DIVSI plant auch 2015 eine Reihe von Veranstaltungen und Veröffentlichungen, die mit Sicherheit bundesweit für Aufmerksamkeit sorgen dürften. Den Auftakt bildete gerade das vierte öffentliche Info-Meeting im Zusammenhang mit dem „Digitalen Kodex“. Dabei ist das Gesamtbild unserer diversen Aktivitäten in diesem Jahr noch umfassender geworden. Erstmals stellen wir ein Forum speziell für junge Menschen zur Verfügung.
Der bundesweite Kongress zur Zukunft der digitalen Welt wird in Hamburg 500 Teilnehmer ab 16 Jahren versammeln. Die Vorbereitungen laufen bereits seit Monaten.
Warum öffnet sich DIVSI so nachhaltig für die junge Generation? Ich bin überzeugt, dass eine gedeihliche Weiterentwicklung unserer digitalen Zeit zum Nutzen aller generationsübergreifende Initiativen erfordert. Dabei können die Jüngeren durchaus auch von den älteren lernen – etwa was den sinnvollen Umgang mit dem Internet angeht. Und die reiferen Semester sollten sich von einigen ihrer sorgsam gepflegten Vorurteile befreien.
Dieser Konflikt ist keine Erfindung unserer Gegenwart. Junge Menschen mussten sich immer für manche ihrer Attitüden Kritik von der Elterngeneration anhören. Daran hat sich im Laufe der Jahrtausende nichts geändert. Dem griechischen Philosophen Sokrates, der 399 v. Chr. starb, wird diese Aussage zugeschrieben: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Die jungen Leute widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“
Heute würde dieser große Denker des Altertums die heftige Kritik – wenn er denn der Urheber ist – vielleicht noch so ergänzen: „Außerdem spielen sie permanent mit ihren Smartphones rum und hängen pausenlos im Internet ab!“ Ist das so? Die Erfindung von mobilen, internetfähigen Geräten hat dazu geführt, dass das Online-Sein besonders für die nachwachsende Generation vollkommen in den Alltag integriert ist. Gemeinsam mit dem SINUS-Institut haben wir in der U25-Studie das Verhalten von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der digitalen Welt untersucht. Demnach sind die jungen Leute nicht nur mehr oder weniger den ganzen Tag online – noch härter: Sie empfinden den Zustand, mal offline sein zu müssen, als Notsituation.
Dennoch – eine pauschale Verdammnis zu ihrem Umgang mit dem Internet wird der jungen Generation keinesfalls gerecht. Auch das belegt die Untersuchung. Ich jedenfalls bin überzeugt, dass die Jugend besser ist als ihr Ruf, auch was das Internet angeht. Und selbst wenn die jungen Menschen in dieser Hinsicht vielleicht manchmal über das Ziel hinausschießen – so what …? Räumen wir also mit Vorurteilen auf.
Bestes Beispiel ist vielleicht der Umgang der jungen Internet-Generation mit dem Begriff „Freund“. Denn dazu hält sich bei uns älteren beharrlich eine Meinung mit falscher inhaltlicher Tendenz.
Sicherlich wird das Wort „Freund“ in Zeiten der sog. sozialen Netzwerke inflationär genutzt. Viele ältere schütteln darüber den Kopf. Ein Ergebnis der DIVSI-Studie zeigt jedoch: Niemand braucht Bedenken zu haben, dass die jungen Leute leichtfertig damit umgehen, wen sie als „echten Freund“ empfinden und nah an sich heranlassen.
Für die Befragten unter 25-jährigen ist es ein wesentlicher Unterschied, einen Freund „nur“ zu „adden“ oder eine persönliche Freundschaft zu schließen. Populäre Mythen rund um die Unfähigkeit junger Menschen, den Wert von wirklicher Freundschaft zu erkennen, werden dieser Generation nicht gerecht.
Vielmehr differenzieren sie gerade in dieser Hinsicht sehr genau: Facebook-Freunde, Bekannte, echte Freunde. Die Jugendlichen (14– bis 17 Jahre) verfügen im Durchschnitt über 163 Online-Freundschaften, bezeichnen aber nur elf davon als „wirkliche Freunde“. Die jungen Erwachsenen (18 bis 24 Jahre) sind durchschnittlich 175 Online-Freundschaften eingegangen, aber nur neun davon sind enge – wie die ältere Generation formulieren würde – „echte Freunde“.
