DIVSI wurde am 31.12.2018 aufgelöst. Diese Website dient ausschließlich als Archiv und wird nicht mehr aktualisiert.
DIVSI wurde am 31.12.2018 aufgelöst
und wird nicht mehr aktualisiert.

Themen: Vermessung der Netzwelt 

Kurzüberblick

DIVSI-Studie zu Bereichen und Formen der Beteiligung im Internet: Ein Überblick über den Stand der Forschung

4. April 2014

Von Clicktivisten und echten Engagierten: Was ist Beteiligung im Internet?

Prof. Dr. Miriam Meckel

Zwei Jahre lang hat die Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des deutschen Bundestages gearbeitet, um das Internet zu verstehen – in seinen Auswirkungen und in seiner praktischen Anwendung. Die nächstliegende Erprobung bot der Prozess selbst an: Die Bürgerinnen und Bürger sollten sich beteiligen, ihre eigenen Ideen und Kommentare in die Arbeit einfließen lassen. Das Ergebnis lässt sich auf den ersten Blick sehen: 12.579 Mitglieder der Online-Plattform „EnqueteBeteiligung“ (www.enquetebeteiligung.de) haben 494 Vorschläge gemacht, 2.356 Kommentare hinterlassen und 14.602 Stimmen abgegeben.

Auf den zweiten Blick folgt die Frage: Ist das gut oder schlecht, viel oder wenig, hilfreich oder belastend und vor allem: Was ist aus dieser Form der Bürgerbeteiligung geworden? Die Antwort auf manche dieser Fragen lässt sich einkreisen, wenn man sich genauer auf der Website umschaut, aber vieles bleibt ungeklärt.

Das ist nicht nur bei dieser Beteiligungsplattform so, sondern trifft auf nahezu alles zu, was im Internet unter dem Begriff „Beteiligung“ geschieht. Er ist durch den Vormarsch von Digitalisierung und Vernetzung zu einem Schlagwort avanciert und hat auf dem Weg zu breiter Popularität doch seine exakten Koordinaten verloren. Höchste Zeit also, einmal genauer hinzuschauen, um ein paar Mythen der Beteiligung zu entlarven.

Erster Mythos: Wir alle wollen uns ständig beteiligen

Zwar steckt Beteiligung durchaus in der DNA des Sozialen Internet, aber nutzen wir sie auch? Die durch das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) durchgeführte Milieu-Studie (2012) hat gezeigt: Es gibt in Deutschland noch immer einen „Beteiligungsgraben“ („participation gap“). Vor allem die Gruppe der „Digital Outsiders“, die noch immer etwa 40% der Bevölkerung ausmacht, ist im Netz wenig aktiv. So wie es auch im realen Leben oft nur wenige sind, die sich engagieren, so gilt auch für das Internet die „Pareto-Regel“: Wenige machen viel, und viele machen wenig.

Zweiter Mythos: Beteiligung ist immer politisches Handeln

Schon in der traditionellen Medien- und Kommunikationsforschung sind Zweifel angebracht, ob klare Unterscheidungen zwischen Information und Unterhaltung eigentlich zutreffen. Viel mehr gilt das für das Internet. Viele Grenzen zwischen früher vermeintlich klar unterscheidbaren Nutzungsmotiven und -formen verwischen im Netz zusehends. Im Internet gibt es ganz verschiedene Arten des Engagements. Die Politik ist das wichtigste Beteiligungsfeld im Internet, zumindest gemessen am entsprechenden Umfang der wissenschaftlichen und öffentlichen Auseinandersetzung. Aber nicht dem Politischen zugeordnete Formen des Handelns müssen weder unpolitisch noch unbeteiligt sein. Es gibt beeindruckende Formen der „Peer Production“ im Netz, die für Beteiligung in der Wirtschaft stehen. Es gibt kreative Schaffenskraft, die im Bereich der Kunst im Netz freigesetzt wird. Neue Lehr- und Lernplattformen (z. B. MOOCs) sind nur ein Beispiel für Beteiligung im Bildungssektor. Und Menschen, die sich in einem Internetforum über ihre gemeinsame Krankheit austauschen, praktizieren auch so etwas wie Beteiligung. Politik ist also nur ein Feld, auf dem die Vernetzung spielt, andere gehören ebenso beachtet.

