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Digitale Transformation ist zu einem Buzzword geworden, das unterdessen jede Strategieberatung und Digitalagentur für sich entdeckt hat. In Anbetracht der Schnelllebigkeit der Entwicklungen ist es schwer, den Überblick zu behalten und kurzlebige Hypes von einem grundlegenden Trend zu unterscheiden. Was ist nur ein Sturm im Wasserglas, und was könnte schon morgen die Geschäftsgrundlage des eigenen Unternehmens gefährden?
Erschwert wird diese Einschätzung durch den Charakter des Wandels, der mit der zunehmenden Digitalisierung der Produkte einhergeht. Industriegrenzen verlieren ihre Bedeutung: Wer hätte gedacht, dass ein Suchmaschinenhersteller wie Google plötzlich Automobilherstellern Konkurrenz machen könnte oder der Taxiersatz Uber pro Jahr bereits mehr Bankkonten eröffnet als die größten US-Banken zusammen?
Größenvorteile verlieren an Bedeutung: Ein kleines Start-up-Team kann in wenigen Monaten Produkte erstellen, die in der Kundenwahrnehmung nicht von einer jahrelangen Entwicklung eines Großkonzerns mit Millionenbudget zu unterscheiden sind. Wer hätte gedacht, dass ein kleines Start-up namens Airbnb quasi über Nacht zur größten Hotelkette der Welt wird, ohne auch nur ein einziges Hotelbett zu besitzen, oder eine als Hobbyprojekt gestartete Entwicklung wie WhatsApp mit weniger als 50 Mitarbeitern das profitable SMS-Geschäft der Telkos in der Größenordnung von USD 30 Milliarden pro Jahr quasi im Alleingang eliminiert?
Der Wandel ist folglich weit mehr als ein Buzzword, und kein Unternehmen ist davon ausgenommen: 40 Prozent der Fortune 500 Unternehmen werden die nächsten zehn Jahre nicht überleben.
Die Betrachtung der folgenden fünf Trends soll die Einschätzung ihrer Auswirkungen auf das eigene Unternehmen erleichtern. Fern jedes Hypes haben sie tief greifende Konsequenzen über alle Branchen hinweg und gehören auf die strategische Agenda eines jeden Unternehmenslenkers.
2015 war von einer beispiellosen Dynamik auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (AI) gekennzeichnet. Von Google über Facebook bis zu IBM, Microsoft und Amazon haben nicht nur sämtliche Tech-Giganten AI als die strategische Priorität ausgerufen, die maßgeblich für die Zukunft ihres Unternehmens sein wird. Sie haben sich auch in ihren Ankündigungen von erreichten Meilensteinen überschlagen.
In vielen Bereichen, die bislang eine Herausforderung für Computer darstellten, haben diese ihr menschliches Pendant überrundet: von der Gesichtserkennung über die Entschlüsselung gesprochener Sprache, das Schreiben von Zeitungsartikeln bis zur ärztlichen Diagnose – mit zunehmender Geschwindigkeit werden immer mehr Tätigkeiten von Computern übernommen. Das Besondere: Diese Errungenschaften werden von den Tech-Giganten nicht nur in eigene Produkte integriert, sondern allen Unternehmen zur Nutzung und Integration in ihre Produkte zur Verfügung gestellt. Wissenschaftler der Oxford Universität gehen davon aus, dass 47 Prozent aller Jobs in den nächsten 20 Jahren durch Computer ersetzt werden können. Diese Entwicklung wird sich 2016 weiter beschleunigen, und jeder Unternehmenslenker tut gut daran, die Einsatzmöglichkeiten und strategischen Konsequenzen dieser Technologien sorgfältig zu analysieren.
Der Finanzsektor hat, getrieben von technologischen Entwicklungen, 2015 eine große Dynamik erlebt. Dabei vollzogen Banken insbesondere in einem Teilaspekt einen grundlegenden Sinneswandel: die Blockchain.
Während die Skepsis etablierter Player gegenüber der durch die Blockchain ermöglichten Digitalwährung Bitcoin nach wie vor dominiert, sind sich alle Banken einig, dass Blockchain Banking grundlegend verändern wird. Ihr disruptives Potenzial reicht jedoch weit über den Finanzsektor hinaus: Goldman Sachs prognostiziert, dass sämtliche Institutionen, die bislang als Intermediär fungieren, um die rechtmäßige Abwicklung von vertraglichen Vereinbarungen zu gewährleisten, obsolet werden könnten. Dies betrifft Notare ebenso wie ein breites Spektrum des Betätigungsfeldes von Anwälten, Verwertungsgesellschaften, Behörden, Versicherungen und viele weiter mehr.