Die Bezeichnung „Freund“ ist also zu einem mehrdimensionalen Begriff geworden, mit dessen unterschiedlichen Bedeutungen man sehr sicher und differenziert umgeht. Unverändert macht echte Freundschaft mehr aus als gegenseitig gezeigte Profile in Online-Communitys. Wie seit Urzeiten bedeutet Freundschaft auch für junge Menschen geteilte Interessen, gleiche Werte und verbindende, gemeinsame Erlebnisse im realen Leben.
Verändert hat sich bestenfalls die kommunikative Infrastruktur von Freundschaften, was sich vor allem in neuen Kommunikationsformen äußert. Online-Communitys sind eine selbstverständlich genutzte Austauschform geworden.
Was den älteren früher der Beatschuppen war, wird heute ergänzt durch gegenseitige Statusmeldungen und Posts bei Facebook und Co. 74 % der jungen Erwachsenen (18–24 Jahre), 68% der Jugendlichen (14–17 Jahre) sind mindestens dreimal pro Woche auf Facebook aktiv. Bei den Kindern (9–13 Jahre) sind es bereits 26 %.
Weg also mit dem Vorurteil! Lasst uns als ein Ergebnis der U25-Studie akzeptieren: Facebook-Freunde haben wenig mit dem zu tun, was im Alltag einen Freund ausmacht. Online-Communitys sind Meeting Points für potenzielle Bekanntschaften, aus denen die professionellen Netzwerker – das sind junge Menschen heute – bei Bedarf schöpfen können.
Auch in puncto Privatsphäre ist längst nicht alles so, wie manche ältere es sich vorstellen. Keinesfalls legt die U25-Generation ihr Intimleben permanent und so freizügig wie nur möglich im Netz offen, so wie dies medial bekannt gewordene spektakuläre Ausnahmen zu signalisieren scheinen. Die Jüngeren assoziieren mit Privatsphäre lediglich anderes als frühere Generationen. Sie halten klassische personenbezogene Daten nicht unbedingt für schützenswert. Dafür jedoch – das gilt jedenfalls für die klare Mehrheit – unbedingt solche Informationen, die ihrer sozialen Reputation schaden könnten.
Privatsphäre bedeutet für Jugendliche und junge Erwachsene vor allem Privatsphäre-Einstellungen in Online-Communitys. Sehr Persönliches oder Intimes gehört für die meisten nicht in die Online-Welt, sondern nach wie vor in ein Vieraugengespräch. Ein gewisses Maß an Offenheit in sozialen Netzwerken wird allerdings als Muss angesehen, wenn man mitspielen will. Für 51% der Jugendlichen ist der bei Facebook fehl am Platz, der nichts von sich preisgibt. Informationsmanagement – also wem wann zu welchen Inhalten Zugang gewährt wird – ist eine Kernkompetenz, die viele junge Menschen sicher handhaben.
Zeit wird es auch, mit einem fehlerhaften Begriff aufzuräumen. Die „Internet-Jugend“ gibt es nicht. Zwar sind die 14- bis 24-Jährigen bis auf 2% sämtlich online. Dieser Status sagt jedoch kaum etwas über ihre Haltung zum und den Umgang mit dem Internet aus.
Eine konsequente Betrachtung der unterschiedlichen Netzkulturen ist daher notwendig. Die sieben DIVSI U25-Internet-Milieus, gemeinsam mit SINUS entwickelt, machen deutlich, dass die junge Generation in vielen Detailpunkten verantwortungsbewusster handelt, als ihr allgemein unterstellt wird.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Milieu-Gruppierungen gibt es ein verbindendes Element der allermeisten U-25-Jährigen – dies ist die generelle Einstellung, wenn man sich einer Grauzone im Netz nähert. Die wesentliche Studienerkenntnis zu diesem Punkt: Erlaubt ist, was alle machen. Vorgenommen werden Risikoabstufungen mit der zentralen Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass ich strafrechtlich belangt werde?
Die meisten jungen Leute sind gegenüber Fragen von Legalität und Illegalität so eingestellt, wie es eine junge Frau im Interview für die Studie unbekümmert formulierte: Selbst „wenn man mal gegen ein Gesetz verstoßen sollte – so schlimm kann das kaum sein, schließlich tun es ja alle“.
Hier könnte ein Ansatzpunkt für die ältere Generation gegeben sein: Wir sollten den Jüngeren schon vermitteln, dass eine solche Haltung Risiken birgt. Denn die Logik, „was alle machen, wird schon richtig sein“, ist gefährlich und falsch.