Dritter Mythos: Wir alle nutzen dasselbe Internet

Technisch gesehen stimmt das. Wir sind in ein- und demselben Netz unterwegs, bewegen uns mit Hilfe von standardisierten Internetprotokollen und IP-Adressen und oft auch auf wenigen populären Plattformen. Aber hinsichtlich dessen, was Menschen im oder mit dem Internet tun, gibt es keine Standards. Da zeigt das Netz viel- mehr seine Eigenschaften der dezentralen und dynamischen Entwicklungsmöglichkeiten: Surfen und Posten, Mailen und Downloaden, Skypen und Chatten, Konsumieren und Kreieren – das alles ist möglich im Netz. Es stellt uns die Plattform und die Instrumente zur Verfügung, was wir damit machen, ist unsere Entscheidung. „Ich bin im Netz“, das war vor zwanzig Jahren neu und ein gültiger Satz für den nächsten Schritt der technologischen Entwicklung. Längst machen wir ganz verschiedene Dinge im Internet als dem globalen Netzwerk von Computern: wir nutzen zum Beispiel das World Wide Web über HTTP und Browser, tauschen uns über Soziale Medien, wie Facebook oder Twitter aus (Web 2.0), werden Kunden in den proprietären Systemen, wie der Apple-Plattform iTunes, und tummeln uns manchmal auch in Räumen, die sich dem breiten öffentlichen Zugang entziehen, wie dem Darknet. Überall beteiligen sich Menschen, aber sie machen sehr verschiedene Dinge auf unterschiedlichen Aktivitätsniveaus, die sich in Ziel und Form weitreichend unterscheiden können.

Vierter Mythos: Beteiligung ist immer wünschenswert und gut

Das könnte man annehmen, ist aber eine sehr normative Sicht und stimmt so auch nicht durchgängig. Zum einen nutzen in Deutschland vor allem die Menschen mit höherem sozio-ökonomischen Status das Internet, zum anderen muss Beteiligung eben nicht nur gute Seiten haben. Dazwischen liegen unauffällige oder wenig spektakuläre Formen der Beteiligung, die schon beim Einkaufen im Netz, beim Spielen von Onlinegames, beim Arbeiten im Netz passieren. Manche Formen des Engagements scheinen gar nicht zum traditionellen Begriff der Beteiligung zu passen: Im politischen Umfeld z. B. der „Clicktivism“ oder „Slacktivism“1, bei dem sich Beteiligung auf ein „Like“ auf Facebook für eine Protestbewegung reduziert. Im sozialen Miteinander kann übermäßige Beteiligung umgekehrt zur Fragmentierung von Öffentlichkeiten führen, wenn die Hochengagierten nur noch das wahrnehmen, was ihre Interessen betrifft und dazu passt. Und manchmal führt zu viel Beteiligung schlicht zu Überlastung: „Informationsüberlastung“ und „Technostress“ sind die Folgen.

Fünfter Mythos: Das Internet ändert alles oder nichts

So ist das mit der Diskussion um neue Technologien: Es bilden sich schnell zwei extreme Sichtweisen heraus, und die Wahrheit liegt meist irgendwo in der Mitte. Durch das Internet werden nicht plötzlich alle Menschen aktiv, sozial oder gar politisch. Aber mit der These, Beteiligung online diene in erster Linie dazu, dass Schmalspuraktivisten sich nach dem Klick auf den Like-Button besser fühlen, machen wir es uns auch zu einfach. Zur Erinnerung: Das Netz als „Massenmedium“ ist keine zehn Jahre alt. Wir sind also mitten im Lauf in eine neue Zeit, die ganz sicher wesentlich durch das Internet verändert wird. Es ist ein Marathon, kein Sprint. Auf dem Weg muss man gelegentlich Pause machen, sich besinnen, nach vorne schauen, um zu sehen, wo es hingeht.

