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Cyber-Mobbing – Wer schützt die Kinder?

27. Dezember 2013

cyber-mobbing

Bild: multiart – Shutterstock

Unwissenheit und Hilflosigkeit verschlimmern die Situation. Mädchen werden häufiger angegriffen als Jungen.

Von Uwe Leest

Karlsruhe – „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Mit dieser Aussage hat Kanzlerin Angela Merkel während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama in diesem Jahr für großes Gelächter gesorgt. Noch mehr wie Hohn klingt diese Äußerung vor dem Hintergrund der weltweiten Abhör-Spionage-Affäre der USA, in deren Fadenkreuz auch die Bundesregierung geriet.

Jedoch, in gewisser Hinsicht liegt die Kanzlerin mit ihrem Statement richtig: Im Gegensatz zu den „Digital Natives“, die schon mit drei Jahren ein Tablet zu bedienen wissen, sind die „Digital Immigrants“, also jene, die nicht mit den neuen Medien aufgewachsen sind, im Umgang mit dem Internet häufig äußerst ahnungslos. „Silver Surfer“, wie diese Internet-Nutzer auch gern genannt werden, nehmen nicht so stark an den neuartigen Entwicklungen im digitalen Bereich teil wie die jüngere Generation und betreten deshalb auch in der Tat regelmäßig Neuland, wenn sie sich mit dem Internet befassen.

Ebenso kann man auch behaupten, dass wir in Bezug auf rechtliche Fragestellungen (wie bei der Frage, welche verbindlichen Regelungen/Sanktionen – von zum Beispiel kriminellem Verhalten – im Internet denkbar sind) sehr wohl Neuland betreten. Rechtliche Regelungen sind im digitalen Kontext noch nicht ausschöpfend etabliert bzw. werden etwa durch neue technische Gegebenheiten regelmäßig überholt.

Wer trägt die Verantwortung im Netz? Wie ist dort mit Verstößen umzugehen? Welche Gesetze für den digitalen Raum sind möglich und nötig? Dies sind aktuelle und spannende Fragen – auch im Hinblick auf Cyber-Kriminalität wie beispielsweise Cyber-Mobbing.

Wo sich soziales Benehmen vermissen lässt, wo Verleumdungen (Denunziation) und Beleidigungen (Harassment) in den digitalen Lebensraum eindringen, da spricht man von Cyber-Mobbing. Aber auch Identitätsraub, Cyber-Stalking, Sexting und andere Formen der Pornografie zählen zu Cyber-Mobbing.

Auch wenn es im analogen Raum klare rechtliche Regelungen und Grenzen gibt, hinkt der digitale Raum hinterher. Und das, obgleich internationale und nationale Studien zeigen, dass zum Beispiel das Phänomen Cyber-Mobbing Einzug hält in die Kinderzimmer, in Organisationen und den Arbeitsalltag von uns allen.

So deutet beispielsweise die „EU Kids-Online-Studie“ darauf hin, dass rund 40 Prozent der europäischen Kinder und Jugendlichen in der Vergangenheit bereits mit einem oder mehreren Online-Risiken (wie z.B. Cyber-Mobbing, Happy Slapping, Sexting, Grooming etc.) in Berührung gekommen sind.

Auch die bundesweite „Cyber-Life-Studie“ des Bündnisses gegen Cybermobbing e.V., an der 10.000 Eltern, Schüler und Lehrer teilgenommen haben, zeigt: 25,3 Prozent der Befragten sind in der Schule bereits Opfer von Mobbing geworden, und rund 16,6 Prozent waren schon einmal von Cyber-Mobbing betroffen.

Häufigkeit sowie Art und Weise des Cyber-Mobbings

Häufigkeit sowie Art und Weise des Cyber-Mobbings

Die meisten Cyber-Mobbing Vorfälle werden an Haupt- und Realschulen festgestellt, aber auch bei bereits 30 Prozent der Grundschüler gibt es derartige Vorfälle. Auch zeigen die Ergebnisse, dass Mädchen etwas häufiger das Ziel von Cyber-Attacken sind als Jungen.

