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Jugendliche und das Internet: Was wirklich abläuft

30. Mai 2016

Jugendliche und das Internet: Was wirklich abläuft

Bild: kozirsky – Shutterstock

Welche Chancen sehen sie? Wovor haben sie Angst? Was ist selbstverständlich? Wie hilft die Schule? Die neue SINUS-Jugendstudie gibt alle Antworten.

Von Dr. Silke Borgstedt

Für die 14- bis 17-Jährigen in Deutschland ist der digitalisierte Alltag unhinterfragte Selbstverständlichkeit – digitale Medien sind kein Bonus, sondern Notwendigkeit für die soziale Teilhabe in der Peergroup und darüber hinaus. Die neue Jugendstudie des SINUS-Instituts „Wie ticken Jugendliche 2016?“ aktualisiert neben Fokusthemen wie „Mobilität“ und „Flucht und Asyl“ wesentliche Erkenntnisse der DIVSI U25-Studie, die Anfang 2014 erstmals fundierte Fakten zum digitalen Verhalten der jungen Generation geliefert hatte. Zudem nimmt die SINUS-Jugendstudie die Aspekte Medienkompetenz und digitales Lernen besonders in den Blick. Wie die Vorgängerstudien (2008, 2012) beruht sie auf dem Lebensweltenmodell, bei dem eine Segmentierung nicht nur nachsozialer Lage/Bildung, sondern auch nach Lebensstilen und Werten erfolgt.

Wegbereiter

Lernen – ob zu Hause oder in der Schule – findet immer selbstverständlicher mit bzw. via digitale Medien statt. Was aber heißt für Jugendliche eigentlich Medienkompetenz, und wie sollte digitales Lernen aus ihrer Sicht ablaufen? Nicht zuletzt stellt sich dabei die Frage nach der Chancengerechtigkeit im digitalen Raum: Ist das Internet per se ein Wegbereiter für bessere Teilhabechancen? Oder schreibt die Digitalisierung bestehende soziale Ungleichheiten fort?

Es gilt als Selbstverständlichkeit, sich den Umgang mit digitalen Geräten und Anwendungen über „learning by doing“ in Eigenregie beizubringen. Meist probiert man einfach neue Online-Dienste oder Apps aus, frei nach dem Motto: draufklicken und schauen, was passiert. Das Internet gilt als selbsterklärend, zudem bezieht man im Internet via Tutorials selbst Auskunft, falls man nicht mehr weiterweiß.

Basiswissen im Bereich digitaler Medien sind aus Sicht der Jugendlichen die Kenntnis und das Bedienen einschlägiger Anwendungen (insbesondere Apps) sowie die Fähigkeit, sich generell auf Benutzeroberflächen zurechtzufinden. Teilweise werden zudem Standards im Bereich Geschicklichkeit genannt (mit dem Daumen texten, Steuerungstechniken beim Gaming).

Die Beherrschung von Programmen und Programmiersprachen gilt als Spezialkenntnis, die persönlich kaum relevant ist. Insbesondere Programmieren erscheint komplex und findet – wenn überhaupt – fast ausschließlich in der Schule statt. Bis auf wenige Ausnahmen haben sich die Befragten kaum damit auseinandergesetzt, weil die Komplexitätsbefürchtung hoch und die Frustrationsgrenze niedrig liegt.

Mediensucht

Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien zeigt sich aus Perspektive der Jugendlichen auch daran, Geräte gezielt und angemessen einzusetzen, und vor allem daran, ob man wirklich immer etwas zu kommunizieren hat, das wichtiger als das aktuelle Real-Life-Geschehen ist. Es gilt – insbesondere in bildungshöheren Lebenswelten – als Kompetenz und Distinktionsmerkmal, Geräte auch mal ausschalten zu können. In diesem Zusammenhang greifen Jugendliche häufig das Thema „Mediensucht“ auf. Von denen, die „süchtig“ sind, möchte man sich deutlich abgrenzen („In meiner Klasse sind 50 Prozent süchtig. Man sollte es halt echt dosieren“). Permanentes „Starren aufs Display“ und „dauerndes Herumgetippe“ gelten bei manchen Jugendlichen mittlerweile als uncool und vermeidbar.

„Always on“ zu sein, ist somit immer weniger ein Statusmerkmal. Als Distinktionsmerkmal wird vielmehr die eigene Selbstregulationskompetenz ins Spiel gebracht: An allem Relevanten teilzuhaben, ohne als „internetsüchtig“ zu gelten, ist die angestrebte soziale Positionierung.

Dauerbegleiter

Dauerbegleiter: Auch wenn man im Extremfall eingeschlafen ist: Always online ist der Trend. (Bild: nenetus/junpinzon/Syda Productions – Shutterstock)

Nicht ohne Selbstkritik wird trotz aller bekundeten Bemühungen um einen „maßvollen“ Umgang beklagt, wie groß der Stellenwert des eigenen Smartphones ist – gerade in der Funktion als soziales Back-up. Ein Leben ohne Handy ist folglich zwar vorstellbar, aber nur unter der Bedingung, dass alle anderen auch darauf verzichten.

