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Netzneutralität – Die Perspektive der digitalen Wirtschaft: Präventive regulatorische Maßnahmen können die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Innovationen vereiteln

18. November 2013

Netzneutralität

Bild: kubais – Shutterstock

Von Dr. Bernhard Rohleder

Berlin – Netzneutralität wird häufig als Sammelbegriff für eine möglichst umfassende Gleichbehandlung von Inhalten und Diensten im Internet verwendet. Sie erscheint als politisch-soziales Ziel, und die Rhetorik ist entsprechend. Es ist die Rede von der Zwei-Klassen-Gesellschaft im Internet, die man zu verhindern habe. Von Diskriminierung, die man nicht zulassen dürfe. Und von gleichem Recht für alle, das man erkämpfen müsse.

Das soziale, vielleicht zudem wirtschaftliche Ziel der „Gleichheit“ wird dabei auch von jenen ganz nach oben gerückt, die sich aus dem so genannten „Best Effort Internet“ – das sie für andere fordern – selbst längst verabschiedet haben. Für ihre Partei, ihre Organisation oder auch ihr Medium mieten sie sich garantierte Kapazitäten in IP-Netzen, sind direkt am Point of Presence ihres Internet-Dienstleisters oder haben gar eigene Netze aufgebaut. Um VDSL und LTE machen sie einen großen Bogen.

Für all das bezahlen sie viel Geld. Eine Standleitung, wie man umgangssprachlich sagt, kostet in aller Regel ab 500 Euro einmaliger Anschlussgebühr und dann jeweils ab 500 Euro pro Monat für den Dienst. Wer Netzneutralität so auslegt, dass es keinerlei Dienste-Differenzierung geben darf, zwingt all jene, die diese Differenzierung brauchen, in das Luxussegment der IP-Netze.

Die wenigsten können sich das leisten. Wer meint, im Internet seien heute alle gleich, übersieht die große Welt der IP-Netze und – selbstredend – die enorme Differenzierung, die sich durch die unterschiedlich leistungsfähigen Endgeräte ergibt. Bei Licht betrachtet sehen wir heute eine Zwei-Klassen-Gesellschaft im Internet, wie sie extremer kaum sein kann. Und diejenigen, die sich eine besonders ausgeprägte Form der Netzneutralität auf die Fahnen geschrieben haben, bewegen sich oft in der Oberschicht.

Was dabei außerdem verkannt wird: Die Differenzierung des Datenverkehrs durch Traffic-Management ist eines der Prinzipien des gängigen Internet-Protokolls. Maßnahmen wie Managed Services sind in vielen Bereichen üblich und not- wendig, um die je nach Dienst unter- schiedlichen Erwartungen und Anforderungen der Nutzer erfüllen zu können. Diese Maßnahmen werden umso wichtiger, je stärker der Bedarf nach höheren und gesicherten Bandbreiten zunimmt.

Angesichts des rasant ansteigenden Datenverkehrs sind intelligent verwaltete Netze notwendig, um erstens Kapazitätsengpässen vorzubeugen und zweitens einem veränderten Nutzungsverhalten gerecht zu werden. In der Vergangenheit wurde das Internet fast ausschließlich als Plattform für Inhalte genutzt. Neuere Internetdienste, wie Videokonferenz- Angebote, dienen hingegen der Kommunikation in Echtzeit.

Solche Dienste verlangen nicht nur eine hohe Bandbreite, sondern auch weitere Qualitätsparameter. Denn bei einer laufenden Konferenz kommt es zum Beispiel darauf an, dass alle Redebei- träge ohne Verzögerung übermittelt werden. Ähnliches gilt für die Tele-Medizin, Web-Videos, Musik-Streaming oder Online-Gaming. Mit einem puristischen Best-Effort-Ansatz, der jegliche Differenzierung ausschließt, könnten solche Dienste nur noch über extrem teure IP-Netze angeboten werden.

Andererseits können datenintensive Dienste wie Peer-to-Peer-Netzwerke große Ressourcen belegen und bei bestehenden Kapazitätsgrenzen zu einer starken Beeinträchtigung der Nutzungsqualität anderer User führen. Dem kann man mit Qualitätsdiensten entgegenwirken.