Grundsätzlich sollten die älteren jedoch nicht in den Fehler verfallen, das Internet als „böse“ darzustellen, weil vielleicht Unverständnis darüber herrscht, was Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen den ganzen Tag über so im Netz machen. Die US-amerikanische Sozialforscherin Danah Boyd sieht die Kritik an der angeblich internethörigen Jugend übrigens ebenfalls als überzogen an. Sie beurteilt die Diskussion als von einer Kultur der Angst geprägt und ist frustriert von dem Denken über die Jugend, dass die Technologie für sie alles viel schlimmer machen müsse.
Ich stimme dem voll zu. Die U25-Generation und wir älteren sollten versuchen, einen gemeinsamen Konsens zu finden. Die einen sollten vielleicht gelegentlich das Smartphone aus der Hand legen und sich – auch mit den älteren – einfach nur unterhalten. Und die wiederum sollten nicht allergisch reagieren, wenn die Jüngeren fast permanent ein mobiles Internet-Gerät in der Hand halten.
Solche unterschiedlichen Sichtweisen werden im Rahmen des DIVSI-Jugendkongresses sicher ein Diskussionsthema sein. Ich bin gespannt, wie die Your Net-Teilnehmer diesen Punkt sehen. Und ich bin auch gespannt, welche Anregungen die jungen Menschen uns älteren insgesamt geben können. Vor allem jedoch bin ich überzeugt, dass nach dem Jugendkongress eine Reihe von Vorurteilen Schnee von gestern sein werden. Und das ist gut so.
Schirmherrin
Familienministerin Manuela Schwesig
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Hohe Anerkennung für „Your Net – DIVSI Convention 2015“ bereits im Vorfeld: Manuela Schwesig, die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, hat die Schirmherrschaft für die Veranstaltung übernommen. DIVSI-Direktor Matthias Kammer: „über das Engagement und die Unterstützung von Frau Ministerin Schwesig freuen wir uns sehr. Es ist von allgemeinem gesellschaftspolitischem Interesse, zu erkennen, wo der Trend bei jungen Menschen hingeht und welche Erwartungen, welche Ideen sie im Zusammenhang mit dem digitalen Zeitalter haben.“
Manuela Schwesig wird die 500 Teilnehmer im Hamburger BeachCenter nicht nur willkommen heißen. Von großem Interesse dürfte für sie auch der Gedankenaustausch im Rahmen der Workshops sein. So, wie die Ministerin bei der Abschlussveranstaltung des YouTube-Wettbewerbs „361 Grad Respekt“ unter dem Motto „Was macht dich stark gegen Cybermobbing?“ das direkte Gespräch mit den jungen Akteuren gesucht hat.
Dabei würdigte Manuela Schwesig deren Einsatz: „Ich freue mich, mit wie viel Engagement und Kreativität die Jugendlichen mit ihren Videos gegen Cybermobbing Farbe bekennen. Im Internet gibt es viel Ausgrenzung und Beleidigungen, auch Diskriminierung und Hass. Gerade weil sich viele hinter dem Schutz der Anonymität verstecken. Die Jugendlichen setzten ein klares Zeichen: Nein zu Cybermobbing!“
Das Thema Cybermobbing wird auch bei der „Your Net – DIVSI Convention 2015“ von Bedeutung sein. Im Workshop „Privat war gestern?!“ sollen alle dazu relevanten Fragen angesprochen werden. Manuela Schwesig hat mehrfach darauf hingewiesen, wie wichtig Angebote der Beratung und Aufklärung im Internet sind: „In unserem Zentrum für Kinderschutz im Internet, dem I-KiZ, arbeiten wir daran, den Zugang zu Rat- und Hilfeangeboten zu verbessern. Besonders gut funktioniert Aufklärung aber dann, wenn junge Menschen sie selbst in die Hand nehmen. Denn die Jugendlichen wissen oft am besten, wie sie Gleichaltrige ansprechen können.“
Experten
Marina Weisband
Marina Weisband, frühere Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Sie nimmt teil an der Podiumsdiskussion „Illegal oder legal – Law & Order im Netz“.
