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Das haben wir daraus gelernt

2. April 2012

Bild: Minerva Studio – Shutterstock

Die „DIVSI Milieu-Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet“ hat bundesweit große Resonanz gefunden und zwischenzeitlich viele Diskussionen angestoßen. Sie ist wichtig für alle, die sich mit dem Internet beschäftigen – sei es aus den Bereichen Politik, Wirtschaft oder Öffentlichkeit. Das „DIVSI magazin“ hat bei Entscheidungsträgern ganz persönliche Meinungen zu den vorgelegten Fakten eingeholt.

E-Government neu justieren

Von Dr. Marianne Wulff

Die Milieu-Studie von DIVSI regt dazu an, E-Government ggf. an der einen oder anderen Stelle neu zu justieren. Eines wird unmittelbar klar: Die rein virtuelle Verwaltung, die beim Bürgerkontakt ausschließlich auf den elektronischen Kanal setzt, ist passé.

Lange vorhandene Überlegungen, die im „Digital-Hype“ in den Hintergrund getreten sind, müssen wieder auf die Agenda. So muss die Verwaltung noch einmal darüber befinden, worauf sie ihre Anstrengungen bei der Digitalisierung von Services und Verwaltungsprozessen richtet. Doch was müsste Teil einer Konzentration auf Services für Unternehmen sein? Diese werden elektronische Services annehmen – wenn medienbruchfreie Prozesse die Integration in unternehmensinterne Prozesse ermöglichen und damit unmittelbar Nutzen stiften.

Stichwort nutzenorientiertes E-Government – aufgrund des Verhaltens von Digital Immigrants hoch aktuell. Sie nutzen das Internet zielorientiert und selektiv, wenn es nützlich ist. Da der Bürger nur selten Transaktionen mit der Verwaltung abwickelt, müssen elektronische Angebote noch mehr aus der Perspektive des Bürgers betrachtet werden: Wo tragen Angebote zur Lebensqualität bei? Denkbar sind hier Informationen über Öffnungszeiten, über kulturelle Angebote, über politische und/oder aktuelle Ereignisse usw. Beispiele liefert der Wettbewerb „Apps für Deutschland“, in dem schöne Ideen und Lösungen entstanden – von der Suche nach Fundsachen über Stadtführungen für Blinde bis hin zu Orientierungsangeboten für Eltern.

Vertrauen und Sicherheit setzen Wissen voraus. Daher muss Qualifizierung wieder mehr Gewicht erlangen. Alte Ideen sollten reaktiviert werden. So zum Beispiel das Angebot von Lernangeboten für Digital Outsiders, organisiert mit Unterstützung von Digital Natives. Ein Beispiel war vor einigen Jahren eine Initiative der Stadt Erlangen, die Internet-Kurse für Senioren anbot, durchgeführt von jungen kompetenten Bürgern.

Fazit: Wir leben in einer Multikanal-Gesellschaft. Verschiedene Kanäle müssen gleichberechtigt bedient werden. Mit identischen Inhalten, Vorgaben und Regeln für die Nutzung, zumindest wenn Politik und Verwaltung gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen wollen.

Dr. Marianne Wulff ist Geschäftsführerin von Vitako,  Bundesarbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister e.V.

Gerade noch rechtzeitig

Von Horst Westerfeld

Die DIVSI-Studie zeigt sehr deutlich den gesellschaftlichen Umgang mit dem Internet auf. Die Studie kommt vielleicht gerade noch rechtzeitig, um die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft auf die „Spaltung“ der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Für mich persönlich wird die Aufgabe im IT-Planungsrat sein, die Erkenntnisse der Studie in konkrete Handlungen für Deutschland umzusetzen.

