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Bürger und Amt: Wobei entstehen die meisten Kontakte?

3. Mai 2016

Bürger und Amt: Wobei entstehen die meisten Kontakte?

Bild: Katerina Pereverzeva – Shutterstock | ProStockStudio – Shutterstock | Dvorko Sergey – Shutterstock

Untersuchung zu den 100 wichtigsten und am häufigsten genutzten Verwaltungsleistungen ist abgeschlossen.

Von Sirko Hunnius und Dirk Stocksmeier

Die Regierungskoalition im Bund hat zu Beginn der aktuellen Legislaturperiode das ambitionierte Ziel vereinbart, die „100 wichtigsten und am häufigsten genutzten Verwaltungsleistungen innerhalb der nächsten vier Jahre bundesweit einheitlich online anzubieten“. Offen blieb, welche Leistungen dies eigentlich sind.

Darüber hinaus war nicht klar umrissen, was genau der Begriff „Verwaltungsleistungen“ alles umfasst – lediglich Bürgerdienste, auch den Bereich der Daseinsvorsorge oder sogar jede Form von Regulierung –, welche Angebotstiefe die Formulierung „online anbieten“ impliziert – nur die Information über die Verwaltungsleistungen, die vollständige Online-Transaktion oder die integrierte Bereitstellung anhand von Lebenslagen – und was als „bundesweit einheitlich“ gilt. All diese Fragen hat ein kürzlich abgeschlossenes Forschungsprojekt aufgegriffen und beantwortet. Dieses Forschungsprojekt wurde vom DIVSI finanziell unterstützt.

Lebenslage

Zentrale Untersuchungsfrage war, wie wichtige und häufig genutzte Verwaltungsleistungen identifiziert werden können. Mit der Antwort wird der Bundesregierung eine Entscheidungshilfe für die Auswahl von Verwaltungsleistungen angeboten. Hierfür wurden anhand der Begriffe „wichtig“, „häufig“ und „umsetzen“ die drei Dimensionen Effektivität, Effizienz und Umsetzbarkeit abgeleitet und anschließend mit operationalisierten Kriterien unterlegt. Aus diesen drei Dimensionen wurden Lebenslagen beurteilt statt einzelner Verwaltungsleistungen.

In einem ersten Schritt mussten Lebenslagen gebildet werden, die insgesamt das Leistungsspektrum der Verwaltung abbilden. Hierfür wurde aus den Webseiten von kreisfreien Städten ein erstes Set von Lebenslagen abgeleitet. Diesen wurden anschließend die ca. 5000 im Leistungskatalog der Verwaltung (LeiKa) erfassten Einzelleistungen zugeordnet und hierbei ergänzende Lebenslagen entwickelt.

Im Ergebnis lag ein Set von 40 Lebenslagen für Bürger vor, welches die gängigsten Verwaltungsleistungen erfasst. Diese Lebenslagen wurden daraufhin jeweils einzeln bewertet. Dafür wurden die umfassendsten verfügbaren Datenbanken systematisch ausgewertet, wie die Bürokratiekostendatenbank SKM, die Normenscreening-Datenbank mit Schriftformerfordernissen und die Genesis-Datenbank des Statistischen Bundesamtes.

Die Top-Fünf

Zusätzlich wurde eine semantische Analyse aller Koalitionsverträge von Bund und Ländern durchgeführt, um politisch-gesellschaftliche Prioritäten abzuleiten. Auf Basis der Werte wurde eine Rangliste der Lebenslagen erstellt. Darauf nehmen die Lebenslagen Kinderbetreuung, Berufsausbildung, Studium, Zuwanderung und Geburt die ersten fünf Plätze ein.

Spitzenreiter

Spitzenreiter: Alles rund um den Nachwuchs und um das Auto sorgt für besonders viele Bürger-Amt-Kontakte. (Bild: Dhoxax – Shutterstock | qvist – Shutterstock)

Aus den Kernleistungen dieser fünf Lebenslagen leiten sich etwa 80 der Top-100-Verwaltungsleistungen ab. Dazu zählen demnach das Kinder- und das Elterngeld, die Studienplatzsuche und -vergabe sowie die Aufenthaltserlaubnis und die Anerkennung von Bildungsabschlüssen. Die Lebenslagen erfordern jeweils zahlreiche Verwaltungskontakte und weisen einen hohen Koordinationsbedarf auf.

Ziel Bearbeitungsprozesse beschleunigen

Das große Ziel: Bearbeitungsprozesse beschleunigen, Bürger entlasten. (Bild: Katerina Pereverzeva – Shutterstock | Dvorko Sergey – Shutterstock)

So haben junge Eltern im Rahmen der Lebenslagen Geburt und Kinderbetreuung aktuell bei den Themen Meldewesen, Familienförderung, Arbeitsschutz, Krankenversicherung und Gesundheitsvorsorge, Steuern, Sozialleistungen sowie Kultur, Sport und Verbraucherschutz Kontakt mit Behörden. Neben den Behörden ist ein breites Spektrum privater leistungserbringender Dritter in die Verwaltungsprozesse eingebunden, wie Ärzte und Träger von Betreuungseinrichtungen.

