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Digitale Agenda oder politische Strategie?

20. Oktober 2014

Digitale Agenda

Foto: Bundesregierung / Kugler | BPA / Jesco Denzel | Presseamt der Bundesregierung

Technologische Überlegenheit und ökonomische Stärke.

Von Dr. Göttrik Wewer

Wir haben eine Digitale Agenda, die Amerikaner haben eine klare Strategie. Sie wollen nicht nur die digitale Wirtschaft dominieren, sondern mit ihrer Open Government Partnership auch weltweit autoritäre Regime unter Druck setzen, offener, sprich: demokratischer, zu werden. Haben sie in ihrem Bestreben, das westliche Demokratiemodell zu exportieren, früher nicht davor zurückgeschreckt, heimlich Putsche zu unterstützen oder Diktatoren zu stürzen, so wollen sie das heute durch eine offizielle Partnerschaft mit der jeweiligen Regierung, aber vor allem mit einem Bündnis mit der dortigen Zivilgesellschaft erreichen. Autoritäre Regime werden gleichsam in einen Zangengriff genommen: von außen und von unten.

Eine Medaille, zwei Seiten

Diese globale Partnerschaft, der sich inzwischen rund 60 Länder angeschlossen haben, tritt an die Stelle von verdeckten Aktionen, die im Zeitalter von WikiLeaks und Whistleblowern schwierig geworden sind, und ergänzt die offene militärische Intervention, die sie sich weiterhin vorbehält, die aber selbst die Weltmacht USA zunehmend überfordert, wie man nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Nahen Osten sehen kann. Beides – militärisches Eingreifen einerseits, das Drängen auf „offenes“ Regieren andererseits – sind aber Komponenten ein und derselben Strategie bzw. zwei Seiten derselben Medaille: autoritäre Regime zurückzudrängen und weltweit Demokratie zu fördern. Ob diese Strategie aufgeht, muss sich noch erweisen.

Die Bundesregierung hat am 20. August eine „Digitale Agenda 2014–2017“ beschlossen, die auf 36 Seiten beschreibt, was man sich auf diesem Politikfeld – nicht Netzpolitik, sondern „Digitalpolitik“ genannt – für die nächsten Jahre vorgenommen hat. Der Fokus liegt dabei auf Deutschland und richtet sich nicht, wie bei den USA, auf den ganzen Globus. Für eine mittlere Macht, die sich als „Weltpolizist“ übernehmen würde und militärisch keine größeren Ambitionen hat, mag das die richtige Perspektive sein. Die Agenda ist nur als Download verfügbar, was bei diesem Thema konsequent erscheint.

Berge von Maßnahmen

Die Digitale Agenda besteht aus sieben Schwerpunkten, zu denen 33 Unterpunkte und Dutzende von Maßnahmen gehören. Im Kapitel „Innovativer Staat“ gibt es drei Schwerpunkte, nämlich das Versprechen, mehr staatliche Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger elektronisch anzubieten, die Autonomie und Arbeitsfähigkeit der staatlichen IT abzusichern sowie eine sichere Kommunikation der Regierung zu gewährleisten, wozu u.a. das Projekt „Netze des Bundes“ gehört. Die Regierung will diese Aktivitäten in einem Programm, „Digitale Verwaltung 2020“, bündeln, Bürgerkonten einrichten, die De-Mail flächendeckend einführen und Formerfordernisse (wie die persönliche Unterschrift) in Verwaltungsvorgängen auf den Prüfstand stellen. Sie plant außerdem einen „Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der G 8-Open-Data-Charta“ und einheitliche Basisdienste für alle Behörden innerhalb eines Programms „Gemeinsame IT des Bundes“.

Der entfallene Punkt

Im Vorfeld hatte es noch geheißen, man wolle die 100 wichtigsten Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger künftig über das Netz anbieten. Das ist in der Endfassung des Papiers entfallen. Da hat nicht jemand plötzlich den Mut verloren, mit einem so vollmundigen Versprechen vorzupreschen, sondern die Ressorts sind offenbar zu der Erkenntnis gelangt, mit einem derart ambitionierten Programm würde man sich organisatorisch, finanziell und allein schon zeitlich übernehmen. Bis zum Ende der Legislaturperiode soll ja alles umgesetzt sein, was in dieser Agenda steht. Nachdem das erste Jahr praktisch schon um ist, bleibt in den restlichen Jahren auch jetzt schon einiges zu tun.

Die Digitale Agenda hat unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Einerseits ist begrüßt worden, dass die Bundesregierung die Digitalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik als eigenständiges Politikfeld verstanden hat und ihre Aktivitäten auf diesem Feld nunmehr besser koordinieren will. Andererseits ist kritisiert worden, dass vieles, was in der Agenda aufgelistet ist, relativ vage bleibt und selten gesagt wird, wie diese Vorhaben finanziert werden sollen. Zweifel gibt es auch daran, ob das sogenannte Dreier-Modell, wonach nicht ein Ressort die Federführung hat, sondern gleich drei, geeignet ist, das Gesamtpaket mit Nachdruck durchzusetzen, oder ob bei einem so wichtigen Thema das Kanzleramt nicht die Steuerung übernehmen müsste.