Nach den Befragungsergebnissen der DIVSI-Studie gehören etwa 40 Prozent der Gesellschaft zu sogenannten Digital Outsiders, die das Internet gar nicht oder nur sehr eingeschränkt nutzen und eine sehr kritische bzw. ablehnende Haltung gegenüber der Nutzung des Internets haben. Wobei auch deutlich wird, dass die anderen 60 Prozent gemäß ihrer Zuordnung zu Milieus und bei der Nutzung des Internets sehr stark in Bewegung sind.

Die ermittelten Fakten müssen noch stärker in die Diskussion über Themen wie E-Partizipation, Online-Behörden oder im Kontext des E-Government-Gesetzes mit einfließen. Ein guter Ansatz für beide Gruppen liegt dabei in der flächendeckenden Umsetzung des Bürger-Services 115 als Multikanal-Angebot, der es sowohl über das Telefon als auch das Internet erlauben sollte, alle Services der Behörden zu nutzen. Für Hessen werden wir darauf hinarbeiten, dass alle gesellschaftlichen Gruppen von neuen Technologien profitieren. DIVSI kann ich nur empfehlen, den gestarteten Weg mit der Diskussion der Studie fortzuführen.

Horst Westerfeld ist CIO des Landes Hessen

Die Dialektik von Unsicherheit und Sicherheit in der technischen Innovation

Von Gerold Reichenbach, MdB

Das Internet und alle mit ihm verknüpften Innovationen und Dienstleistungen stehen heute meines Erachtens an einem Scheideweg. Dies macht die DIVSI Milieu-Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet implizit deutlich.

Zunehmend wird den Menschen bewusst, dass die Sicherheit ihrer Daten und die Sicherheit vor dem unbemerkten und ungewollten Ausspähen der eigenen Privatsphäre unabdingbar sind, um nicht hilflos Opfer krimineller Machenschaften oder auch ökonomischer Manipulationen zu werden.

Die Frage, ob man sich und wesentliche Teile der eigenen Lebensführung, der eigenen sozialen und ökonomischen Tätigkeiten, einem neuen, technisch nicht durchschaubaren Medium anvertraut, ist letztlich die Frage nach dem Vertrauen in die Sicherheit des Produkts und nach der Zuversicht, diese Sicherheit „in der eigenen Hand zu haben“.

Dieses Grundvertrauen lässt täglich Millionen Menschen in ein Automobil steigen, obwohl sie, im Gegensatz zu den Chauffeuren der Anfangszeit, die technische Komplexität des Produkts in keinster Weise mehr durchschauen oder gar beherrschen könnten. Die Frage, ob die technische Innovation und das immer weitere Eindringen in immer größere Lebensbereiche – man denke nur an die Zukunftsvision für das Internet der Dinge – weiter voranschreitet oder durch die eigenen Sicherheitsmängel ausgebremst wird, ist davon abhängig, diese Form des Vertrauens herzustellen und zu erhalten.

Genau aus diesem Grunde sind alle Versuche von Teilen der Industrie und der Dienste-Anbieter, den Faktor Sicherheit und Datenschutz als Kostenfaktor oder Beschränkung der Verwertungsmöglichkeiten kleinzuhalten, schon auf mittlere Sicht völlig kontraproduktiv.

Vielmehr sollte jede Chance ergriffen werden, Sicherheitsstandards nach oben hin anzupassen und zu harmonisieren. Letztendlich ist nur dies, neben der Wettbewerbsgleichheit, zentrale Voraussetzung für die Festigung des Vertrauens „in die Gesamtproduktpalette“.

Die jetzt von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Verordnung für eine europäische Harmonisierung des Datenschutzes bietet eine solche Chance und sollte nicht aus kurzfristigen, ökonomischen Überlegungen heraus kleingemacht werden.

