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Getrennt marschieren, vereint zuschlagen?

21. Dezember 2018

Getrennt marschieren, vereint zuschlagen?

Foto: vege – Adobe Stock

Zur Architektur der Digitalpolitik. Ist sie angesichts der Vielfalt neuer Akteure fast schon überkomplex?

Von Göttrik Wewer

Mit ihrem Digital Economy and Society Index (DESI) versucht die Europäische Kommission, regelmäßig zu erfassen, wie es um die Digital Readiness der EU-Mitglieder bestellt ist. Die Bundesrepublik Deutschland landet in dieser Rangliste seit Jahren nur im Mittelfeld (zuletzt Platz 13 unter 28 Ländern).

Seit 2013 vergleicht die EU nach ähnlichen Kriterien den europäischen Durchschnitt in fünf Dimensionen mit 17 Ländern außerhalb der Europäischen Union: Brasilien, Chile, China, Island, Israel, Japan, Kanada, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Russland, Serbien, Südkorea, die Schweiz, die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika. Dabei zeigt sich, dass Europa im Vergleich mit anderen nicht so schlecht ist, wie es bisweilen geredet wird, aber auch noch eine Menge Luft nach oben ist. Unter den Top Ten in dieser Rangliste von 45 Ländern (International Digital Economy and Society Index) befanden sich zuletzt immerhin sechs EU-Mitglieder; andere, die deutlich unter dem europäischen Durchschnitt lagen, gehörten natürlich auch im internationalen Vergleich zu den Schlusslichtern.

Doppel-Problem

Europa hat, wie dieser Index (I-DESI 2018) und andere Ranglisten zeigen, ein doppeltes Problem, das es zu lösen gilt: zum einen die großen Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedern, die längst im digitalen Zeitalter angekommen sind, und jenen, die im globalen Wettbewerb (noch?) nicht mithalten können, und zum anderen, dass der europäische Durchschnitt nicht auf allen Feldern für einen internationalen Spitzenplatz reicht. Relativ gut schneidet Europa bei der digitalen Infrastruktur (connectivity), den individuellen Fähigkeiten (digital skills) und der Nutzung des Internets durch die Bürgerinnen und Bürger ab. Hier sind nur sieben Länder, darunter Südkorea, Japan und die USA, besser als der europäische Durchschnitt.

Die persönlichen Fähigkeiten sind in neun Ländern besser ausgeprägt, wobei der europäische Durchschnitt noch über dem Wert für die USA liegt. Bei der Integration moderner Technologien in ihre Abläufe haben die europäischen Unternehmen spürbar aufgeholt. Deutlich schlechter als die Länder außerhalb Europas schneiden die EU-Mitglieder nach wie vor beim elektronischen Regieren und Verwalten (digital public services) ab. Neun der 17 Vergleichsländer außerhalb Europas sind hier weiter. Dänemark führt übrigens die Rangliste insgesamt an, gefolgt von Südkorea; Serbien hat von 2013 auf 2016 den größten Sprung getan und sich vom letzten Platz auf Rang 34 verbessert.

Zu dem bescheidenen Abschneiden bei den öffentlichen Dienstleistungen hat sicherlich beigetragen, dass das größte Mitglied der Union beim Electronic Government bestenfalls Durchschnitt ist. Obwohl sich die Große Koalition schon in der letzten Wahlperiode vorgenommen hatte, Deutschland zu einem starken Digitalland zu entwickeln, sei die „Digitale Agenda“ letztlich mehr oder weniger zum Stillstand gekommen, sagen Beobachter. Inzwischen gibt es Anzeichen, dass man im Kanzleramt das strategische Defizit und die schleppende Entwicklung nicht länger hinnehmen möchte. Die neuen Strukturen, die beschlossen worden sind, müssen allerdings erst aufgebaut werden und ihre Rolle im Geflecht all derer finden, die sich mit der Digitalisierung beschäftigen. Außerdem wird, wenn vielleicht in drei Jahren gewählt wird, schon wieder die Zeit knapp.

Inkubator

Bei der Vielfalt der neuen Akteure erscheint die Architektur der Digitalpolitik fast schon überkomplex. Neben der neuen Abteilung „Politische Planung, Innovation und Digitalpolitik, IT-Steuerung des Bundes“ und einer Staatsministerin als „Beauftragter der Bundesregierung für Digitalisierung“ im Kanzleramt gibt es eine Reihe von beratenden Gremien und operativen Einheiten. Dazu sollen eine E-Government- Agentur als interner Inkubator für konkrete Lösungen sowie eine Digitalagentur zählen, die die Märkte beobachten und Vorschläge für staatliche Regulierung machen soll, aber auch eine Agentur für Sprunginnovationen, die besonders interessante Ideen fördern soll, und eine Agentur für Innovation in der Cybersicherheit, die Lösungen für die Praxis entwickeln soll. Die Steuerung des Ganzen soll über den IT-Rat, in dem die Staatssekretäre der Ressorts sitzen, und vor allem über das Digitalkabinett unter Leitung der Kanzlerin bzw. des Chefs des Kanzleramtes erfolgen.

