragt wurden im Rahmen einer computergestützten Face-to-face-Umfrage insgesamt 2.047 Fälle (ungewichtete Fallzahl – gewichtet: 2.000 Fälle).

Die Stichprobe ist repräsentativ für die Grundgesamtheit der Deutsch sprechenden Wohnbevölkerung in Privathaushalten ab 14 Jahren in Deutschland. Gezogen wurde an 300 Erhebungspunkten eine repräsentative, mehrstufig geschichtete Zufallsstichprobe von Haushalten auf Basis des ADM Mastersamples, die nach Transformation in eine Personenstichprobe per soziodemografischer Gewichtung an die amtliche Statistik angeglichen wurde. Für die Befragung wurden 279 Interviewer eingesetzt. Die Dauer des Interviews betrug durchschnittlich 49 Minuten. Mit den 2.047 realisierten Interviews wurde eine Ausschöpfung von 67 Prozent erreicht.

Datenauswertung

In dem vom Feldinstitut gelieferten, geprüften und gewichteten Befragungsdatensatz wurden anschließend vom Sinus-Institut bivariate und multivariate Auswertungen vorgenommen. In einem ersten Schritt wurde die Milieu-Zugehörigkeit der Befragten ermittelt und ihre Verortung im Sinus-Trendmodell berechnet. Damit war eine Kreuztabellierung des Fragenprogramms nicht nur nach klassischen soziodemografischen Merkmalen (wie Geschlecht, Altersgruppen, Bildungsniveaus, Einkommensklassen etc.) möglich, sondern auch nach Sinus-Milieus und soziokulturellen Orientierungen. Bereits in diesen bivariaten Analysen wurden typologisch relevante Gruppenunterschiede erkennbar.

Bestandteil des Sinus-Trendmodells sind zwölf Basis-Strömungen, die die aktuellen Grunddynamiken des soziokulturellen Wandels beschreiben, d. h. relevante Veränderungen im Denken, Fühlen und Handeln, in Lebenszielen, Werten und Grundbedürfnissen zusammenfassen.

Kurzcharakteristik der Basis-Trends

Grundlage der Sinus-Trendforschung ist ein kontinuierliches Monitoring der vielfältigen Trend-Phänomene, die Analyse der dahinterliegenden Motive, Bedürfnisse und Erwartungen, ihre Verdichtung im Sinne von soziokulturellen Basis-Trends sowie deren empirische Fundierung durch Operationalisierung und bevölkerungsrepräsentative Messung. Berücksichtigt werden dabei sowohl Trends, die neue Ressourcen und Potenziale aufzeigen, als auch Trends, die Defizite und Gegenbewegungen zur Modernisierungsdynamik markieren.

Die Struktur der Einstellungslandschaft

Ausgangspunkt für die Zielgruppenbestimmung und Basis der dazu durchgeführten multivariaten Analysen war eine aus den Ergebnissen der qualitativen Leitstudie abgeleitete Statement-Batterie mit Aussagen zum Internet sowie zu Sicherheit und Datenschutz (siehe den untenstehenden Kasten).

In einem ersten Analyse-Schritt wurde eine Faktorenanalyse der Einstellungsbatterie durchgeführt3, um die hinter den Einzelmeinungen stehenden grundlegenden Einstellungsfaktoren zu bestimmen. Lösung der Wahl war ein Acht-Faktorenmodell mit insgesamt 53 Prozent Varianzaufklärung. Es wurden verschiedene Lösungen berechnet, die aber in allen Fällen zu strukturell ähnlichen Grundfaktoren führten.

Themenbereiche der zentralen Einstellungsbatterie

  • Digitalisierungslevel
  • Wissensstand
  • Initiativniveau
  • Gefühlte Souveränität
  • Sicherheitsbedürfnis
  • Verantwortungskonzept
  • Markenbewusstsein
  • Gesellschaftliche Relevanz

Die  ermittelten  Grundeinstellungen  zum  Thema  Sicherheit  und  Datenschutz  im  Internet lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Einstellungsfaktor