Bereits heute haben wir die Situation, dass das Image von Marken durch Applikationen leidet, die die persönlichen Daten von Nutzern ohne deren Kenntnis abziehen. Der mittelristige Imageschaden, der durch die Häufung von „Sicherheits- und Datenschutzvorfällen“ in letzter Zeit der gesamten Branche gerade im Hinblick auf die Entwicklung der Märkte für die nicht Internet-affinen Gruppen entstanden ist, ist bereits jetzt beträchtlich. Die Hemmnisse und Widerstände, die sich der Branche zur Zeit bei der Etablierung des Cloud Computings entgegen stellen, sind auch dem Umstand geschuldet, dass in vielen Bereichen des Internets, aber auch des Datenschutzes, dieses Grundvertrauen bislang nicht hergestellt werden konnte.

Die Hinnahme von Risiken und Unsicherheiten ist eben nicht dauerhaft ein Innovationsfaktor, sondern wird zum Hemmnis, wenn sie in breite Lebensbereiche eindringt, und dieses Eindringen wiederum Voraussetzung für neue Innovationsschübe ist.

Für den Automobilisten des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts, für den das Auto noch Freizeitbeschäftigung und technisches Abenteuer war, mögen die Risiken der unvollkommenen Sicherheitsstandards hinnehmbar gewesen sein. Für die Bürger des Automobilzeitalters, die in weiten Teilen ihrer alltäglichen Lebensführung auf diese neue Mobilität angewiesen sind, sind sie es nicht mehr.

Für den Nutzer von Google und Facebook mag es ebenso noch hinnehmbar sein, dass er nicht unter Kontrolle hat, welche seiner eingestellten persönlichen Daten wo landen, weil er zur Not dem Rat von Mark Zuckerberg folgen kann, der da lautet: „Stay out!“

Für die weitere Etablierung von mobilen Diensten sowie für die Etablierung des Internets der Dinge, bei der Gerätenutzung, beim Facility Management, beim Ver- und Entsorgungsmanagement oder auch beim alltäglichen Lebensmitteleinkauf gilt diese Devise nicht mehr.

Niemand wird sich in die Hände einer Kommunikations- und Informationstechnologie begeben, zu der er kein Sicherheitsvertrauen hat. Der zynische Rat von Mark Zuckerberg, der in einer solchen Welt „Don’t heat, don’t buy, don’t travel“ lauten müsste, würde sehr schnell zum Ende dieser Technologie führen.

Gerold Reichenbach (SPD) ist u.a. Mitglied im Innenausschuss sowie Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“

Werthaltungen zur Kenntnis nehmen

Von Jörn Riedel

Die DIVSI-Studie ist ein wichtiger – und der bisher einzige empirische – Beitrag für eine Diskussion um die meines Erachtens nach zwingende Neuausrichtung von öffentlichen Online-Angeboten.

Diese Neuausrichtung ist zwingend notwendig, weil

  • die bisherige Angebotsstrategie an Grenzen gestoßen ist, was das Erschließen neuer Kundengruppen angeht, und
  • die Reorganisation der Geschäftsprozesse unausweichliche Konsequenz von Schuldenbremse, gesellschaftlicher Digitalisierung und Arbeitskräftemangel ist.

Die Studie zeigt das Dilemma öffentlicher Online-Angebote:

  • Die Digital Outsiders nutzen sie nicht, weil sie dem Medium nicht trauen und/oder wir Sicherheitsprozesse aufsetzen, die nur IT-Profis bedienen können.
  • Die Digital Natives nutzen sie nicht, weil sie die Sicherheitsprozesse als schikanös und als Bevormundung erleben.
  • Allenfalls die Digital Immigrants gewinnen wir – aber nur, wenn und soweit wir ihnen trotz komplizierter Sicherheitsprozesse einen für sie messbaren Nutzen bieten.

Die in dieser Studie belegte Lebenswirklichkeit ist bisher nicht Gegenstand der politischen Debatte rund um attraktive Online-Angebote der öffentlichen Hand. Die Debatte um das neue E-Government-Gesetz zeigt, wie es weiter in die falsche (weil vom Kunden nicht akzeptierte) Richtung geht. Die eigentlich gute Idee der zertifizierten Qualitätsmail (DE-Mail) wird totreguliert. Allen Ernstes wird diskutiert, das Senden einer DE-Mail durch einen Verwaltungskunden bedeute nicht, dass er auch eine Antwort haben will. Sondern man darf ihm nur eine DE-Mail senden, damit er – bitte sehr – auf einer bestimmte Webseite einen Zugang zu sich eröffnet, und zwar nur für den jeweiligen Verwaltungszweck.