Blockchain hat damit das Potenzial, ganze Industrien so tiefgreifend zu verändern wie nur das Internet zuvor.
Text-Messaging hat sich zum beliebtesten Service auf dem Smartphone entwickelt – noch vor der Internet-Nutzung oder dem Telefonieren. Während die Anzahl der versandten SMS in Deutschland 2014 gegenüber dem Spitzenwert von 2012 in nur zwei Jahren um über 60 Prozent gesunken ist, ist Texting so populär wie nie zuvor. Allein über WhatsApp werden täglich 30 Milliarden Textnachrichten versendet.
Facebook, Slack und eine Reihe weiterer Betreiber von Messengern versuchen derzeit, Messaging als eigene Plattform zu etablieren: Entwickler können Apps für Messenger erstellen, die direkt über Textnachrichten angesprochen und mit natürlicher Sprache bedient werden können. Die Installation zusätzlicher Apps über den App-Store würde ebenso überflüssig wie das Erlernen einer jeweils neuen grafischen Benutzeroberfläche.
Das natürlichsprachige Interface könnte durch die Kombination dieser Nutzungsgewohnheiten mit den Möglichkeiten der automatisierten Texterkennung die nächste Evolutionsstufe in der Kommunikation mit dem Computer darstellen. Facebook glaubt fest daran und möchte durch das Etablieren von Messengern die Vormacht von Apple und Google als Inhaber der mobilen Betriebssysteme und App-Stores beenden.
Für Unternehmen bedeutet dies, sich neben der Web- und App-Strategie künftig auch Gedanken über ihre Messenger-Strategie zu machen, respektive Überlegungen zum Messenger Teil einer integrierten Digitalstrategie werden zu lassen.
Die Disruptoren von morgen erfinden das Rad nicht neu: Sie orchestrieren existierende Services virtuos zu einem überragenden Benutzererlebnis, das es ihnen mit sehr geringem Ressourcenaufwand ermöglicht, mit Großunternehmen zu konkurrieren.
Ihr Geheimnis ist die Nutzung von über Programmierschnittstellen (APIs) ansprechbaren Services. Sie stecken hinter dem exponentiellen Wachstum von Uber auf eine Bewertung von über USD 60 Milliarden ebenso wie hinter der Disruption im Bankensektor durch Fintechs wie number26 und vielen weiteren mehr.
Sie gehören aus zwei Gründen auf die strategische Agenda eines jeden CEO:
Kein Erfolg ohne Ökosystem – kein Ökosystem ohne API: Nur durch die Nutzung von APIs können Unternehmen so schnell am Markt sein, und nur durch das Angebot von APIs können sie durch die Etablierung eines Ökosystems so schnell skalieren, wie dies das Wettbewerbsumfeld erfordert.
Der mobile Internet-Zugang ist bei der Mehrheit der Nutzer unterdessen zum primären Nutzungskontext avanciert und hat den Desktop hinter sich gelassen. Im Gegensatz zum Desktop dominieren hier jedoch Apps – und nicht Websites: 86 Prozent der mobil verbrachten Zeit findet innerhalb von Apps statt, der Browser macht nur 14 Prozent aus. Diese zentral kontrollierten Apps, die in den App-Stores einer weiteren Freigabestufe unterliegen und somit nicht beliebige Inhalte haben dürfen, wie es im Web der Fall ist, weisen darüber hinaus in ihrer Nutzung eine starke Konzentration auf: Während auf dem durchschnittlichen Smartphone 27 Apps installiert sind, entfallen 80 Prozent der Nutzung auf gerade einmal drei Apps.
Die Gatekeeper von morgen kreieren mit ihren Apps geschlossene Ökosysteme, in denen Anbieter von Services nach zentral definierten Spielregeln vorkommen dürfen – oder eben auch nicht. Der freie Zugang über offen nebeneinanderstehende Websites gehört in dieser Welt der Vergangenheit an. Unternehmen könnten sich bald nach dem Grad an Selbstbestimmung sehnen, die ihnen ein häufig bekämpfter Player wie Google mit seiner Suchmaschine geboten hat.
Unabhängig davon, wie dieser Kampf um Plattformen und das offene Web auch ausgehen mag, steht jedoch eines fest: Unternehmen werden nicht den Luxus haben abzuwarten, da ihr Zugang zu Kunden und damit ihre Existenz davon abhängt. Eine fundierte Strategie in Kenntnis der relevanten Optionen und ihrer jeweiligen Chancen und Risiken ist somit unumgänglich.