Interpretation

@home/Souveränität im Internet

Typische Statements
  • Ein Leben ohne Internet wäre für mich persönlich nicht vorstellbar.
  • Ich kenne mich gut genug aus, um den Gefahren im Internet aus dem Weg zu gehen.
  • Beherrschung des Internets, Web-Expertise, im Netz zu Hause
  • Internet-Begeisterung, Web-Addiction
  • Selbstvertrauen, subjektive Sicherheit

Freiheit im Web

 Typische Statements
  • Wir müssen uns an einen freieren Umgang mit Daten im Internet gewöhnen.
  • Ich finde es gut, dass jeder, der will, im Internet etwas veröffentlichen kann und so ein Gegengewicht zur Macht von Medien und Konzernen entsteht.
  • Freiheit des Internets als Chance und Herausforderung
  • Liberale Grundhaltung, Deregulierungs-Optimismus
  • Web-Demokratie, Grassroots-Idealismus

Überwachung/Kontrolle

 Typische Statements
  • Mir ist es wichtig, dass der Staat aktiv für Sicherheit im Internet sorgt.
  • Anbieter und Dienstleister im Internet sollten verpflichtet werden, die Haftung für Schäden zu übernehmen.
  • Aktive Sicherheitsorientierung aufgrund von Misstrauen und Gefühl der Bedrohung
  • Schutzbedürfnis, Wunsch nach garantierter Sicherheit
  • D Tendenz zur Reglementierung, Maßnahmen-Gläubigkeit, Kontrollwahn

Sorglosigkeit 

 Typische Statements
  • Mir persönlich ist es egal, was mit meinen Daten im Internet geschieht.
  • Neue Angebote und Entwicklungen im Bereich Internet probiere ich immer sofort aus.
  • Kein Gefahrenbewusstsein, keine Sicherheitsängste, optimistische Grundhaltung
  • Bedenkenlosigkeit, Arglosigkeit
  • Fun-Orientierung, Easy Going, „Relaxed im Web“

Selektives Vertrauen  

Typische Statements
  • Ich verlasse mich hauptsächlich auf die gängigen Schutzprogramme und fühle mich damit sicher.
  • Internet-Angeboten von staatlichen Einrichtungen kann man vertrauen.
  • Vertrauen in seriöse Absender, Quellenvertrauen, Markenvertrauen
  • Vertrauensvorschuss aufgrund von Bekanntheit und Größe/Präsenz
  • Datenschutzoptimismus, hohe Misstrauensschwelle 

Delegation/Beschränkung

Typische Statements
  • Um Datensicherheit im Internet kümmere ich mich nicht aktiv, das machen andere für mich.
  • Ich bin bereit, auf bestimmte Freiheiten im Internet zu verzichten, um mehr Sicherheit zu bekommen.
 

  • Nicht zuständig/verantwortlich aufgrund mangelnder Kompetenz und Selbstsicherheit
  • Delegation von Verantwortung für Sicherheit und Datenschutz im Internet an Experten/Institutionen
  • Selektive Nutzung, Vorsicht/Wachsamkeit und Selbstbeschränkung

Skepsis/Distanz

Typische Statements
  • Bis man sich im Internet sicher fühlen kann, ist es noch ein langer Weg.
  • Die Vorstellung, dass vieles in Zukunft nur noch über das Internet erledigt werden kann, macht mir Angst.
  • Distanz und Misstrauen gegenüber dem Medium Internet, Ablehnung der Digitalisierung
  • Illusionslosigkeit/Skepsis in Sicherheitsfragen
  • Vermeidungsverhalten, Hilflosigkeit, Resignation

Eigenverantwortung/Haftung

Typische Statements
  • Internet-Nutzer sollten für Schäden haften, wenn ihr PC nicht genügend gesichert ist und somit andere PCs gefährdet.
  • Für Datenschutz im Internet ist jeder selbst verantwortlich.
  • Einerseits Übernahme von Verantwortung, Risiko-Akzeptanz, Streben nach Autonomie und Selbstbestimmung
  • Andererseits Befürchtung von Schäden, Plädoyer für Verursacher-Haftung

 

In diesem Einstellungsspektrum zeigen sich sehr unterschiedliche Haltungen zum Medium Internet und zur Problematik von Vertrauen und Sicherheit im Internet, die auf deutliche Mentalitätsunterschiede innerhalb der Bevölkerung hinweisen.

