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Kampf gegen die Übermacht des Silicon Valley

24. April 2018

Nepros Tablet

Foto: Nepos

Von der Idee zum Produkt. Wie ein Berliner Start-up das maßgeschneiderte Tablet für die ältere Generation entwickelte und marktreif machte.

Von Marc-Oliver Drescher

Paul Lunow ist leidenschaftlicher Programmierer. Luise Lunow, 85, ist leidenschaftliche Schauspielerin, Synchronsprecherin und Pauls Großtante. Luise Lunow wollte schon immer ihr Arbeitsleben über den Computer organisieren. Doch das ist für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Zum Glück gibt es Paul in ihrem Leben. Er half ihr immer gerne mit dem Computer. Dann löschte sie aus Versehen alle ihre Daten. Paul platzte der Kragen, und so bekam die Welt den einfachsten Computer. Aber der Reihe nach.

Die Welt um Luise hat sich auf dramatische Weise verändert. Früher organisierte sie ihre Termine für die Schauspielerei über das Telefon und trug sie mit Bleistift in den Kalender ein. Fertig. Irgendwann wurde sie von der digitalen Welt überrollt. Wie so viele aus ihrer Generation. Doch sie hatte ein Ass im Ärmel. Das Ass hieß Paul und war ihr Großneffe. Paul, leidenschaftlicher Programmierer, half seiner Großtante mit dem Computer, wo immer er konnte. Mit einer Engelsgeduld erklärte er ihr immer wieder das Gerät, schrieb Memos und liebevolle Gebrauchsanweisungen. Er kaufte ihr sogar ein iPad von Apple. Aber auch das half nicht.

Herausforderung

Luise scheiterte immer wieder an der Technik. Warum, so fragte sie sich, musste sie im hohen Alter in regelmäßigen Abständen die Bedienoberfläche immer wieder neu erlernen? Für sie machte das keinen Sinn. Eines Tages passierte ihr dieser folgenschwere Fehler: Sie löschte aus Versehen alle Daten. Paul war machtlos und beschloss, endlich die perfekte Lösung für seine Großtante zu finden.

Der June Fund Investor Florian Schindler hatte stand vor ähnlichen Herausforderungen. Er versuchte, seine Schwiegereltern für die digitale Welt und das Internet zu erwärmen. Doch auch er scheiterte aus den gleichen Gründen.

Eines Tages liefen sich die beiden über den Weg. Sie kamen auf das Thema Senioren-Computer zu sprechen. Beide faszinierte die Idee, den perfekt optimierten Computer für diese Zielgruppe zu entwickeln. Man beschloss, dieses Projekt gemeinsam anzugehen.

Am Anfang stand die Frage: „Irgendwo auf der Welt muss es so einen Computer doch geben?“ Nach fast einem Jahr intensiver Recherche stand fest: Den perfekten Computer für diese Zielgruppe gab es nicht. Es gab zwar diverse Apps für Senioren. Diese waren aber technisch und optisch so gestaltet, dass alte Menschen sich auch gerne alt fühlen durften. Für beide war dies eine gute Nachricht.

Die nächste „gute“ Nachricht war eine Zahl: Über 19 Millionen Menschen allein in Deutschland, also fast ein Viertel der Bevölkerung, ist bis heute von der digitalen Welt weitestgehend ausgeschlossen. Das ist insofern tragisch, da es sich hier um Menschen handelt, die in der Mehrheit finanziell unabhängig und physisch sehr fit sind.

Und es gab noch eine gute Nachricht: Die Lebenserwartung ganz allgemein ist deutlich gestiegen. 60+ ist heute kein Alter mehr. Geschäftlich gesehen lag vor den beiden also ein riesiger, unentdeckter Schatz, ein enorm nachhaltiges Potenzial. Dieses Potenzial gewann weiter an Wert, wenn man bedachte, dass viele Institutionen wie Banken ihre Filialen in Zukunft schließen werden und online gehen – der Supergau für die betagte Generation.

Nun fiel die Entscheidung leicht, ein Start-up zu gründen, das einen Computer entwickelt, der einen einfachen und sicheren Zugang für ältere Menschen verspricht. Ein Computer, der dafür sorgt, dass alle in der digitalen Welt mitmachen können.

Nepros Tablet Sessel

Foto: Nepros

In den Anfängen der Entwicklung war „Computer“ ein ziemlich großes Wort. Das Team um Paul wollte zuerst eine App entwickeln, die man auf jedem Gerät nutzen konnte. Die erste Funktion dieser App war ein Browser, damit jeder Inhalt im Netz erreichbar wurde. Finanziell und technisch gesehen – so dachte man – die beste Lösung.

Selbsterklärung

Die Grundidee der App war, aus ihr die simpelste Bedienoberfläche der Welt zu kreieren. Diese sollte so klar gestaltet sein, dass jede Funktion über einen selbsterklärenden Weg bedienbar wurde. Einmal verstanden, ließe sich die Menü-Logik immer wieder anwenden – egal, ob man im Internet unterwegs ist, E-Mails schreibt, Online-Einkäufe nach Hause bestellt oder mit der Familie videotelefoniert. Bei allen Funktionen sollten sich die Nutzer keine Sorgen über Sicherheitslücken machen müssen.

Doch schnell wurde klar, dass dieses Konzept nicht so einfach aufging. Die Idee der einfachsten Bedienoberfläche mit all seinen Features war nicht ohne Weiteres mit den klassischen Hardware-Anbietern kompatibel. Sprich: Das Spiel geht erst auf, wenn man Hard- und Software unter Kontrolle hat. Bei einem iPad beispielsweise gibt es keine Kontrolle bei der Aktualisierung. Was tun?