Steuerungskreis

Die Bundesregierung hält das offenbar nicht für notwendig und will stattdessen durch einen Steuerungskreis von Staatssekretären die interne Koordinierung verbessern und nach außen den IT-Gipfel stärker auf die Digitale Agenda ausrichten. Der IT-Planungsrat von Bund, Ländern und Kommunen behält seine Funktion, wird aber auch nicht wesentlich gestärkt.

Strategie ist die Kunst der Planung und Führung im großen Verbund. Wer will, dass sich die ganze Republik auf den Weg macht, der muss wissen, was das Ziel dieser Reise ist, und der muss andere überzeugen, dass es sich lohnt, die Strapazen auf sich zu nehmen. Die Bundesregierung nennt in ihrer Agenda zwar drei strategische Kernziele – Wachstum und Beschäftigung, Zugang und Teilhabe sowie Vertrauen und Sicherheit –, gibt aber auch zu erkennen, dass sie selbst noch nicht sicher ist, wohin die Reise gehen soll. Wir wollen zwar das digitale Wachstumsland Nr. 1 in Europa werden, wie es schon in der Koalitionsvereinbarung heißt, aber die Bundesregierung versteht ihre Agenda ausdrücklich nicht als Zielvorgabe für wen auch immer, sondern als den Beginn eines noch nicht abgeschlossenen, offenen Diskussionsprozesses, der jetzt erst richtig beginnen soll.

Nun mag man die Zeiten, in denen eine Regierung allen gesagt hat, wo es langgehen soll, für vergangen halten. Dennoch bleibt die Frage, wie man andere begeistern will, wenn man selbst nicht genau weiß, was man eigentlich will. Die Agenda erweckt den Eindruck, dass jedes Ressort mindestens mit einem Vorhaben vorkommen musste, aber nicht, dass jemand die vielen Maßnahmen, die zu sieben Schwerpunkten sortiert worden sind, zu einem strategischen Konzept verdichtet hätte.

Kein Aufbruch

Dabei würden einem schon strategische Ziele für die Bundesrepublik Deutschland einfallen, denen man dann gezielte Maßnahmen zuordnen könnte: etwa im digitalen Zeitalter international wettbewerbsfähig zu bleiben, um unter völlig veränderten Rahmenbedingungen unseren Wohlstand erhalten zu können, oder unsere digitale Souveränität wiederzuerlangen, die praktisch verloren gegangen ist. Dass unsere Wirtschaft wachsen soll und möglichst viele Beschäftigung finden sollen, dürfte kaum strittig sein, ist aber auch nicht sonderlich motivierend und klingt nicht nach einem Aufbruch nach neuen Ufern.

Die Amerikaner haben es da leichter. Sie müssen nicht versuchen, in Europa die Nummer 1 beim digitalen Wachstum zu werden, da es amerikanische Konzerne sind, die die digitale Wirtschaft längst global beherrschen. Konkurrenz kommt, abgesehen von SAP, nicht aus Europa, sondern allenfalls aus Asien: aus Japan, obwohl auch das schwächelt, aus Südkorea und aus China. Dort wachsen Unternehmen heran, die schon jetzt keinen Vergleich zu scheuen brauchen und die Google, Facebook & Co. eventuell herausfordern können. Der globale Wettbewerb findet jedenfalls zwischen Amerika, Asien und Europa statt und nicht innerhalb Europas, wobei wir auf dem alten Kontinent kaum ein Unternehmen vorweisen können, das in der digitalen Wirtschaft eine dominante Rolle spielt. Europäische Unternehmen sind, falls sie interessant genug erscheinen oder den Marktführern gefährlich werden können, eher potenzielle Übernahmekandidaten.

Hoffnung bleibt

Die USA haben nationale Sicherheit immer auch als ökonomische Stärke und technologische Überlegenheit verstanden. Man mag es für vermessen halten, die Amerikaner technologisch überholen zu wollen, könnte aber zumindest versuchen, den Abstand zu verringern, statt ihn immer größer werden zu lassen. Dazu jedoch bedürfte es einer konsistenten europäischen Strategie, die solchen Zielen alles unterordnet, und keiner digitalen Agenda eines jeden Mitgliedstaates, die alle nichts miteinander zu tun haben. Da die Bundesregierung ihre Agenda in die europäische und internationale Diskussion einbringen will, besteht immer noch Hoffnung, dass die strategische Komponente auf höherer Ebene geschärft werden kann.

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Der Autor

Dr. Göttrik Wewer

Dr. Göttrik Wewer

Seit 2010 ist Wewer Vice President E-Government bei der Deutsche Post Consult GmbH.

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