Jedes Unternehmen, das so mit seinen Kunden verfahren würde, wäre pleite.

Wenn öffentliche Verwaltung und die sie führenden Politiker die in dieser Studie deutlich werdenden Werthaltungen nicht zur Kenntnis nehmen, wird es zu einer weiteren Entfremdung zwischen Staat und den Bürgern bzw. Unternehmen kommen.

Nach meiner Überzeugung gibt es eine Reihe von Strategien, mit denen man akzeptierte Online-Angebote der öffentlichen Verwaltung schaffen kann. Dies gelingt aber nur, wenn Regulierung auf ein vertretbares Maß zurückgefahren wird und wenn man rechtlich/politisch und im praktischen
Handeln Zielgruppenorientierung zulässt. Wenn die Studie dazu einen Beitrag leistet, war sie jede Mühe wert.

Jörn Riedel ist CIO der Freien und Hansestadt Hamburg

Politik muss mit werteorientierten Entscheidungen vorangehen

von Dr. Konstantin von Notz, MdB

Die DIVSI Milieu-Studie liefert einen interessanten Blick auf unsere zunehmend heterogene Gesellschaft. Gleichzeitig wird einem bei der Lektüre bewusst, wie abstrakt die für derartige Umfragen verwendeten Begriffe sind (und wohl sein müssen) und wie unterschiedlich dementsprechend die Antworten ausfallen. Gleichwohl gibt sie praktische Hinweise darauf, dass Maßnahmen zur Steigerung des Vertrauens und der Sicherheit womöglich wirksamer ausfallen könnten, wenn sie entsprechend milieu-abgestuft erfolgen.

Es erscheint sinnvoll, die generelle Blickrichtung der Studie einzuordnen. Mit den Nutzerinnen und Nutzern stehen einerseits diejenigen im Mittelpunkt, um die es bei der Frage der Sicherheit und des Vertrauens in erster Linie gehen sollte. Das ist zu begrüßen und man vermag mit dem erlangten Wissen zum Beispiel bei Maßnahmen zur Stärkung der Medienkompetenz sehr konkret ansetzen zu können.

Allerdings gilt auch: Vertrauen und Sicherheit im Internet sind äußerst anspruchsvolle Ziele, die einen mehrdimensionalen Steuerungsansatz verlangen. Erfasst werden müssen insbesondere die großen Akteure wie Wirtschaftsunternehmen und Verwaltung, weil ansonsten keine Breitenwirkungen zu erreichen sind. Und: Die Ziele der Schaffung von mehr Vertrauen und Sicherheit müssen stets an den großen Drei unserer Rechtsordnung ­– an Rechtsstaat, Demokratie und den Grundrechten – Maß nehmen. Völlig zu Recht betont deshalb der Bundespräsident die Notwendigkeit, im Kontext des Internets vorrangig den Erhalt von Freiheit zu diskutieren.

Für den Erhalt von Freiheit und Selbstbestimmung muss der Gesetzgeber aktiv werden. Verkürzende Vorstellungen von „natürlicher Freiheit“ als einem (bloß) reaktiven Abwehrrecht werden den Freiheitsfragen der digitalen Gesellschaft nicht gerecht. Weder Netzneutralität noch Freiheit vor unverhältnismäßiger Verfolgung, sei es durch private Abmahngesellschaften oder staatliche Sicherheitsbehörden, werden sich von selbst einstellen. Sie bedürfen anspruchsvoller Regelungsanstrengungen mit innovativen Konzepten.

