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Der digitale Imperialismus und die Schwäche des Rechts

29. Dezember 2016

Der digitale Imperialismus und die Schwäche des Rechts

Foto: ImageFlow | Shutterstock

Der „Geist der Maschine“ ist der Flasche entwichen – es gibt kein Fangnetz mehr.

Von Friedrich Graf von Westphalen

Das Wort vom „digitalen Imperialismus“ reimt sich auf die nicht zu bändigende Wirtschaftskraft der Internet-Giganten des Silicon Valley, die „Big Data“ repräsentieren, Google, Facebook, Apple, Microsoft und Amazon: sie verkörpern aber auch gleichzeitig „Big Money“. Eine fast unheilig zu nennende Allianz, wenn man sich der Frage zu nähern versucht, ob denn das Recht – gleichgültig, ob im Maßstab des nationalen oder des europäischen Rechts bewertet – überhaupt noch in der Lage ist, den grundrechtlichen Schutz der Freiheit und damit auch der Privatsphäre des Einzelnen, sein Recht, allein gelassen zu werden, gewährleisten kann. Denn es gilt der eherne Grundsatz, den Yvonne Hofstetter schon vor einigen Jahren in die Debatte geworfen hat: „Google sieht alles, Apple hört alles, und der NSA weiß alles!“

Ständig bewegen wir uns im Internet, nutzen die Suchmaschinen, schreiben E-Mails oder senden mit unserem Smartphone eine SMS, kommunizieren auf Facebook mit unseren „Freunden“, schreiben ein „like it“ zu der gerade erhaltenen „Nachricht“ und hoffen in der „community“ auf möglichst viele (virtuelle) Freunde, die „followers“. Dabei lassen wir freilich das „Privateste“ ständig als „Gegenleistung“ zurück: unsere persönlichen Daten, angefangen von der Adresse bis zu unseren Bewegungsprofilen. Es sind Fußspuren, die unsere Vorlieben, unsere Neigungen, unsere Interessen widerspiegeln. Großrechner erfassen sie, nachdem sie als Ware verkauft wurden, in Bruchteilen einer Sekunde, formen daraus einen personalisierten Algorithmus, der dann zu unserem (nahezu unverwechselbaren) „Profil“ entsprechend den Regeln der Mathematik ausgestaltet wird.

Hoher Preis

Die vermeintliche Maximierung unseres Strebens nach immer mehr Nutzen, nach Wohlgefühl durch die Digitalisierung – vom Internet der Dinge bis zum „Internet of everything“ – hat jedoch ihren sehr hohen Preis. Bei all unseren Aktivitäten lassen wir, ob Benutzung von Smartphones, Tablets oder PCs, im Netz das „Privateste“ zurück, das wir haben: unsere persönlichen Daten. All unsere Vorlieben, unsere Interessen, Neigungen und Charakterschwächen, auch alle Gebiete unserer Neugierde werden ständig in Maschinen gespeichert und durch personalisierte Algorithmen in einem „Profil“ (mit stupend hoher Treffsicherheit) für den jeweiligen Nutzer festgelegt, bis hin zu den in unserem Auto oder Smartphone (ohne unser Wissen) ständig gespeicherten Daten (Bewegungsprofile), welche dann auch auf unsere Identität Rückschlüsse gestatten. Viele meinen immer noch, dass die Großrechner im Silicon Valley sich nur für unser vergangenes Verhalten, vom Beruf angefangen über die Freizeit bis hin zu unseren musischen Neigungen, interessieren. Irrtum. Es geht darum, aufgrund der durch die Maschine ermittelten „Profile“ – männlich, weiblich, Alter, verheiratet, Single, Wohnort, Beruf, Freizeit- und Kaufverhalten, Leseneigungen und Sport etc. – unser künftiges Verhalten möglichst genau zu berechnen und damit auf Grundlage der riesigen, von den Großrechnern verarbeiteten Datenmengen vorherzusagen, was und welche Produkte wir vermutlich – Werbung ist hier das entscheidende Codewort – kaufen oder doch nutzen wollen. Es sind die Maschinen, die uns sagen wollen und auch sagen sollen, wie wir uns künftig – entsprechend dem Muster der Gruppe (gleich und gleich gesellt sich gern) – verhalten sollen, weil es unseren aus der Vergangenheit abgeleiteten, personalisierten Verhaltensmustern entspricht.

Abhängigkeit

Jaron Lanier, einer der wohl einflussreichsten Kritiker der Digitalisierung, bringt diese Entwicklung auf den Punkt: „Du bist nicht der Kunde der Internet-Konzerne, du bist ihr Produkt.“ Das ist eine kaum verdeckte Beschreibung, dass der Mensch, das Humanum, seine seit Kant gerühmte und bislang bewahrte Autonomie als Ausprägung der persönlichen Freiheit, offenbar zu opfern bereit ist. Oder streben wir eine Ordnung von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat an, um den entscheidenden „Unterschied zwischen Mensch und Ding in einer digitalisierten Welt beizubehalten“ (Hofstetter) – die Signatur des Abendlandes eben, des europäischen Menschenbildes, des „alten Adam“ (Radbruch).

„Der Mensch ist keine Maschine. Der Mensch ist Mensch“, wie Yvonne Hofstetter uns ermahnt. Darum, nur darum geht es. Denn die krakenhafte Sucht nach unseren persönlichen Daten ist der Treiber des Internet-Kapitalismus. Unsere Abhängigkeit von den im Hintergrund arbeitenden Maschinen soll gesteigert werden; es ist das Bild vom „sticky customer“, das hier herrscht. Die Maschinen aber lernen immer mehr, sie lernen immer schneller; ihre Ergebnisse werden immer besser. Die künstliche Intelligenz der Maschine steht inzwischen für das Gesagte.