Erlebte Fälle von Cyber-Mobbing nach Alter, Geschlecht und Schulform

Erlebte Fälle von Cyber-Mobbing nach Alter, Geschlecht und Schulform

Die meisten Jugendlichen reagieren mit Wut (43 Prozent) und Angst (36 Prozent) auf Cyber-Mobbing. Jeder fünfte Jugendliche, der Cyber-Mobbing erlebt hat, gab in der Studie an, noch heute durch das Mobbing im Internet belastet zu sein oder darunter zu leiden. Dennoch meldet nur jeder fünfte Jugendliche den Vorfall den Betreibern der betroffenen Plattformen. Die meisten Kinder und Jugendliche wenden sich zunächst an ihren/ihre Freundinnen oder Eltern, wenn sie Opfer von Cyber-Mobbing wurden.

Diese sind jedoch oftmals ratlos. Auch die Lehrerinnen und Lehrer, ja sogar die Schulleitungen wiesen in den meisten Fällen das Problem weit von sich –aus Unwissenheit und Hilflosigkeit. In den wenigsten Fällen werden Vorkommnisse der Polizei gemeldet und selbst wenn: Auch viele Polizeidienststellen sind mit dieser Form der Internet-Kriminalität überfordert.

Erschwerend kommt hinzu, dass Täter im Cyberspace oftmals nur schwer zu identifizieren sind. Daraus folgt, dass es trotz der zahlreichen Straftatbestände, unter die Cyber-Mobbing Fälle subsumiert werden können, einige Hinderungsgründe gibt, warum letztendlich eine effektive Strafverfolgung in vielen Fällen nicht stattfindet.

Aus diesem Grund fordert das Bündnis gegen Cybermobbing e. V., ein Cyber- Mobbing-Gesetz, damit zukünftige Fälle besser geahndet werden können. Damit schließt sich das Bündnis den Forderungen und Vorschlägen verschiedener Institutionen an, die z. B. einen digitalen Kodex in Erwägung ziehen oder spezialisierte Fachkräfte in Politik (Stichwort: Internet-Minister) und Justiz (Stichwort: Cyber Staatsanwaltschaften in Berlin und Cottbus) einsetzen möchten.

Die jüngsten Entscheidungen von Facebook, Gewaltfotos zuzulassen sowie die Privatsphäre-Beschränkungen für Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren aufzuheben, zeigen, dass die Betreiber diverser Plattformen ihrer Verantwortung (z. B. hinsichtlich des Jugendschutzes) nur ungenügend nachkommen und dass daher die Politik und die Justiz gefordert sind, neue Rahmenbedingungen zu schaffen.

Und doch tut die Gesellschaft gut daran, wenn sie bei all den Forderungen nach verbesserten rechtlichen Rahmenbedingungen für den digitalen Raum auch die Grenzen und Schranken solcher Gesetze im Blick behält.

Insbesondere diverse Ausspäh-Aktionen der USA führen uns vor Augen, wo die Grenzen erreicht werden: In der kalifornischen Stadt Glendale beauftragte das Schulamt erst kürzlich ein Unternehmen damit, 14.000 Schüler im Internet zu überwachen. Der Grund für diese Maßnahme: Cyber-Mobbing, Suizide und Drogengeschäfte sollten damit verhindert werden. Die Schülerinnen und Schüler wussten jedoch nicht, dass alle Äußerungen, die sie in einem der sozialen Netzwerke tätigten, registriert und ausgewertet wurden.

Auch wenn Schul-Suizide aufgrund von Cyber-Mobbing ein enormes Problem darstellen, bleibt fraglich, ob die oben vorgestellten Maßnahmen nötig bzw. ethisch zu rechtfertigen sind. Vielleicht ist es manchmal sogar schon ausreichend, wenn man ein gutes Kinderbuch zur Hand nimmt, um beispielsweise von Wilhelm Busch zu lernen: „Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man lässt!“ (aus „Die Fromme Helene“).

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