Aus der nachfolgenden Übersicht lässt sich die Verbreitung der Einstellungsfaktoren4, d. h. ihr Gewicht bzw. ihre Reichweite bei Onlinern und Offlinern ablesen. Alle Einstellungen, die Distanz und Unbehagen gegenüber dem Internet ausdrücken, sind weit verbreitet in der Bevölkerung, insbesondere das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle ist sehr ausgeprägt. Bei einem Vergleich der beiden Teilgruppen zeigt sich erwartungsgemäß eine größere Reichweite der Faktoren bei den stärker involvierten Onlinern. Ausnahme ist der Einstellungsbereich Skepsis/Distanz, der bei Offlinern den stärksten Faktor darstellt.

Verbreitung der Einstellungsfaktoren

Onliner und Offliner

Die Typenbildung

Zentrale Aufgabe des Forschungsprojekts war die Erarbeitung einer Einstellungstypologie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet, d. h. die Bestimmung strategisch bedeutsamer Zielgruppen für die gesellschaftlich-politische Maßnahmenplanung, das Themen-Marketing und die auf mehr Vertrauen und Sicherheit im Internet gerichtete Aufklärungskommunikation. Das erforderte den Aufbau eines ganzheitlichen Zielgruppenmodells, das Motivationsanalyse (Einstellungstypen) und Lebensweltanalyse (Sinus-Milieus) kombiniert:

  • Die Einstellungstypologie fasst die zum Thema Sicherheit und Datenschutz im Internet bestehenden Bedürfnisse, Erwartungen und Motive in einer überschaubaren Klassifikation zusammen und liefert damit eine valide Grundlage für konzeptionelle Planungen.
  • Die Sinus-Milieus repräsentieren die real existierenden Lebenswelten in unserer Gesellschaft und die sie konstituierenden Grundorientierungen, Wertprioritäten und Lebensstile und ermöglichen damit zielgruppenorientierte kommunikative Umsetzungen.

Erst die Verortung der thematischen Typen in den Sinus-Milieus liefert für die praktische Anwendung valide und lebendige Zielgruppen-Portraits.

Bei der Typologie-Rechnung hat sich das Sinus-Institut einer speziellen Form der Clusteranalyse bedient. Grundsätzlich ist das Ziel der Clusteranalyse die Bildung von Gruppen (Typen), die hinsichtlich ihrer themenbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen in sich möglichst homogen sind und sich gleichzeitig deutlich voneinander unterscheiden. Weil die herkömmlichen Clusterverfahren5 anfällig sind für bestimmte Antwort-Tendenzen (Response Sets) von Befragten6, wurde für die Typenbildung folgendes Vorgehen gewählt:

  1. Hypothesengeleitete Definition von Typen-Seeds (Kristallisationspunkte) auf der Basis der ermittelten Einstellungsfaktoren und deren Milieu-Schwerpunkten.
  2. Klassifikation der Befragten entsprechend der größten Nähe zu einem der gesetzten Typenzentren7.

Mit Hilfe dieser faktoriell optimierten Segmentationsanalyse wurden verschiedene Typenlösungen erarbeitet und analysiert. Das beste Ergebnis im Sinne konsistenter und plausibler Segmente erbrachte eine Sieben-Typenlösung. Die Grafik auf der folgenden Seite gibt einen Überblick über die ermittelten Einstellungs- und Verhaltenstypen, die sich durch unterschiedliche Einstellungen und Verhaltensweisen im Zusammenhang mit Vertrauen und Sicherheit im Internet auszeichnen.

Internet-Milieus zu Vertrauen und Sicherheit im Netz

Im nächsten Analyse-Schritt wurden die von der Clusteranalyse gelieferten Typen anhand wichtiger passiver Variablen (soziodemografisches Profil, Trendprofil, Verortung in den Sinus-Milieus etc.) validiert und anschließend im Detail hinsichtlich Internet-Nutzungsverhalten, Einstellungen und Werthaltungen im Zusammenhang mit Sicherheit und Datenschutz im Internet sowie sicherheitsrelevanter Anforderungen an Produkte, Dienstleistungen und gesetzliche Regelungen beschrieben.