Menetekel

Die maschinelle Auswertung des demokratischen Wahlverhaltens des Bürgers ist derweil in vollem Gang. Immer geht es darum, das Verhalten (für den Politiker und die Maschine) herauszufinden, das den einzelnen Bürger in seinen Erwartungen, Hoffnungen, aber auch Ängsten gegenüber der Politik „belohnt“, das also auf seinen Nutzen passgenau zugeschnitten ist. Wer die offenen und heimlichen Intentionen der Bürger kennt – gleichgültig ob Unternehmen, Geheimdienst oder eine politische Partei –, kann ihn zielgenau ansprechen, kann ihn motivieren, aber auch manipulieren. Denn – so steht es als Menetekel an der Wand – nur Google selbst weiß – Stichwort: Betriebsgeheimnis –, wie der Algorithmus der Suchmaschine funktioniert und welche Informationen er suchen und finden soll.

Er ist es, der bewertet, und zwar auch das, was richtig, was wahr und was falsch ist, was weiter im Netz stehen soll und was nicht. Wenn aber verschiedene Nutzer auf der gleichen Spur (Schwarmverhalten) sind, die gleiche Nachricht lesen und auch gleich bewerten, dann heißt das noch lange nicht, dass die von Google als „relevant“ erkannte und weiterverbreitete Nachricht auch wahr ist. Entscheidet sich gar eine Mehrheit in diesem Sinne, dann ist die Minderheit chancenlos. Denn die Suchmaschine antwortet hier nicht. Die Ergebnisliste von Google ist bereits der Ausweis, dass es sich um eine wahre Tatsache handelt; sie ist auch Ersatz für die Primärquelle. Das Gerücht wird zur Tatsache. „Je mehr wir unsere Umwelt in einem Computer umbauen, je öfter wir maschinelle Entscheidungen befolgen, desto stärker wird der Programmcode zur beherrschenden Kraft unseres Alltags werden“ (Hofstetter).

Kann das Recht hier noch Nachhaltiges bewirken, um das Humanum für unsere freiheitliche Demokratie zu retten?

Verteidigung

Prof. Hoffmann-Riem hat soeben in seiner groß angelegten Monografie über „Innovation und Recht“ eine sehr klare, eine ernüchternde Antwort gegeben: „Das Recht allein hat nicht die Kraft, das Notwendige zu erreichen.“ Der „Geist der Maschine“ ist also der Flasche entwichen; das Recht hat kein Fangnetz mehr. Das ist im Kern darauf zurückzuführen, dass die technische Entwicklung der Digitalisierung unglaublich rasant ist; das Recht kann als parlamentarisch gesetztes Recht diesem Tempo nicht folgen. Das ist freilich wesentlich dramatischer als die alte Geschichte vom Hasen und dem Igel. Und im Hintergrund steht auch der unabweisbare Befund: Der Gesetzgeber kann nur das regulieren, was er auch technisch verstanden hat.

Im Blick auf den Schutz der Freiheit des Bürgers wird man auch bedenken müssen, dass zum ersten Mal in der Geschichte sich die Verteidigung der liberalen Freiheitsrechte nicht nur gegen den Staat selbst richtet, sondern vor allem gegen die unglaubliche wirtschaftliche Macht der Internet-Giganten in den USA. Die erforderliche Verteidigung zur Sicherung der Freiheit muss also gegen ausländische Wirtschaftsunternehmen gerichtet werden. Für diese gilt aber amerikanisches Recht. Dieses lebt – gerade im Blick auf den Internet-Kapitalismus – jedoch von den liberalen Regeln der Deregulierung, also den Gesetzen des freien Marktes. Dieser profitiert wiederum von einer nicht unbedenklichen Kooperation mit den Nachrichtendiensten: Überwachung trifft Manipulation.

Das europäische Kartellrecht, das von der EU-Kommission gegen Google und Microsoft gelegentlich in Stellung gebracht wird, erweist sich kaum als effektiv, die Freiheit des Bürgers hinreichend zu schützen. Die in 2018 in Kraft tretende Datenschutz-Grundverordnung hält – jedenfalls gegenüber den Internet-Giganten des Silicon Valley – praktisch keine Fesseln bereit, was ein weites und sehr trauriges Thema ist. Soweit das europäische Recht zwingendes Verbraucherschutzrecht zur Verfügung stellt, wird es schlicht in großem Maßstab ignoriert. Die verfügbaren Waffen des Rechts sind stumpf.

Bürgerliche Freiheit

Es muss daher auf europäischer und nationaler Ebene ein Dialog in Gang gesetzt werden, ob wir bereit sind, dem Internet-Kapitalismus unsere bürgerliche Freiheit und dann auch unsere Demokratie zu opfern (Hofstetter), indem wir aus wirtschaftlichen Gründen den Zwängen und Verlockungen der Digitalisierung blind folgen und uns damit der weit überlegenen amerikanischen Wirtschaftsmacht von Big Data und Big Money aussetzen, oder ob und wie wir gegensteuern – außerhalb des Arsenals verbaler Empörungsrufe.

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Der Autor

Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen

Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen

Foto: Frank Bluemler

leitet den Ausschuss „Europäisches Privatrecht“ beim Rat der Europäischen Anwälte in Brüssel, ist Mitglied des European Law Institute Wien.

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