Manche Kritiker behaupten, Eingriffe in die Datenübertragung im Sinne eines Netzwerkmanagements seien vermeid- bar: etwa, weil über das sogenannte Overprovisioning so viel Bandbreite zur Verfügung gestellt werden könne, dass das Netzwerkmanagement im Sinne eines Lastenmanagements weitestgehend entbehrlich werde. Zur Vermeidung der punktuell auftretenden Engpass-Situationen müsste jedoch die gesamte Netzinfrastruktur hochgerüstet werden. Ein solches extremes Overprovisioning wäre völlig unwirtschaftlich. Autobahnen sind ja auch nicht auf die Rush-Hour zur Ferienzeit ausgelegt.

Die Netzbetreiber sind sich einig, dass das Gebot eines offenen Internets essenzieller Bestandteil eines freiheitlich demokratischen Gemeinwesens ist, in dem alle Verbraucher und gewerblichen Kunden ihre jeweiligen Anbieter und Dienste frei wählen können. Grundlagen dieses offenen Internets sind Wettbewerb und Transparenz, leistungsfähige und intelligente Netze, innovative Geschäftsmodelle sowie ein stabiler Rechtsrahmen.

Best-Effort wird von den Netzbetreibern nicht infrage gestellt, sondern weiter ermöglicht und fortentwickelt. Netzwerk- management-Maßnahmen sollten dabei transparent, diskriminierungsfrei und nicht-exklusiv eingesetzt werden. So sollten die Provider etwa ihre Kunden vor Vertragsabschluss in standardisierter Form über netzneutralitätsrelevante Vertragsaspekte informieren.

Dazu gehören beispielsweise Datenlimits oder mögliche Einschränkungen der Geschwindigkeiten. Verbraucher und Geschäftskunden müssen gut informiert sein und dann frei über das jeweilige Angebot entscheiden können.

Die Frage, ob Dienste differenziert behandelt werden dürfen, sollte in erster Linie aufgrund folgender Fragen entschieden werden: Sind für die Erbringung des Dienstes bestimmte „Quality-of-Service“-Parameter erforderlich? Erfolgen die entsprechenden Priorisierungs-Angebote in wettbewerbskonformer, nicht-diskriminierender und transparenter Art und Weise gegenüber allen Nachfragern zu kommerziellen Bedingungen? Und führen sie weder bei Dienste-Anbietern noch Netzbetreibern zu Wettbewerbsverzerrungen?

In einem wettbewerbsintensiven Breitbandmarkt, in dem Offenheit und Diskriminierungsfreiheit gesichert sind, bedarf es keiner präventiven Regulierung. Inhalte-Anbieter und Endkunden sollen eine höherwertige, über „Best Effort“ liegende Qualität einkaufen können, um legale Dienste jederzeit reibungslos abrufen zu können.

Präventive regulatorische Maßnahmen können hingegen die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Innovationen der ITK-Branche vereiteln. In vielen Branchen (z.B. Medien & Unterhaltung, Tele-Medizin, erneuerbare Energien etc.) entstehen innovative Anwendungen, die auf einer gesicherten Qualität der Datenübertragung basieren.

Die Netzbetreiber haben in den vergangenen 15 Jahren mehr als hundert Milliarden Euro in den Netzausbau investiert. Damit haben sie die Voraussetzungen geschaffen, Leistungen im sogenannten offenen Internet anbieten zu können, die vormals nur in IP-Netzen darstellbar waren – und dies zu unschlagbar günstigen Preisen. Dieses Rad darf nicht zurückgedreht werden. Im Gegenteil: Spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem in Deutschland flächendeckend Glasfaser-Anschlüsse verfügbar sind, wird es kaum mehr Engpässe geben.

An diesem Gigabit-Schlaraffenland muss gearbeitet werden, der Investitionsbedarf liegt bei etwa 80 Milliarden Euro. Die aktuelle Debatte um die Netzneutralität wird dann ohnehin verstummen. Und so gilt bis dahin: „Ja“ zur Netzneutralität. Gleiches soll gleich, Ungleiches darf ungleich behandelt werden. Willkürliche Diskriminierungen müssen dauerhaft ausgeschlossen bleiben.

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