Dabei geben sie vielfach dieselben Daten an und erhalten sogar von einer Behörde (z. B. Standesamt) Leistungen (hier Geburtsurkunde), die sie dann anderen Behörden – u. a. der Elterngeldstelle,der Familienkasse, der Krankenkasse – zur Verfügung stellen. Digitalisierungspotenziale sind demnach offensichtlich, um Bearbeitungsprozesse zu beschleunigen und Bürger zu entlasten.

Zusätzlich zu den Kernleistungen der priorisierten Lebenslagen wurden Querschnittsleistungen berücksichtigt, die in zahlreichen Lebenslagen erforderlich sind, wie die Geburtsurkunde, das Führungszeugnis und die Meldebescheinigung. Daneben wurden auch Einzelleistungen einbezogen, die relativ isoliert von komplexeren Lebenslagen besonders häufig nachgefragt werden, wie einen Wohnort oder ein Kraftfahrzeug an-, umbzw. abzumelden.

Unterschiedlich einheitlich

Unter den Top-100-Verwaltungsleistungen finden sich etwa 70 Antrags- und Genehmigungsleistungen sowie 30 Anzeigen, Meldungen und Registrierungen. Eine Vielzahl der Leistungen basiert auf bundesgesetzlichen Regelungen, deren Vollzug jedoch in der Zuständigkeit der Länder und Kommunen liegt. Nur wenige der Leistungen werden unmittelbar von Bundesbehörden erbracht. Zudem erbringen einige Leistungen die Sozialversicherungsträger und berufsständische Organisationen. Ebenso sind verwaltungsexterne Dritte beteiligt, wie Unternehmen in der Rolle als Arbeitgeber oder Kindertageseinrichtungen.

Diese unübersichtliche Akteurskonstellation wirft die Frage auf, in welcher Form und von wem die Top-100-Verwaltungsleistungen umzusetzen sind, vor allem mit dem Anspruch „bundesweit einheitlich“. Einheitlichkeit kann allerdings recht Unterschiedliches bedeuten: ein einheitliches Set von Leistungen, das jeweils von der zuständigen Behörde umgesetzt wird; einheitliches Design („look & feel“), einheitliche Infrastrukturen oder (bundes)einheitlicher Zugang, von dem aus auf die Online-Angebote der zuständigen Behörden weitergeleitet wird, bis hin zu einem einheitlichen (Transaktions-)Portal, an das die zuständigen Behörden im Back-End angebunden sind.

Solche unterschiedlichen Umsetzungsvarianten werden in nächster Zeit gemeinsam von Forschungs- und Verwaltungspartnern in Umsetzungsstudien der priorisierten Lebenslagen untersucht. Neben der Frage von Umsetzungsmodellen werden dabei auch Ausbaustufen erarbeitet, die Schritte auf dem Weg zu einem einheitlichen E-Government darstellen. Dafür sind die lebenslagenspezifischen Umsetzungsstudien eingebunden in eine Meta-Studie, die sicherstellen soll, dass lebenslagenübergreifende Aspekte konsistent berücksichtigt werden.

Fokussierung

Hierzu zählen u. a. Themen wie Bürgerkonten, Nachweise und Bescheinigungen, Architekturen und Standards sowie tragfähige Finanzierungsmodelle und die Rollen der einzelnen Staats- bzw. Verwaltungsebenen. Im Mittelpunkt steht weniger die Frage von Dezentralisierung, sondern die Suche nach gemeinsamen Lösungen, um Inhalte und technische Komponenten wiederzuverwenden und so bequeme und effiziente E-Government-Lösungen zu entwickeln.

Darüber hinaus entfaltet die Studie weitergehenden Nutzen, indem sie zu einer Fokussierung der Aktivitäten im E-Government beiträgt. So sind Politik und Verwaltung angehalten, nicht nur das technisch, rechtlich und organisatorisch kurzfristig Machbare umzusetzen, sondern sich auf wichtige Leistungen zu konzentrieren. Hierfür ist eine einheitliche Schwerpunktsetzung notwendig. Zudem stellt die Studie den Bürger in den Mittelpunkt – sowohl bei der Frage, welche Leistungen wichtig sind, als auch bei der Nutzung, indem Leistungen anhand von Lebenslagen gebündelt werden.

Ein solches bürgerzentriertes E-Government ist erforderlich, damit Angebote tatsächlich genutzt werden und eine positive Wirkung im Lebensalltag der Menschen bewirken. Damit leisten die Ergebnisse einen wichtigen Beitrag für ein effizientes, effektives und gemeinsames E-Government.

Sirko Hunnius

Foto: privat

Sirko Hunnius
ist Studienleiter der „Top-100-Verwaltungsleistungen“-Studie und Mitglied des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums.

 

 

Dirk Stockmeier

Foto: privat

Dirk Stocksmeier
leitet als stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums das aufwendige Projekt.

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Der Autor

Sirko Hunnius

Sirko Hunnius

Foto: privat

ist Studienleiter der „Top-100-Verwaltungsleistungen“-Studie und Mitglied des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums.

Dirk Stocksmeier

Placeholder Person

leitet als stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums das aufwendige Projekt.

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