Ein Start-up, das Hard- und Software aus einer Hand anbietet, hat einen entscheidenden Nachteil. Investoren sind schwer dafür zu begeistern. Fehler müssen extrem teuer bezahlt werden. Paul Lunow und Florian Schindler fällten die mutige Entscheidung, gemeinsam mit Top-Spezialisten Hard- und Software aus einer Hand zu entwickeln. Diese Entscheidung ermöglichte es auch, ein eigenes Gehäuse zu realisieren.

Hardwareingenieure, Programmierer und Frontend-Entwickler kamen ins Team. Viele von ihnen hätten in bekannten Technologieunternehmen sicher mehr verdienen können, wollten aber Teil dieses Projektes werden. Zum einen, weil sie für ihre Eltern oder Großeltern diesen Computer realisieren wollten. Zum anderen, um der Übermacht des Silicon Valley etwas entgegenzusetzen. Auch aus anderen Disziplinen fanden sich Profis ein, um das Vorhaben zu unterstützen. Beispielsweise Werner Aisslinger, Deutschlands bekanntester Industriedesigner. Er hatte die gleiche Herausforderung mit seinem Vater, dem das iPad von Apple nie ans Herz wachsen wollte. Aisslinger machte sich an das Design des Gehäuses. Aus dem Computer wurde jetzt ein Tablet.

Nepros Tablet

Foto: Nepros

Weitere Spezialisten, wie Dr. Sebastian Glende von der YOUSE Marktforschung, kamen hinzu. Er gilt als einer der profiliertesten Kenner für Märkte, in denen Senioren die Hauptzielgruppe sind. Glende eröffnete dem Team neue Sichtweisen für Entwicklung und Optimierung des Geräts.

Marktchance

Innerhalb von drei Jahren stieg die Zahl der Spezialisten auf 25. Das zog letztendlich auch Investoren an, die trotz der ungewöhnlichen Aufstellung des Start-ups – oder gerade deshalb – die Chancen am Markt erkannten. Die Investoren erkannten aber noch etwas ganz anderes Wertvolles in dem Start-up. Doch dazu später mehr.

Der größte Coup des jungen Berliner Start-ups, das man inzwischen auf den Namen Nepos getauft hatte, war allerdings die Kooperation mit den Seniorenwohnheimen der Rosenhöfe. Gemeinsam mit den Bewohnern gründete man die Rosenhof Akademie. Über 100 Menschen zwischen 60 und 85 Jahren aus ganz Berlin wurden Teil des Entwicklungsprogramms und testeten das Gerät über 1.000 Stunden lang. Eines der schönsten Geschenke während und nach den Tests zeigte sich in der Begeisterung und dem Vertrauen, das die Generation 60+ diesem neuen Tablet Computer in kürzester Zeit entgegenbrachte.

Nach jedem Langzeittest wollten die wenigsten Tester das Gerät zurückgeben, weil zum ersten Mal die Einfachheit und die Eleganz eines optimierten Tablets überzeugte. Vor allem aber, weil sich die Tester der Gesellschaft und ihren Familien gegenüber nicht mehr unsichtbar und abgehängt fühlten. Am Ende aller Testreihen wollte jeder Tester ein marktreifes Tablet besitzen. 80 Prozent von ihnen bestellten ein Tablet vor.

Höhen und Tiefen

Die smarte Kombination aus der neuesten Open-Source- Software gab dem Nepos-Team die Möglichkeit, ein komplettes Betriebssystem zu entwerfen und eine eigene Oberfläche zu kreieren. Sämtliche Datenübertragungswege sind per Default verschlüsselt. Zusätzlich wurde modernste Sicherheitstechnologie integriert, die aktuell verfügbar war.

Aufgrund der Entscheidung, ein Tablet in kompletter Eigenregie zu entwickeln, hat Nepos die Hardware und auch sämtliche auf dem Gerät laufende Software unter Kontrolle. Auch wurden lautlose Updates integriert, sodass sich die Nutzer keine Sorgen über Sicherheitslücken machen müssen. Zusätzlich werden alle Daten auf einer Cloud abgelegt und automatisch gesichert. Sollte ein Gerät kaputtgehen, lässt es sich ohne Datenverlust austauschen. Da das Betriebssystem auf Linux basiert und keinen Zugriff auf das Datensystem erlaubt, können sich keine Viren und Trojaner unbemerkt einnisten.

Wenn Paul Lunow und Florian Schindler die letzten drei Jahre Revue passieren lassen, so haben sie alle Höhen und Tiefen erlebt, die die Faszination eines Start-ups ausmachen. Mit ihrem Team haben sie nicht nur ein Tablet mit der einfachsten Bedienoberfläche der Welt geschaffen. Nepos wurde auch die erste Marke weltweit, die für alle kommenden 60+-Generationen jedes digitale Produkt verständlich transformieren, weiterentwickeln, optimieren und kuratieren kann – egal, ob es sich um neue Generationen von Smartphones, Smart-Home-Lösungen, VR-Brillen oder Sprachassistenten handelt. Und das ist es, was Nepos am Markt so begehrenswert macht.

Doch für dieses Jahr liegt der Fokus erst mal auf dem Nepos-Tablet. Damit endlich alle in der digitalen Welt mitmachen können.

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Der Autor

Mo Drescher

Mo Drescher

arbeitet als beratender Kreativdirektor. Der Ex- Werber sitzt außerdem im Advisory Board der Earthbeat Foundation und ist Cradle to Cradle Ambassador.

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