Die Digitalisierung bereichert unseren Lebensalltag in vielfältiger Weise. Wer einmal den Komfort präziser Navigation oder die Möglichkeit, jederzeit und von überall auf Informationen zugreifen und mit anderen kommunizieren zu können, genossen hat, wird freiwillig kaum wieder darauf verzichten wollen. Hinzu kommt, dass die meisten Dienste kostenlos sind. Oder präziser ausgedrückt: Sie kosten kein Geld. Denn im Grunde wissen wir natürlich schon, dass wir die vermeintlich kostenlosen Angebote, die wir so gern und so selbstverständlich nutzen, mit unseren persönlichen Daten bezahlen.
Aus der DIVSI-Studie „Daten – Ware und Währung“ wissen wir sogar ganz konkret, dass mehr als Dreiviertel der Menschen in Deutschland ausschließlich (62 Prozent) oder vornehmlich (14 Prozent) kostenlose Online-Angebote nutzen, obwohl ebenso viele (76 Prozent) davon ausgehen, dass sie für diese mit ihren Daten zahlen und 83 Prozent sogar glauben, dass Anbieter solcher Angebote mit den persönlichen Daten der Nutzer Geschäfte machen. Dass die Gesetze des Kapitalismus in dem Ausmaß in die persönliche Sphäre des Menschen hineingreifen, macht nicht wenigen Angst.
Die mal mehr, mal weniger empörte Masse empfindet das – vermeintliche oder tatsächliche – Gebaren überwachender Staaten und monopolistischer „Datenkraken“ als einen Angriff auf die Grundrechte und die persönliche Freiheit. Die meisten wollen weder gläserne Bürger noch gläserne Konsumenten werden, gehen aber gleichzeitig davon aus, dass dem längst so ist. Trotz des eigenen Haderns übt aber kaum jemand Verzicht. Warum?
Nun, viele der genutzten Dienste sind längst zum Rückgrat des Lebensalltags der Menschen geworden. Auf sie zu verzichten, bedeutet immer häufiger, sich von einem Teil des Soziallebens zu verabschieden und den Rest davon arg zu verkomplizieren. Gerade weil die digitalen Angebote zum integralen Bestandteil des Lebens geworden sind, gilt es zu fragen, wie sich diese Entwicklung auf die Souveränität des Einzelnen auswirkt, die nicht zuletzt zu den Grundwerten freiheitlich demokratischer Gesellschaften gehört.
Was bedeutet es z.B. für die freie Entfaltung der Persönlichkeit, wenn die Möglichkeit einer Entscheidung für oder gegen die Nutzung digitaler Angebote auf Sicht eine rein theoretische und das Akzeptieren zweifelhafter Nutzungsbedingungen alternativlos bleibt? Kann von informationeller Selbstbestimmung überhaupt noch die Rede sein, wenn der Einzelne nicht mehr überblicken kann, welche smarten Geräte und digitalen Anwendungen wann welche womöglich sehr persönlichen Daten sammeln? Ob und wohin sie sie senden? Wer Zugriff darauf erhält und zu welchem Zweck? Was bedeutet es für ihre eigene digitale Souveränität, wenn Menschen hierüber nicht mitbestimmen können und die Folgen der Sammlung und Weiterverwertung von Daten kaum abzuschätzen vermögen?
Digitale Souveränität geht über den Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum des Einzelnen freilich hinaus. Sie umfasst auch die äußeren Rahmenbedingungen, die ihm zuweilen überhaupt erst ermöglichen, souverän zu sein. Um digitale Souveränität stärken zu können, muss sie zunächst in ihren unterschiedlichen Dimensionen erfasst werden. Wie wird sie in den verschiedenen Bedeutungskontexten verstanden? Wie ist der Stand des Diskurses darüber und wer sind die relevanten Akteure?
Das vorliegende Papier will eben dies tun – einen Überblick über den Ist-Stand der Debatte um „digitale Souveränität“ bieten und eine Grundlage dafür schaffen, auf der Wege aufgezeigt werden können, wie sich dem „Ideal im Wandel“ angenähert werden kann.