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Big Data in der medizinischen Praxis – die Zukunft hat begonnen

29. Januar 2016

Big Data in der medizinischen Praxis – die Zukunft hat begonnen

Bild: tai11 – Shutterstock

Diese Entwicklung unterliegt einer Eigendynamik, die sich per se nicht unterdrücken lässt.

Dr. Franz Bartmann

Im Zusammenhang mit Big Data wird in ganz unterschiedlichen Bereichen von enormen Potenzialen gesprochen. Dabei haben die sich bietenden Möglichkeiten natürlich auch Einfluss auf die Medizin. Wobei die Diskussion über Big Data im Gesundheitsbereich bisher noch ohne eine erkennbare strukturierte Zielrichtung abläuft. Hier sehen wir uns mit einem riesigen Problem konfrontiert: Die Digitalisierung in der Medizin erschlägt uns in ihrer Komplexität vor allem, wenn wir diese vorwiegend noch mit analogen Methoden zu beherrschen versuchen.

Big Data wird unser gesellschaftliches Leben komplett umkrempeln. Über mögliche Folgen, gerade auch im Gesundheitsbereich, sollte man jedoch nachdenken, bevor es eventuell zu spät ist.

Bedauerlicherweise ist Big Data mittlerweile zu einem Buzzword geworden, bei dessen Nutzung, ähnlich wie beim Begriff „Telemedizin“, häufig der intendierte Kontext gar nicht klar ist.

Neue Methoden

Medizinisch gesehen verstehen wir unter Big Data die Analyse großer Datenmengen mit neuen statistischen Methoden und maschinellem Lernen. Das Resultat ist ein neuer Wissenszugang. Big Data liefert nicht nur Antworten auf bewusst gestellte Fragen, sondern auch auf solche, die wir bislang nie gestellt haben und vermutlich auch nie stellen würden.

Die Chancen bestehen darin, dass wir neue Muster in der Entstehung von Krankheiten und in der Behandlung erkennen, von denen wir heute noch nicht ahnen, dass sie tatsächlich bestehen.

Die Verwendung dieser neuen Möglichkeiten scheint auf verschiedenen Einsatzgebieten durchaus lohnend. So birgt die Analyse großer Datensätze (beispielsweise die Daten der nationalen Kohorte) die Chance, mehr Informationen über die Krankheitsentstehung zu gewinnen, z.B. über die Risikofaktoren von Volkskrankheiten. Auch die Ansätze der personalisierten Medizin – beispielsweise im Bereich der Krebstherapie – können durch den Einsatz von Big Data Hoffnung machen. Hier hat sich in den letzten Jahren viel getan.

Im Bereich Public Health sind ebenfalls sehr interessante Entwicklungen zu beobachten. Dies gilt etwa für die Infektionsepidemiologie, in der durch Big-Data-Analysen Vorhersagen von Grippewellen, Pandemien oder anderen Ausbruchsgeschehen getroffen werden können. Allerdings steht diese Entwicklung noch am Anfang, wie das Beispiel Google Flu verdeutlicht. Nach ersten Sensationsmeldungen wurde hier festgestellt, dass die Vorhersagen noch zu ungenau sind.

Big Data

Sinnvoll: Big Data kann bei Pandemien oder Volkskrankheiten wichtige Infos liefern. (Bild: Davide Calabresi – Shutterstock | Production Perig – Shutterstock)

Seltene Erkrankungen sind ein gutes Beispiel, um das Thema Mustererkennung zu verdeutlichen. Hier könnten Ärzte in Zukunft durch Expertensysteme dabei unterstützt werden, solche Erkrankungen schneller zu erkennen – leider dauert das im Moment häufig noch viel zu lange.

Über das Thema Wearables wird derzeit intensiv diskutiert. Gleichzeitig werden diese Devices das klassische Verhältnis zwischen Arzt und Patient ändern, aber nicht zwangsweise verschlechtern.

Es ist nicht mehr nur der Arzt, der Daten beim Patienten erhebt, sondern der Patient bietet ihm auch aktiv Daten an. Im Zusammenhang mit Big-Data-Analysen werden diese neuen Devices aus medizinischer Sicht aber erst richtig interessant, wenn diese Daten mit anderen Biodaten verknüpft und daraus Verbesserungen der Diagnostik oder Therapie ableitbar werden.