Online Musik zu hören, Filme zu schauen und das Hoch- und Herunterladen von Inhalten ist üblich. Dass es sich dabei häufig um rechtliche Grauzonen handelt, ist einem Großteil der 9- bis 24-Jährigen durchaus bewusst. Wo genau liegt die Grenze zwischen Legalität und Illegalität? Wie verändert das Internet die Bedeutung von geistigem Eigentum? Widerspricht das Urheberrecht der Internet-Freiheit oder umgekehrt, in welche Richtung sollte vielleicht eine Angleichung stattfinden? Mit Marina Weisband diskutieren: Prof. Dr. Tobias Keber (siehe Seite 8) und Dr. Florian Drücke (Jurist, Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie e. V.).
Florian Thalmann
Florian Thalmann, Journalist, der im Mai 2014 einen Selbstversuch unternommen hat: vier Wochen offline! Er ist beim Workshop „Always on – wie möchtest du leben?“ dabei.
Mehr als zwei Drittel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind täglich online. Gleichzeitig ist eine Zukunft ohne Internet für einzelne Milieus durchaus im Bereich des Möglichen, wie die DIVSI U25-Studie gezeigt hat. Dass die Frage, wie ein Leben ohne Internet eigentlich aussehen könnte, für junge Menschen eine Rolle spielt, zeigen zahlreiche Selbstversuche. Frage: Macht das Internet den Einzelnen unabhängiger, oder zwingt es ihn in einen ständigen Bereitschaftsmodus? Wie sieht der „gesunde Mittelweg“ aus zwischen Verzicht und Dauerbetrieb?
Tobias Schrödel
Tobias Schrödel, Fachinformatiker, Buchautor („Ich glaube, es hackt!“) und vor allem auch Live-Hacker.
Nur 40 Prozent der 14- bis 24-Jährigen sehen die persönlichen Daten im Internet als sicher an. Dennoch glauben 60 Prozent von ihnen, dass ihre persönlichen Daten noch nicht missbraucht wurden. Wie schnell das möglich ist, wird ihnen Schrödel beim Live-Hacking überzeugend demonstrieren. Auf unterhaltsame Weise bringt der IT-Comedian den Zuhörern den wichtigen Bereich Datensicherheit näher. Er erklärt technische Systemlücken und Zusammenhänge für jeden verständlich und lässt dabei auch den Spaß nicht zu kurz kommen.
Bert te Wildt
Dr. med. Bert te Wildt. Er leitet als Oberarzt die Ambulanz der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum. Er ist beim Workshop „Wie viel ‚on‘ ist normal?“ dabei. Wo hören Spaß und Entertainment auf, wo fangen Online- und Spielsucht an? (Wie) Muss man die eigene Internet-Nutzung steuern und kontrollieren? Was kann man selbst tun, um sich oder Freunden zu helfen?
Gabriele Farke
Gabriele Farke, Autorin („Gefangen im Netz“) und Website-Betreiberin www. onlinesucht.de). Sie war Bundesvorsitzende des HSO e.V. (Hilfe zur Selbsthilfe für Online-Süchtige). Sie ist beim Workshop „Wie viel ‚on‘ ist normal?“ dabei. Wo hören Spaß und Entertainment auf, wo fangen Online- und Spielsucht an? (Wie) Muss man die eigene Internet-Nutzung steuern und kontrollieren? Was kann man selbst tun, um sich oder Freunden zu helfen?
Tobias Keber
Prof. Dr. Tobias Keber lehrt an der Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM) Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft.
Er leitet den Workshop „Law & Order“. Musik und Filme sind massenhaft online zu finden und zu konsumieren – auch ohne notwendigerweise dafür zahlen zu müssen. Die Rechtslage zur Nutzung online verfügbarer Inhalte ist jedoch sehr komplex. Es ist nicht abschließend geklärt, was legal oder illegal und damit potenziell strafbar ist. Fragen also: (Warum) Darf ich streamen, aber nicht downloaden? Welche Strafen drohen für die illegale Nutzung von Online-Gütern?
Nico Lumma
Nico Lumma, Co-Vorsitzender von D64, dem Zentrum für digitalen Fortschritt. Er hat sich einen Namen durch Netzkolumnen gemacht und ist beim Workshop „Wem gehört das Internet?“ dabei.
Auf das Internet gibt es kein Patent, jeder darf es mitgestalten und sich an seiner Weiterentwicklung beteiligen – so der Grundgedanke. Doch was ist davon geblieben? Funktionieren Konzepte wie Open Source oder auch Wikipedia? Wie sieht das aktuelle Kräfteverhältnis von gemeinschaftlichen bzw. zivilgesellschaftlichen Bestrebungen auf der einen Seite und staatlichen sowie kommerziellen Interessen auf der anderen Seite aus?