Hamburg/Berlin – Die Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Miriam Meckel hat im Berliner BASE_camp die Studie „Der Diskurs zur Netzneutralität“ vorgestellt. Im Rahmen dieser Präsentation kritisierte sie, dass die Diskussion um Netzneutralität bislang nahezu aus- schließlich eine Debatte unter Experten geblieben ist.
Dabei räumte Meckel allerdings ein, dass die Einführung neuer DSL-Tarife durch die Telekom – mit Volumengrenzen, aus welchen die eigenen Angebote und jener von Partnerunternehmen ausgeklammert werden – sowie der erste und der überarbeitete Entwurf einer Verordnung zur Netzneutralität viel Beachtung gefunden haben. Gleichwohl stellt sie ins- gesamt in der Studie fest: „Sowohl auf Seite der Medien als auch der Politik ist insgesamt nur eine kleine Gruppe von Personen wirklich aktiv.“
Vor diesem Hintergrund appellierte sie an die breite Masse der Internet-Nutzer, sich aktiv in diesen für die Gesellschaft so wichtigen Meinungsbildungsprozess einzubringen. Miriam Meckel, Mitglied des DIVSI Beirats: „Das Netz geht uns alle an, weil immer größere Teile des Lebens im Netz stattfinden“.
Als Bestätigung ihrer Kritik wertete die Forscherin auch, wie groß auf der einen Seite der mediale Protest auf die Ankündigung der Deutschen Telekom war, die Internet-Flatrates zu begrenzen, und wie gering in Relation dazu die Durchdringung dieses Themas in der Internet-Gemeinde ist. „Das Thema spielt für die Masse keine Rolle”, beklagte Meckel.
Ein weiteres Indiz der geringen Bereitschaft, sich für die Ausgestaltung und den Bestand des freien Internets einzusetzen, sieht die Forscherin im Umgang mit dem NSA-Skandal. Es sei erstaunlich, wo bei dieser Thematik das ansonsten große Empörungspotenzial der Bevölkerung abgeblieben sei. Dabei würden schließlich die Freiheitsrechte der Bürger erheblich tangiert. Meckel rechnet allerdings damit, dass das Thema Vorratsdatenspeicherung wegen des NSA-Skandals künftig an Bedeutung gewinnen wird.
Die Studie „Der Diskurs zur Netzneutralität“, die von der Universität St. Gallen durchgeführt wurde, vergleicht den Status des Netzneutralitäts-Diskurses in Deutschland, Frankreich, den USA auf EU-Ebene und in einigen anderen Ländern im Jahr 2012. Die Arbeit der Hochschule wurde vom Mobilfunk-Anbieter E-Plus unterstützt.
Insgesamt stellt die Studie fest: Eine genaue Betrachtung und Analyse des Diskurses zur Netzneutralität in Deutschland erlaubt es, sechs unterschiedlichen Akteursgruppen zu identifizieren, welche durch ihre Beiträge die öffentliche Debatte zum Thema prägen.
Im Einzelnen sind dies:
Das eigentliche Problem umriss Prof. Meckel so: „Weltweit nimmt der Datenverkehr zu. Um sicherzustellen, dass Endnutzer weiterhin die volle Geschwindigkeit ihres Internet-Anschlusses nützen und Anwendungen jeder Art verzögerungs- und störungsfrei nutzen können, muss entweder die Leistungsfähigkeit der Infrastruktur erhöht oder der Datenverkehr gelenkt werden. Die Fragen danach, welcher dieser zwei Wege beschritten wird, wer darüber entscheidet und wie diese Wege im Detail auszusehen haben, bilden die Brennpunkte des Diskurses zur Netzneutralität.“
In Rahmen der Studie sollte auch geklärt werden, was Netzneutralität überhaupt ist. Meckel machte im Laufe ihres Vortrags deutlich, dass das Problem bereits mit der Definition des Begriffs beginne: „Eine eindeutige und allgemein anerkannte Definition des Begriffs ,Netzneutralität’ gibt es nicht.“
Aus der Sicht des Endnutzers bezeichnet Netzneutralität den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten, Diensten und Anwendungen seiner Wahl. Aus der Sicht des Anbieters von Inhalten, Diensten oder Anwendungen geht es um die diskriminierungsfreie Übermittlung der Information an den Endnutzer.
Die vielen unterschiedlichen, teilweise interessengetriebenen Interpretationen machten einen unvoreingenommenen Diskurs unmöglich. Dabei bedeute Netzneutralität eigentlich nur, dass alle Daten im Internet gleichberechtigt übertragen werden sollen.
Die Studie macht weiter deutlich, dass Diskriminierung einzelner Nutzer und Anbieter im Allgemeinen verpönt sei. Doch bereits mit der Diskriminierungsfreiheit beginne das Dilemma der Interessensabwägung zwischen der ungehinderten Internet-Nutzung und dem Geschäftsmodell der Internet-Provider.
Dazu gehört auch die Frage, wie die Erweiterung der Netzinfrastruktur zu finanzieren ist, wenn allein die Kosten für den Ausbau eines schnellen Glasfasernetzes in Deutschland 80 Milliarden Euro betragen – und vor allem wer diese Investition tätigen soll.
Endgültig scheiden würden sich dagegen die Geister an der Ungleichbehandlung von Daten durch die Einführung von Dienst- oder Qualitätsklassen und entsprechender Preisdifferenzierung.
Dienstklassen würden den freien, demokratischen und offenen Charakter des Internets grundlegend verändern und durch Anhebung der bislang tiefen Markteintrittsschranken Innovation durch junge und kleine Unternehmen verhindern. Dieses Szenario befürchten die Befürworter von strengen Netzneutralitätsregeln.
Es würde ein Zwei-Klassen-Internet entstehen, in welchem die Ideen von egalitärem Zugang zu Information und Teil- habe am sozialen Leben für jedermann nicht mehr verwirklicht werden könnten. Das sei – neben Zensur und Verletzungen des Fernmeldegeheimnisses – die große Angst der Netzgemeinde.
Dieser Furcht wird entgegnet, das Netz sei zum einen noch nie neutral gewesen, habe also immer Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Außerdem werde ein gewisses Netzwerk-Management ohnehin seit Jahren praktiziert, um die steigende Datenmenge abzuwickeln und die Nutzung zeitsensibler Anwendungen störungsfrei zu gewährleisten.
Zusammenfassend stellt Prof. Miriam Meckel in der Untersuchung fest, dass sich innerhalb der globalen Debatte zur Netzneutralität verschiedene Brenn- punkte identifizieren lassen, die eng miteinander verknüpft sind. Diese fasst sie in vier Konflikten zusammen: