Foto: Stefan Zeitz
Um „Neue Macht- und Verantwortungsstrukturen in der digitalen Welt“ ging es bei einem zweitägigen Symposium in der Hamburger Bucerius Law School. „Die Digitalisierung aller Lebensbereiche hat einen Veränderungsprozess der Macht- und Verantwortungsstrukturen in Gang gesetzt und stellt eine immense Herausforderung für Staat, Politik und Gesellschaft dar. Insbesondere beim Umgang mit den wachsenden Datenmengen, die in Teilen sensibel und gleichzeitig hochrelevant und wertvoll sind, steht die Gesellschaft vor der komplexen Frage, wie eine Verantwortungsverteilung zwischen Staat, Unternehmern und Nutzern gestaltet werden kann“, betonten DIVSI-Direktor Matthias Kammer und Prof. Dr. Karsten Thorn (Präsident der Bucerius Law School) in ihrer gemeinsamen Einladung.
Matthias Kammer weiter: „Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der ein demokratisches gesellschaftliches Zusammenleben in einer freien, sozialen Marktwirtschaft entwickelt wurde, in der es um den ständigen Ausgleich zwischen Starken und Schwachen geht. Die Macht- und Verantwortungsteilung zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft hat sich über die Jahre viel Grundstabilität erarbeitet und hat sie auch behalten bei allen Schwankungen, die es gab. Gilt das auch weiterhin? Entwickeln sich nicht schleichend oder schon deutlich sichtbar Verschiebungen in diesem Gefüge? Das sind Grundfragen, die wir in dieser Veranstaltung zum Thema machen wollen.“
Zu der Veranstaltung hatten DIVSI, die Bucerius Law School sowie das Kieler Lorenz-von-Stein-Institut eingeladen.
Gastgeber und Ehrengast: Olaf Scholz mit Matthias Kammer und Prof. Dr. Karsten Thorn (Präsident Bucerius Law School). (Foto: Stefan Zeitz)
Im Mittelpunkt des ersten Tages stand ein Beitrag von Jan Philipp Albrecht (Grüne, MdEP) zum „Aktuellen Stand der Diskussion um die EU-Datenschutzgrundverordnung.
Als ein zentraler Standort der Medien- und Digitalwirtschaft haben wir mit zu den Ersten gehört, die die Folgen der Digitalisierung in Wirtschaft und Öffentlichkeit zu spüren bekamen. Um nicht dauerhaft als Getriebene der Zeitläufte durch den Wandel gehetzt zu werden, fördern wir heute die digitale Transformation mit Nachdruck – das gilt für die Hafenlogistik genauso wie für die Lehrangebote unserer Schulen und Hochschulen, für die Verkehrssteuerung ebenso wie für die staatlichen Museen. Hamburg entwickelt sich zu einer digitalen Stadt, und wenn wir es richtig angehen, dann haben wir die Möglichkeit, diese große und moderne Stadt mithilfe neuer Technologien noch lebenswerter und wirtschaftlich stärker zu machen.“
Ich will hier nicht einer naiven Technikgläubigkeit das Wort reden, aber es könnte nicht schaden, wenn wir uns von diesem Optimismus [der sogenannten ‚California Ideology‘] ein wenig abgucken würden. Denn die grundsätzliche Überzeugung, dass es möglich ist, mit technischen Innovationen unser Leben zu verbessern, teile ich ausdrücklich. Der Fortschritt nicht nur der Industrie-, sondern auch der digitalen Gesellschaft ist eng verknüpft mit der technologischen Entwicklung und unserer gesellschaftlichen Fähigkeit, uns diese nutzbar zu machen. Hier können wir durchaus lernen von einer Kultur wie der US-amerikanischen, die in neuen Möglichkeiten zunächst einmal Chancen und nicht Risiken entdeckt.
Die moderne Gesellschaft, in der wir leben, ist geprägt davon, dass soziale und wirtschaftliche Veränderung möglich ist. Sie muss daher auch lernen, mit Unsicherheiten und Unübersichtlichkeiten umzugehen.“
Zunächst einmal gilt die Werteordnung unseres Landes und unserer Gesellschaft ganz unabhängig von der Frage der technologischen Möglichkeiten. Das ist auch ein Hinweis auf die Frage nach den künftigen Machtstrukturen: Auch künftig wird es demokratisch legitimierte Machtausübung durch entsprechend ausgestattete gesellschaftliche Institutionen geben.
Technologische Innovationen fordern demokratische Systeme heraus, aber sie verändern sie nicht automatisch und an sich. Letztlich müssen sich Innovationen an den durch sie ermöglichten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Mehrwerten messen lassen. Den dazu nötigen politischen Diskurs müssen wir organisieren.“
Wer den Fortschritt durch Technik will, der muss aushalten können, dass manches gut klingende Vorhaben scheitert und aus manch unscheinbarem Anfang Großes entstehen kann.“
Die neuen technologischen Möglichkeiten ergreifen unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft seit zwei Jahrzehnten wellenweise. Zunächst hat die Digitalisierung die Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten erfasst und insbesondere die Medien- und Kreativwirtschaft vor neue Herausforderungen gestellt.
In einer zweiten Welle haben sich die Produktions- und Logistikprozesse tief greifend verändert und tun es noch. Das Schlagwort von der Industrie 4.0 ist mittlerweile in aller Munde. Hier im Hamburger Hafen, im Smart Port, lässt sicherleben, wie weitreichend der Wandel ist.
