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7 goldene Regeln für die nächste Generation

30. Juli 2018

7 goldene Regeln für die nächste Generation

Fotos: Iakov Filimonov – Shutterstock

Die digitale Revolution macht die Nutzer zu Getriebenen. Niemand will den Zug verpassen oder abgehängt werden. Drohen die smarten User ihr Bürgerrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu verlieren?

Von Horst W. Opaschowski

Der kanadische Kultschriftsteller Douglas Coupland nannte die neue Silicon-Valley-Generation einmal „Microsklaven“. Seine Begründung: Für deren Unterbewusstsein ist nur noch der Computer zuständig. „Microsklaven“ drücken sich oft vor sozialen Verpflichtungen und tun dabei so, als hätten sie etwas vom Leben. Und je weniger sie davon haben, desto mehr Zeit verbringen sie im Internet. Am Ende wird irgendwann der Punkt erreicht, wo jeder sagt: „Ich habe keine Zeit mehr!“

Schachmatt

Ja, so muss man heute fragen: Wie kann die Zeit einfach verschwinden? Coupland fand schon vor über 20 Jahren eine Erklärung dafür: Die Internet-Giganten haben es „nur auf eure Zeit abgesehen, nicht auf euer Geld“. Hier läuft das Leben „fünfzigmal schneller ab als normal“. Das extreme Lebenstempo erzeugt geradezu Schachmatt-Gefühle. Werden sich die Nutzer gegen diese modernen Zeitdiebe überhaupt noch wehren können? Vor einem Jahrzehnt sagte ich für die nahe Zukunft „Zeitkriege“ voraus, in denen um die Zeit (und nicht nur um das Geld) der Verbraucher gekämpft wird. Es ist jetzt so weit: Sean Parker, der Mitbegründer des Musikdienstes Napster und Ex-Präsident von Plaxo, Inc. sowie Berater von Facebook, gab auf der Konferenz des Online-Portals Axios im November 2017 bekannt, dass es bei der Gründung von Facebook nur um eine zentrale Frage für die Verbraucher ging: „Wie verspeisen wir so viel wie möglich eurer Zeit?“

Die Nutzer sollten von Anfang an zum Opfer einer Wertschätzungsschleife werden und in einen Kreislauf der sozialen Bestätigung („Likes“) geraten, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt. Die Erfinder der Sozialen Medien wollten die Nutzer ständig und zeitraubend am Angelhaken behalten, ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen und sie wie bei einem Spielautomaten geradezu süchtig machen, ja ihnen am Ende fast den Verstand rauben.

Parker fällte ein vernichtendes Urteil: „Nur Gott weiß, was Facebook mit den Gehirnen unserer Kinder anstellt.“ Er warf Mark Zuckerberg vor, die Kinder als Facebook-Nutzer bewusst abhängig zu machen. Der Klick auf den Gefälltmir-Knopf wirke wie ein Dopaminschub und verführe zum Immer-mehr: „Ich will noch mehr Likes!“ Die Folge: Die Verwundbarkeit in der Psyche von Kindern und Jugendlichen wird regelrecht ausgenutzt und ausgebeutet.

Achtsamkeit

Das ist jetzt das Gebot der Stunde. Wir brauchen eine digitale Agenda, die über individuelle Abwehrmechanismen nachdenkt und sich auch vor gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen nicht scheut. Konkret: Wir müssen in Zukunft die Zeit von Kindern und Jugendlichen genauso konsequent beschützen wie ihre Privatsphäre. „Es wird Zeit“ – zur Reaktion, zur Gegenwehr oder auch zum Boykott der Verbraucher gegen das Zeitdiktat von Silicon Valley. Die Nutzer müssen Zeitdieben wie Apple, Google und Microsoft sowie Sozialen Medien wie Facebook den Zeitkrieg erklären, wenn sie nicht ihren Zeitwohlstand verlieren und ihre persönliche und soziale Lebensqualität einbüßen wollen.

Natürlich lässt sich die Digitalisierungsuhr nicht mehr zurückdrehen – wohl aber zeitweilig oder für Momente anhalten. Für Kinder und Jugendliche müssen Wege aus der Zeitfalle von Facebook & Co. gefunden werden. Ich schlage der nächsten Generation „7 Goldene Regeln“ für ein gelingendes Leben im digitalen Zeitalter vor:

  1. Habe Mut zur digitalen Diät: Sei öfter offline. Suche und finde deine persönlichen Haltund Ruhepunkte. Lass dich vom Anbieter-Imperativ „Bleib dran – abschalten kannst du woanders“ nicht unter Druck setzen.
  2. Werde zum eigenen Zeitverteidiger: Steig aus dem Erreichbarkeits- und Beschleunigungswahn zeitweilig aus. Lebe wieder nach dem Grundsatz: „Eine Sache zu einer Zeit“ statt „Mehr tun in gleicher Zeit“.
  3. Nimm realistisch zur Kenntnis: Im digitalen Zeitalter ist nichts mehr sicher und fast alles manipulierbar. Schütze deine persönlich sensiblen Daten durch den Aus-Knopf. Zieh öfter den Stecker!
  4. Pflege echte Freundschaften: Verdränge nicht deine mitmenschlichen Kontakte und Beziehungen durch digitale Compunikation. Überwinde die Angst, im Leben etwas zu verpassen, wenn du nicht alles Neue mitmachst.
  5. Vertrau auf deinen inneren Stressschutzschalter: Halte nach Notausgängen zum Flüchten aus der Stressrallye des Alltags Ausschau. Frage dich öfter: „Was ist eigentlich wichtig für mich und was nicht?“
  6. Definiere dich nicht über Soziale Medien: Lass dich nicht blenden vom Schein des Likens und Gelikt-Werdens. Die Anzahl der „Follower“ und „Freunde“ täuscht dir eine hohe Beliebtheit vor, die nicht nachhaltig und von langer Dauer ist.
  7. Steige aus der Zeitfalle aus: Entdecke die Hängematte wieder. Verabschiede dich von dem Irrglauben, das schnelle Netz würde dir helfen, Zeit zu sparen. Leiste dir eine Mañana-Mentalität: Morgen ist auch noch ein Tag!
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Der Autor

Prof. Dr. Horst W. Opaschowski

Prof. Dr. Horst W. Opaschowski

Foto: Benjamin Roeber

ist ein deutscher Zukunftsforscher und Berater für Politik und Wirtschaft.

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