Kurzcharakteristik der sieben Internet-Milieus

In der Kuchengrafik zuvor ist die Verteilung der Typen in der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren angegeben. In Teilgruppen der Bevölkerung kann diese Verteilung anders ausfallen. So ist beispielsweise bei Offlinern (insgesamt 20 Prozent in der Stichprobe) der Anteil Internetferner Verunsicherter sehr viel größer: 87 Prozent versus 27 Prozent in der Gesamtbevölkerung. Bei Onlinern liegt dieser Anteil mit nur zwölf Prozent entsprechend niedriger. Bei den Offlinern machen die beiden als Digital Outsiders bezeichneten Typen der Internetfernen Verunsicherten und der Ordnungsfordernden Internet-Laien 90 Prozent aus, während die als Digital Immigrants und Digital Natives bezeichneten Segmente kaum eine Rolle spielen.

Internet-Milieus: Verteilung bei Onlinern und Offlinern

Die nachfolgende Abbildung zeigt eine Projektion der Typen auf das Bezugssystem der Sinus-Milieus mit den beiden Hauptachsen Grundorientierung (horizontal) und soziale Lage (vertikal). In diesem soziokulturellen Raum sind die sieben Typen entsprechend ihrem jeweiligen dominanten Milieu-Hintergrund positioniert. Je höher eine Gruppe in dieser Grafik angesiedelt ist, desto gehobener sind Bildung, Einkommen und Berufsgruppe; je weiter nach rechts sie sich erstreckt, desto moderner im soziokulturellen Sinn ist die Grundorientierung.

Internet-Milieus zu Vertrauen und Sicherheit im Netz

Mit der Verortung der Typen in den Sinus-Milieus entstehen ganzheitliche, empirisch fundierte Zielgruppen (Internet-Milieus), die nicht nur hinsichtlich ihrer Einstellung zu Vertrauen und Sicherheit im Internet beschrieben werden können, sondern auch entsprechend ihrem lebensweltlichen Hintergrund und ihrer Stellung in der Gesellschaft – was die Voraussetzung für eine effektive (nämlich milieu-sensible) Zielgruppenansprache ist.

Die Internet-Milieus lassen sich zu drei Segmenten zusammenfassen:

  • Digital Outsiders (39 Prozent): Sie sind entweder offline oder verunsichert im Umgang mit dem Internet. Ausgehend von 72 Millionen Menschen in Deutschland ab 14 Jahren, stellt das Internet für 27 Millionen eine digitale Barriere vor einer Welt dar, von der sie sich ausgeschlossen fühlen.
  • Digital Immigrants (20 Prozent): Sie bewegen sich regelmäßig, aber sehr selektiv im Internet. Sie sind in der digitalen Welt nicht aufgewachsen und stehen vielen Entwicklungen sehr skeptisch gegenüber, insbesondere wenn es um das Thema Sicherheit und Datenschutz im Internet geht.
  • Digital Natives (41 Prozent): Für sie stellt die digitale Welt einen wesentlichen Teil des Lebens dar. Sie bewegen sich im Internet wie ein Fisch im Wasser – mit dem Lebensmotto „ich surfe also bin ich“. Sie stehen dem Internet sehr positiv gegenüber und sehen die fortschreitende Digitalisierung primär als persönliche Chance.
  1. Typologie der Wünsche 2011 des Instituts für Medien- und Konsumentenforschung, Erding (N = 20.129) []
  2. Verbraucher Analyse 2011 von Axel Springer und Bauer Media Group, Hamburg (N = 31.918) []
  3. Die zur Faktorisierung angewandte Methode war die Hauptkomponenten-Analyse mit nachfolgender orthogonaler Rotation. []
  4. Gemessen über die durchschnittliche Zustimmung zu den jeweiligen Leit-Items. []
  5. Das gilt für iterative Verfahren ebenso wie für hierarchische. []
  6. Beispielsweise werden häufig „Ja-Sager-Typen“ und „Nein-Sager-Typen“ generiert, weil das Verfahren Befragte mit der Tendenz, den vorgelegten Items grundsätzlich zuzustimmen bzw. diese grundsätzlich abzulehnen, zu Typen zusammenfasst. []
  7. Kriterium der geringsten euklidischen Distanz. []