Gerade der Erhalt des Datenschutzes im Internet als ganz zentrale Grundlage von Vertrauen und Sicherheit lässt sich nicht allein den überforderten Nutzern aufbürden. Hier ist die Politik gefordert, die Faktizität der Milieu-Welten zu übersteigen und Lösungen mit Blick auf die ganze Gesellschaft anzubieten.

Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) ist u. a. Mitglied im Innenausschuss sowie Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“

Wir brauchen ein Recht auf schnelles Netz und digitale Selbstständigkeit

Von Lars Klingbeil, MdB

„Rund 27 Millionen Menschen in Deutschland leben komplett oder nahezu komplett ohne Internet. Damit sind hierzulande fast doppelt so viele Personen offline wie bislang angenommen.“ Das ist das zentrale und irritierende Ergebnis der „DIVSI Milieu-Studie zu Vertrauen und Sicherheit im Internet“. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass fast 40 Prozent der Menschen in Deutschland „Digital Outsiders“ sind. Gemeint sind damit nicht allein Menschen, die keinen technischen Zugang zum Netz haben, sondern auch diejenigen, die das Netz – aus den unterschiedlichsten Gründen – nicht nutzen. Auf der anderen Seite bezeichnet die Studie 41 Prozent (28 Millionen Menschen) als „Digital Natives“. Als dritte Gruppe schließlich identifiziert die Studie 20 Prozent (rund 14 Millionen Menschen) als „Digital Immigrants“. Gemeint sind damit diejenigen, die auf der einen Seite die kommunikationstechnischen Innovationen und das Internet gezielt für ihre Zwecke nutzen, gleichzeitig aber auch die negativen Folgen des Digitalisierungsprozesses wahrnehmen und daher eher defensiv damit umgehen. Angeführt wird hier oft das Thema Datenschutz und die Offenlegung der Privatsphäre in sozialen Netzwerken.

Natürlich kann man über solche Kategorisierungen trefflich streiten. Die Zahlen zeigen jedoch, dass die oft befürchtete digitale Spaltung der Gesellschaft noch längst nicht überwunden ist und dass die signifikanten Gräben, die unsere digitale Gesellschaft spalten, weitaus größer sind, als bislang angenommen. Während man in der Diskussion um die digitale Spaltung oft zwischen „Onlinern“ und „Offlinern“ unterschieden hat – also denen, die Zugang zum Netz haben, und denen, die davon ausgeschlossen sind –, belegt die Studie, dass es viel entscheidender ist, wie die Menschen das Netz tatsächlich nutzen und wo sie diesem vielleicht auch mit Misstrauen oder Sorgen begegnen.

Im Vorwort der Studie schreibt der heutige Bundespräsident Joachim Gauck: „Das weltweite Internet bietet alle Voraussetzungen, um die in den ersten zehn Artikeln unserer Verfassung verankerten Grundrechte aller Bürger in diesem Land auszuhöhlen. Dies gilt insbesondere für das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit in Artikel Fünf – eine wesentliche Grundlage unserer funktionierenden Demokratie – und es gilt letztlich auch für den Kernsatz unserer Verfassung, den Artikel Eins des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Natürlich sind mit der Digitalisierung der Gesellschaft und der weltweiten Vernetzung, wie bei vielen technologischen Innovationen, auch diese negativen Potenziale denkbar, und es muss uns darum gehen, genau diese Entwicklungen zu verhindern. Leider wurde aber diese Aussage in der öffentlichen Debatte aus dem Kontext gerissen und so der Eindruck erweckt, als ob es nahezu zwangsläufig eine solche Entwicklung geben müsse. Dem ist nicht so, denn das Internet bietet auch alle Voraussetzungen, um die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu stärken und in vielen anderen Ländern vergleichbare Grundrechte erst zu eröffnen. Dies gilt zuallererst für das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit: Die Ereignisse in Tunesien, Ägypten oder in Libyen haben auf der einen Seite die Gefährdungen aufgezeigt, denen die freie Meinungsäußerung und die unbeobachtete Kommunikation, unabhängige Medien und ein freies Internet immer aufs Neue ausgesetzt sind. Sie zeigen aber zugleich, dass das Internet und auch die Sozialen Netzwerke einen enormen Beitrag für die Freiheitsbewegungen in diesen Ländern geleistet haben.