Umsetzungsstrukturen zur Verwaltungsdigitalisierung

Irrgarten: So sollen die Umsetzungsstrukturen zur Verwaltungsdigitalisierung greifen. (Quelle: Jahresbericht 2018 des Nationalen Normenkontrollrates)

Beratend tätig sind ein Digitalrat aus Experten aus dem In- und Ausland, der sich zweimal im Jahr treffen soll, um über die großen Linien zu diskutieren, eine Daten- Ethikkommission, die sich monatlich treffen will, um schon in einem Jahr Antworten auf moralische Fragen vorlegen zu können, die sich aus einer intensiven Nutzung von Daten ergeben, sowie eine Kommission Wettbewerbsrecht 4.0, die Leitlinien für eine Regulierung der Plattformen erarbeiten soll, die die digitale Wirtschaft prägen. Ähnliche Gremien gibt es auch in den Ländern, was dieses Geflecht noch enger, aber auch komplexer macht.

Paradoxon

Nicht nur auf staatlicher Seite beschäftigt man sich mit digitalen Fragen. Das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) ist 2011 aufgrund der Beobachtung gegründet worden, dass weder im E-Commerce noch im E-Government die Potenziale richtig ausgeschöpft werden, wenn die Menschen sich im Netz nicht sicher fühlen und wenn sie unsicher sind, ob sie dem Gegenüber, das sie nicht persönlich kennen und oft nicht sehen können, wirklich vertrauen können. Kein anderes Institut hat ähnlich intensiv vermessen, wie die Deutschen insgesamt und die verschiedenen Generationen das Internet betrachten und wie sie sich darin bewegen. Den einen Kunden, den einen Bürger, an dem man sein Angebot ausrichten könnte, gibt es nicht, lautet eine Erkenntnis aus diesen Studien, vielmehr verschiedene Milieus, die ganz unterschiedlich angesprochen werden müssen, wenn man sie erreichen will. Wenn das nichts kostet, bequem ist und sozial akzeptiert, dann nutzen viele diese Dienste, obwohl sie den Anbietern ausdrücklich nicht vertrauen, lautet eine andere Erkenntnis. Dieses Vertrauens-Paradox ähnelt dem Privatheits-Paradox, das wir aus der Debatte um den Datenschutz kennen.

Zu digitalen Themen wird, beileibe nicht nur in Deutschland, an vielen Hochschulen und in vielen Instituten und Unternehmen geforscht. Mit seiner konsequenten Ausrichtung auf das tatsächliche Verhalten der Menschen im Netz ist das DIVSI jedoch hierzulande einzigartig gewesen, sodass es sich in relativ wenigen Jahren einen guten Ruf erarbeiten konnte. Da viele Angebote, insbesondere staatliche Dienste, kaum angenommen werden, weil sie nicht an den Nutzern ausgerichtet sind, bleibt zu hoffen, dass dieses Interesse künftig von anderen aufgegriffen wird. Dass die Bundesregierung bei Dienstleistungen, die über den Portalverbund angeboten werden sollen, jetzt in Digital Labs testet, wie das am besten geschieht, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Mit dem von der Bundesregierung geförderten Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft, das sich „Das Deutsche Internet-Institut“ nennt, ist ein Berlin-Brandenburger Verbund entstanden, dem die vier Berliner Universitäten – Freie Universität, Humboldt-Universität, Technische Universität und Universität der Künste –, die Universität Potsdam und das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) angehören und der vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) koordiniert wird. Zu den Themen, die dort bearbeitet werden sollen, zählt übrigens auch „Vertrauen in verteilten Umgebungen“.

Verbund

Inzwischen mangelt es nicht mehr an Initiativen und Institutionen, die dazu beitragen sollen, besser zu verstehen, wie sich unser Leben, Arbeiten und Wirtschaften im digitalen Zeitalter verändert und wie man die digitale Transformation, die manche eine 4. Industrielle Revolution nennen, erfolgreich gestalten kann. Dazu gehört auch das Nationale E-Government-Kompetenzzentrum (NEGZ), das aus einer Fusion mit dem ISPRAT e.V. hervorgegangen ist. An Kapazitäten, diese Themen aufzuarbeiten, fehlt es inzwischen in Deutschland nicht mehr. Jetzt kommt es darauf an, aus den vielen Akteuren einen schlagkräftigen Verbund zu schaffen, der arbeitsteilig, aber koordiniert helfen kann, beim elektronischen Regieren und Verwalten spürbar voranzukommen und auch im digitalen Zeitalter ein wettbewerbsfähiger Standort zu bleiben. Das Weizenbaum- Institut könnte die Rolle eines Koordinators in einem solchen Netzwerk übernehmen, das in seiner Summe stärker wäre, als wenn jeder für sich marschiert.

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Der Autor

Dr. Göttrik Wewer

Dr. Göttrik Wewer

Seit 2010 ist Wewer Vice President E-Government bei der Deutsche Post Consult GmbH.

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