Und in einer dritten Welle ergreift die Digitalisierung die öffentliche Infra struktur und den öffentlichen Raum. Die Schnittstellen der technischen Systeme werden zunehmend allgegenwärtig und ermöglichen uns Formen der Zusammenarbeit und Prozesssteuerung, die noch vor wenigen Jahren undenkbar waren.“
Wir stehen vor der Aufgabe, die Schnittstellen der Verwaltung zu den Bürgerinnen und Bürgern ebenso zu digitalisieren wie unsere öffentliche Infrastruktur. Und wir haben die Chance, dadurch Innovationsräume für Unternehmen zu öffnen, in denen neue Angebote und Technologien ausprobiert und in Piloten zur Marktreife geführt werden können. Dabei geht es letztlich immer darum, durch Technologie die Qualität unserer Services zu verbessern und Ressourcen effizienter zu nutzen.“
Wir diskutieren nicht die Kompetenzverteilung zwischen Ländern, Bund und Europa propagieren auch keine völlig neue Ordnung, sondern versuchen die Schnitstellen zwischen Landes-, Bundes- und Europarecht besser zu managen. Das kann gelingen, wenn wir uns auf gemeinsame Regulierungsziele, auf Kollisionsregeln und Governance-Instrumente verständigen.
Diesen Ansatz verfolgen wir aktuell in der Bund-Länder-Kommission, in der sich die Länder gemeinsam mit dem Bund vor allem über die Schnittstellenthemen wie Kartellrecht und Vielfaltssicherung oder Intermediär-Regulierung austauschen, um gemeinsam abgestimmte Regulierungsvorschläge zu entwickeln. Diese Herangehensweise scheint mir für Fragen des Managements der Digitalisierung ganz generell sinnvoll zu sein.
Angesichts der Innovationsdynamik werden wir kaum in der Lage sein, ex ante Vorgaben zu machen. Viel wichtiger ist es, dass wir abstrakte und prinzipiengeleitete Vorstellungen entwickeln, die dann entweder auf dem Wege der Co- und Selbstregulierung oder aber im Rahmen der deutschen oder europäischen Gesetzgebung angewendet werden.
Das ist keine Aufgabe für den Gesetzgeber allein, sondern hier sind Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen in der Pflicht, gemeinsame Überlegungen zu entwickeln und zur Geltung zu bringen.“
Wir haben uns in Hamburg vorgenommen, die Digitalisierung und ihre Potenziale zu verstehen und als Chancen zu begreifen. Wir wollen auf Augenhöhe sprechfähig sein. In der Stadt passiert schon unglaublich viel. Um diese Prozesse zu bündeln, aufeinander abzustimmen und Synergien zu heben, richten wir derzeit in der Senatskanzlei im Amt Medien eine Leitstelle für die Digitale Stadt ein. Sie soll dabei helfen, einen besseren Überblick über die zahlreichen Projekte und Prozesse zu erlangen. Zugleich belassen wir die Verantwortung für die einzelnen Projekte der Digitalisierung ausdrücklich bei den fachlich zuständigen Behörden.
Wir wollen nicht, dass die Transformationsthemen in irgendwelche Stäbe oder ins IT-Referat delegiert werden. Sie müssen Gegenstand des alltäglichen Verwaltungshandelns werden. Erst dann wird es uns gelingen, die Chancen der Digitalen Stadt voll zu entwickeln.“
… ein Beispiel dafür ist das Transparenzgesetz, das wir in Hamburg in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedet haben und das die Grundlage geschaffen hat für ein Transparenzportal, in dem alle wesentlichen Informationen über das Handeln von Senat und Verwaltung für jede Bürgerin und jeden Bürger zugänglich sind. Mit diesem Schritt haben wir die bisherige Logik des Verwaltungshandelns umgedreht.
Es ist noch gar nicht so lange her, da musste derjenige, der eine Auskunft haben wollte, begründen, warum er einen Anspruch darauf hat, sie zu bekommen. Jetzt muss der Staat begründen, warum er eine Information nicht preisgibt. Diese Umkehr der Beweislast ist eine richtige
und sinnvolle Antwort auf die berechtigten Partizipationsansprüche der Bürgerinnen und Bürger.“
Neben der Transparenz öffentlicher Daten ist der Schutz individueller Daten ein weiteres wichtiges Prinzip der neuen digitalen Ordnung. Hier haben wir es mit einer zentralen Bürgerrechtsfrage zu tun – vor allem, wenn es um den Schutz dieser Daten vor dem Zugriff des Staates geht.
Die Debatte über die Datenschutzgrundverordnung der EU zeigt, wie viel Arbeit wir hier noch gemeinsam zu leisten haben und wie sehr dieses Politikfeld noch in Bewegung ist. Allerdings findet die Debatte an der richtigen Stelle statt. Denn nur ein europaweites Recht hat eine Chance, relevant zu sein. Die Nationalstaaten sind für eine Regelung im weltweiten Web oft zu klein.“
Vielleicht erleben wir zurzeit ja sogar einen Paradigmenwechsel weg von der reinen Datensparsamkeit hin zur individuellen Datensouveränität, die vorrangig darauf zielt, den Einzelnen wirklich informationell selbstbestimmt sein zu lassen. Die Sensibilität dafür, dass sinnvoller Schutz nicht in übergriffigen Paternalismus ausufern darf, scheint mir jedenfalls zu wachsen.“
Wir sind hier politisch gefragt, Spielregeln zu entwickeln, die einerseits eine freie und liberale Öffentlichkeit nach wie vor ermöglichen und die andererseits Diskriminierung und Einschränkungen von Vielfalt verhindern.“
Regierung und Parlamente werden sich nicht aus der Führungsaufgabe für die Gesellschaft zurückziehen. Im Gegenteil: Dort, wo allgemeinverbindliche Regeln identifiziert, formuliert und durchgesetzt werden müssen, ist Politik unerlässlich. Hier übt sie demokratisch legitimierte Macht aus.“