All dies setzt jedoch den Zugang zum Netz und den kompetenten Umgang mit dem Netz voraus. Deswegen brauchen wir das Recht auf ein schnelles Internet, und deswegen setzen wir auf die digitale Selbstständigkeit. Damit ist das Ziel gemeint, dass jeder Bürger und jede Bürgerin in der Lage sein soll, alle Möglichkeiten der „Digitalen Gesellschaft“ möglichst selbstständig zu nutzen und – anders herum – sich vor allen damit verbundenen Risiken möglichst gut schützen zu können. Und, hierfür liefert die Studie zahlreiche Belege, dies setzt Vertrauen in die neuen Kommunikationsmöglichkeiten voraus. Datenschutz und Datensicherheit sind daher zentrale Akzeptanzvoraussetzungen in der digitalen Welt.

Was schlussfolgern wir aus der Studie? Wir brauchen endlich das Recht auf Netz und auf einen schnellen Internet- Zugang, um die digitale Spaltung zu überwinden. Noch immer gibt es zahlreiche Regionen, in denen es keinen breitbandigen Zugang zum Netz gibt. Viele Menschen sind daher von den Möglichkeiten und Chancen des Netzes abgekoppelt und damit in ihren Teilhabemöglichkeiten begrenzt. Zugleich müssen wir die Menschen in die Lage versetzen, digital selbstständig und kompetent diese neuen Möglichkeiten der Information und Kommunikation zu nutzen. Ein  kompetenter, gestaltender Umgang mit Medien und dem Netz ist eine Voraussetzung zur Beteiligung des Einzelnen am gesellschaftlichen Diskurs und wird damit zum Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe in Bildung und Ausbildung, Arbeit, Gemeinwesen und auch in der Politik. Wenn wir das schaffen, wird es uns auch gelingen, die Potenziale des Netzes für mehr Grundrechte und für die Stärkung der Demokratie zu stärken. Wir müssen Netzpolitik endlich als Gesellschaftspolitik verstehen.

Lars Klingbeil (SPD) ist u.a. Mitglied im Verteidigungsausschuss sowie Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“

Den digitalen Graben überwinden

Von Thomas Jarzombek MdB

Nachdem das SINUS-Institut für seine Milieu-Studien schon eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, birgt die Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) einige unerwartete Erkenntnisse. Die Engagierten in der Netzpolitik kennen das Problem der Digitalen Spaltung spätestens aus verschiedenen Diskussionen insbesondere um den Zugang zum Internet, die dargestellten Milieus unterscheiden sich aber in ihrem Verhalten im und ihrem Umgang mit dem Internet. Deutlich zeigt sich vor allem: Die eine digitale Gesellschaft gibt es nicht, und wir müssen auf- passen, dass die Gruppe der Digitalen Souveränen nicht den Blick auf die freiwilligen oder unfreiwilligen Nichtnutzer verdeckt.

Große Sorgen bereiten mir persönlich die Ängste derjenigen, die das Internet tatsächlich nutzen. Auf die Frage nach den Gefahren der Internet-Nutzung werden die Infizierung des Computers mit Schadprogrammen (47 Prozent), die unerwünschte Weitergabe von persönlichen Daten an Dritte (46 Prozent) und die Belästigung durch unerwünschte E-Mails genannt (43 Prozent). Ähnlich häufig wird die Angst vor dem Ausspähen von Daten aber auch die Angst vor dem Löschen von Daten genannt. Persönlich erlebt haben diese Gefahren weniger als die Hälfte der Bevölkerung. Dazu passt dann auch, dass gleichzeitig der IT-Branchenverband BITKOM in einer neuen Studie zu dem Ergebnis kommt, jeder fünfte Internet-Nutzer in Deutschland verzichte immer noch auf Virenschutz oder eine Firewall. Wie kann man diese Brücke zwischen der subjektiven Angst und den persönlichen Vorteilen durch die Nutzung des Internets abbauen?