Für die Jugendlichen ist es von hoher Bedeutung, sich im Internet sicher bewegen und selbst schützen zu können. Trotz aller Chancenwahrnehmung sehen sie nämlich auch diverse negative Entwicklungen der zunehmenden Digitalisierung, insbesondere umfassende Überwachung und wachsende Kontrollmöglichkeiten. Jugendliche befinden sich dabei in einem Dilemma, denn auf der einen Seite ist es für sie schlichte Notwendigkeit, Online-Dienste zu nutzen und damit im Netz Datenspuren zu hinterlassen, um sozial nicht abgehängt zu sein. Gleichzeitig vermuten sie eine wachsende Macht derjenigen, die diese Daten besitzen und/oder anschauen können. Ihnen ist wichtig – vor allem mit Blick auf die Zukunft –, trotz digitaler Vernetzung noch „ein eigenes Leben“ führen zu können.

Lernvorteile

Technischer oder gesetzlicher Schutz ist hierbei für sie nur eine Facette. Ihnen ist klar, dass es vor allem darauf ankommt, wo und wie man sich im Netz bewegt, welche Angebote man nutzt und welche Informationen man über sich selbst hinterlässt. Dennoch überwiegt in ihrem Alltagshandeln eine pragmatische Sorglosigkeit, dass einem selbst vermutlich nichts passieren wird.

Viele Jugendliche berichten überschwänglich, wie viele Vorteile das Lernen mit digitalen Medien bietet. Es mache deutlich mehr Spaß und eröffne eine Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten sowie automatische Korrekturfunktionen und natürlich den Wegfall des mühsamen händischen Schreibens.

Deutliche Unterschiede zeigen sich hier aber in den verschiedenen Lebenswelten. Insbesondere für Jugendliche aus Elternhäusern, in denen digitale Medien kaum oder wenn, dann nur als Entertainmentzentrale eine Rolle spielen, sind digitale Geräte (insbesondere von beliebten IT-Lifestyle-Marken) besondere Attraktoren, die ein erhebliches Maß an Aufmerksamkeit binden. Vor allem Jugendliche aus bildungsfernen Lebenswelten wünschen sich daher eine stärkere Einbindung digitaler Medien in den Unterricht. Was genau mit diesen Geräten im Unterricht inhaltlich passiert, ist weniger relevant, von primärem Interesse ist die reine Verfügbarkeit – und das mögliche „Mit-nach-Hause-Nehmen“.

Jugendliche aus Lebenswelten mit höherem formalen Bildungsgrad hingegen wünschen sich nicht unbedingt mehr digitale Medien in der Schule – teilweise ist es ihnen egal, teilweise grenzen sie sic davon ab. Als Begründung werden dabei Aspekte wie fehlende Effizienz, sowie der Abbau der eigenständigen Denkkompetenz genannt. Man brauche nicht noch mehr Computer in der Schule; zwar biete das Arbeiten damit gewisse Vorteile, andererseits seien diese nicht besonders groß.

Unterricht

Außerdem wird kritisiert, dass das Internet die Menschen immer passiver („fauler“) und „immer dümmer macht, weil man immer weniger selbst nachdenken muss“. Dabei grenzen sich bildungsnahe Jugendliche vereinzelt auch von denjenigen ab, die sich von digitalen Möglichkeiten weitestgehend „abhängig“ gemacht haben und ohne GPS-Funktion nicht mehr den Weg nach Hause finden würden.

Insbesondere Jugendliche aus Lebenswelten mit höherer Formalbildung weisen auch darauf hin, dass sie später bei den eigenen Kindern darauf achten werden, dass diese nicht zu früh mit digitalen Medien in Kontakt kommen. Gleichzeitig ist ihnen – im Unterschied zu den bildungsferneren Jugendlichen – klar, dass die eigene berufliche Zukunft wesentlich durch digitalisierte Arbeitsprozesse bestimmt sein wird.

Mit Blick auf die Aktivitäten dominiert aus Sicht der Jugendlichen der Fokus auf das korrekte Bedienen von Bürosoftware. Digitale Medien finden somit zu definierten Zeiten und in bestimmten Kontexten Anwendung, und zwar für Lernziele, die nicht primär auf den Erwerb von Kompetenzen im Umgang mit Medien ausgerichtet sind. Medien dienen als Mittel zum Zweck, häufig auch zur Belohnung, Entspannung oder zur generellen Motivation.

Unterricht: Die Lernziele der Jugendlichen unterscheiden sich vom Schulangebot.

Unterricht: Die Lernziele der Jugendlichen unterscheiden sich vom Schulangebot. (Bild: goodluz – Shutterstock)

Jugendliche wünschen sich einen weniger gefahrenzentrierten Unterricht, der die Chancen von digitalen Medien aufzeigt und konkrete Kriterien vermittelt, wie diese Chancen umgesetzt werden können, ohne sich allzu hohen Risiken auszusetzen.

Allgemein bemängelt wird, dass Technik zwar genutzt, jedoch nicht wirklich erklärt wird. Gern wüsste man, wie ein Computer oder das Internet eigentlich „funktioniert“. Gewünscht wird ein stärkerer Fokus auf technische Aspekte, ein tieferes Verstehen der benutzten Programme und eine größere Relevanz der gelehrten Inhalte für das tägliche Leben.

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Der Autor

Dr. Silke Borgstedt

Dr. Silke Borgstedt

Foto: SINUS-Institut

ist Direktorin der Abteilung Sozialforschung am SINUS-Institut in Berlin und Expertin für Mediensozialisation.

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