Beispielsweise könnten Diabetiker von dieser Entwicklung stark profitieren. Wenn die Daten eines Fitness-Trackers verlässliche Daten zum Kalorienverbrauch liefern und diese mit der Blutzuckermessung verknüpft werden und dann evtl. noch zusätzlich die Kalorienzufuhr fotoanalytisch quantifiziert werden könnte – dann könnte mit diesen Informationen vermutlich die Insulin-Therapie so verbessert werden, dass diese einer körpereigenen Produktion sehr nahe käme. Dies ist momentan natürlich noch Zukunftsmusik, gleichwohl aber ein Beispiel dafür, was wir uns als Ärzte von dieser Entwicklung wünschen.

Big Data Forschung

Hoffnung: Big Data könnte Diabetikern helfen – die Forschung arbeitet dran. (Bild: Syda Productions – Shutterstock | Looker_Studio – Shutterstock)

Brachland

Unabhängig von all dem bieten auch bereits vorliegende große Datensätze, die zu ganz anderen Zwecken generiert wurden, ein weiteres bedeutendes Potenzial. Dies gilt im Hinblick auf Abrechnungsdaten für Krankenhäuser oder im vertragsärztlichen Bereich. Im Moment sind diese Chancen im Hinblick auf einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn zur Entstehung und optimierten Behandlung von Krankheiten längst noch nicht ausgeschöpft.

Klinikeinsatz Big Data

Klinikeinsatz: Im Bereich Krankenhaus sind viele Möglichkeiten noch ungenutzt. (Bild: wavebreakmedia – Shutterstock | tai11 – Shutterstock)

Eine nicht zu unterschätzende Gefahr ist bei allen positiven Möglichkeiten eine Überschätzung der Methoden: Korrelation ist nicht gleich Kausalität. Mit diesem Phänomen setzt sich die Medizin nicht erst seit Big Data auseinander, sondern solange es Medizin gibt. Prominentes Beispiel ist der gleichzeitige Rückgang der Storchenpopulation und der Geburtenrate.

Sicherheit?

Ein weiteres Problem wird uns häufig bei einer anderen Big-Data-Anwendung verdeutlicht: Den meisten Internet-Nutzern wurden sicherlich schon unter der Rubrik „andere Kunden, die sich für dieses Produkt interessierten, kauften auch …“ Sachen angeboten, die voll danebenlagen.

Deshalb darf man gerade bei Fragen der Gesundheit eines nie vergessen: Jedes Ergebnis von Big-Data-Analysen muss mit medizinischem Sachverstand kritisch geprüft werden.

Ebenfalls nicht zu vergessen ist bei den Stichworten Big Data und Medizin die Thematik des Datenschutzes. Die enorme Datenmenge und die Verknüpfungsmöglichkeiten könnten dazu führen, dass klassische Methoden für den Datenschutz, wie Pseudonymisierung oder Anonymisierung, ausgehebelt werden. Es ist notwendig, Forschung auf die Entwicklung von neuen Methoden für den Datenschutz im Big-Data-Kontext zu fokussieren.

Big Data bietet technische Möglichkeiten, die ohne gesellschaftliche Kontrolle auch missbraucht werden können. Es ist z.B. möglich, individuelle Risikoprofile für Menschen zu erstellen, die nach heutigen Maßstäben als gesund gelten, und diese Menschen dann zu diskriminieren. Negative oder kritische Daten, wenn sie denn überall zur Verfügung stehen, könnten dazu führen, dass Leute deshalb vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden. So wäre es durchaus denkbar (und ein Albtraum), dass ein Kind auf Grundlage des Genoms der Eltern sein ganzes Leben lang keine Versicherung, Arbeitsstelle oder einen Kredit erhält.

Ethik-Problem

Big Data sollte nicht alles tun dürfen, nur weil es technisch möglich ist. Hier ist die Gesellschaft gefragt, Grenzen zu setzen. Es gilt, beispielsweise ein ethisches Problem zu lösen: Was darf oder soll man tun? Und: Haben die Menschen nicht auch ein Recht auf Nichtwissen? Brauchen wir ein Verwertungsgebot für manche Erkenntnisse aus Big-Data-Analysen? Wir sind gut beraten, zeitnah an neuen ethischen Standards zu arbeiten – damit wir Big Data zu unser aller Wohl positiv nutzen können. Denn Big Data unterliegt einer Eigendynamik, die sich per se nicht unterdrücken lässt.

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Der Autor

Dr. Franz Bartmann

Dr. Franz Bartmann

Foto: Stefan Zeitz

ist Präsident der Ärztekammer Schleswig- Holstein und Vorsitzender des Ausschusses „Telematik“ der Bundesärztekammer.

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