Für mich bedeuten diese widersprüchlichen Erkenntnisse, dass der Nachholbedarf bei der technischen Medienkompetenz auch im Jahr 2012 weiterhin besteht. Gleichzeitig müssen die Ängste sowohl vor finanziellen Schäden durch Betrug oder Ausspähen im eCommerce und Online-Banking als auch vor immateriellem Schaden durch Datenverlust von den Anbietern ernst genommen werden. Um diffuse Ängste abzubauen, sollten sie ihre Kunden besser über die Verwendung ihrer Daten aufklären und aufzeigen, wie sie für den Schutz sorgen wollen. Gerade bei den oben aufgeführten, subjektiven Ängsten können wenige große Skandale viel Vertrauen zerstören, obwohl es keine persönliche Betroffenheit gibt.

Thomas Jarzombek (CDU) ist u.a. Mitglied des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie Mitglied der Enquete-Kommission “ Internet und digitale Gesellschaft“

Daten von grundlegender Bedeutung

Von Dr. Johann Bizer

So eine Studie war längst überfällig: Eine umfassende und repräsentative Bestandsaufnahme, die die bundesrepublikanische Internet-Gesellschaft objektiv und nicht interessengeleitet darstellt. Nur so ist eine faktenbasierte Politik überhaupt erst möglich.
Für Dataport sind die Daten, die die elektronische Kommunikation zwischen Bürger und Verwaltung beschreiben, von grundlegender Bedeutung. Was machen wir aus der Erkenntnis, dass wir Anbieter die einen 40 Prozent der Nutzer erst gar nicht erreichen, aber den anderen 40 Prozent nicht „hip“ genug sind?

Mit dieser Frage kann die Gestaltung von Online-Geschäftsmodellen für den Public Sector nur in eine umfassende Multikanal-Strategie münden. Die Erkenntnis, dass sich von Online-Angeboten bestenfalls 60 Prozent der Menschen angesprochen fühlen, führt zwingend zu der Verpflichtung der Verwaltung, auch andere Kanäle des Verwaltungszuganges noch für eine lange Zeit geöffnet zu halten. Die einheitliche Behördenrufnummer 115 führt in die richtige Richtung.

Und was machen wir aus der nachgerade dramatischen Erkenntnis, dass unser staatliches Regulierungsmodell, mit dem wir die Risiken des Internets zu begrenzen gedenken, sich an einer Nutzergruppe von 20 Prozent Digital Immigrants orientiert? Bedeutet das womöglich Datenschutz von Immigrants nur für Immigrants – und damit an 80 Prozent der Nutzer vorbei? Kein Wunder, dass laut BITKOM 2011 nur jeder dritte deutsche Wahlberechtigte die Internet-Kenntnisse der Politiker für ausreichend hält.

Grundrechte sind kein Wunschkonzert, sondern basale Werte unserer Gesellschaft. Sie müssen sich durch einen wirklichkeitsbezogenen Geltungsanspruch in Rechtsordnung und Gesellschaft bewähren – und zwar offline wie online. Gewährleistungen wie Selbstbestimmung und Informationsfreiheit gewinnen oder verlieren durch die Wahl des Mediums nicht an Wert. Und das ist dann in der Tat auch die wirkliche gesellschaftliche Herausforderung, vor der wir stehen: Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs, wie wir den Spagat zwischen Datenschutz und Informationsfreiheit, zwischen Kontrolle und Selbstbestimmung für Offliner wie Onliner gleichermaßen zufriedenstellend gestalten können und wollen.

Dr. Johann Bizer ist seit November 2011 Vorsitzender des Dataport-Vorstands und verantwortlich für den Bereich Lösungen.

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