Unsere Übersicht über die Forschung zum Themenfeld Beteiligung im Netz zeigt: Es gibt grob drei Konzepte, die genauer angeschaut werden müssen, und die helfen zu verstehen, dass Beteiligung im Internet ein variantenreiches Konzept ist. Das Netz kann ermöglichen, also in erster Linie Zugang zu Informationen bieten. Es kann einbinden, also Interaktionsmöglichkeiten, Dialog und Austausch schaffen. Und es kann ermächtigen, uns die Möglichkeit geben zu kooperativen Interaktionsformen bei Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen. Die drei Beteiligungsformen unterscheiden sich mehr als graduell. Damit wir sie verstehen und interpretieren können, müssen wir uns von ein paar alten Hüten der Deutung trennen.

Wir sehen auch: Das Internet eröffnet uns sehr vielfältige Formen der Beteiligung. Manche davon ähneln dem, was wir schon immer unter dem Begriff verstanden haben, anderes öffnet neue Türen und Perspektiven. Immer weniger lässt sich klar zwischen Beteiligung analog und digital, offline und online unterscheiden. Die Welten verschwimmen. Immer mehr Menschen beteiligen sich auf unkonventionelle Art im Netz, jenseits der bekannten institutionalisierten Formen. Vielleicht passt auch der Begriff „Beteiligung“ nicht mehr recht zu dem, was er in Zeiten des Internets beschreibt. Vielleicht müssen wir vielmehr von „vernetzter Aktivität“ („connective action“, Bennett & Segerberg, 2012) sprechen?

Es lohnt sich, einige der genannten Mythen zurückzulassen, um besser zu verstehen, was Menschen treibt, sich unterschiedlich im und mit dem Netz zu engagieren. Beteiligung ist nicht immer gleichzusetzen mit hoher Aktivität und wichtigen Entscheidungen, wie z. B. ein Wahlakt sie voraussetzt. Es kann auch Beteiligung sein, wenn ich im Netz einen Lippenstift zugunsten der AIDS-Hilfe kaufe oder eine Facebook-Seite „like“, die schlicht Aufmerksamkeit für oder gegen etwas schafft. Und Zahlen alleine sagen gar nichts. Sind eine Million „Likes“ so viel wert wie 100 Wählerstimmen? Und wer entscheidet das?

Hohe Hürden im Verständnis von Beteiligung zu setzen, sie allein normativ zu begreifen und auf politische Aktivitäten zu beschränken, bedeutet, vielen Menschen die Absicht und Möglichkeit abzusprechen, aktiver Teil im digital vernetzten Leben zu sein. Das wäre eine ziemlich arrogante Haltung, und sie trifft in vielerlei Hinsicht nicht das, was das Internet uns an neuen Gestaltungsformen eröffnet. Schließlich geht es nicht immer nur um mehr, schneller, weiter. Wie viele Menschen was in welcher Zeit gemacht haben, um sich über das Internet in einen Prozess einzubringen, gibt noch keine Auskunft darüber, was das für sie selbst und das Ergebnis gebracht hat. Wie war das noch mit der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“?

Miriam Meckel
St. Gallen, März 2014

Hier geht es zur Online-Version der Studie

  1. Verbindung aus den Worten „Click“ und „Activism“ (dt.: Aktivismus). Bezeichnet den Einsatz elektronischer Medien – vor allem Sozialer Medien – für ein gesellschaftliches Anliegen. Kritiker fürchten, dass unverbindliche oder weitgehend wirkungslose „Clicks“ im Internet realweltliches Engagement ersetzen könnten. Die Wortschöpfung „Slacktivism“ ist entsprechend eine Verbindung aus den Worten „Slacker“ (dt.: Faulenzer oder Drückeberger) und „Activism“. []

Weiter zur gesamten Studie

nach Oben