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Der neue Bundestag und die Netzpolitik: Einigkeit herrscht bei den Themen – nur über das WIE differieren die Meinungen

14. November 2013

Netzpolitik nach der Wahl des Bundestages 2013

Bild: Rudolf Tepfenhart – Shutterstock

Von Dr. Göttrik Wewer

Berlin – Dass das Internet die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und wirtschaften, radikal verändert, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Die digitale Revolution, die sämtliche Politikfelder umpflügt, erfordert eigentlich eine ganzheitliche Antwort auf eine Vielzahl von Fragen: Wie wollen wir in Zukunft leben, arbeiten und wirtschaften? Und wie können wir die künftige Gesellschaft, die allgemein als erstrebenswert angesehen wird, am besten erreichen und als Standort wettbewerbsfähig bleiben? Wie wollen wir, wenn die Welle uns nicht einfach überrollen soll, den Wandel politisch gestalten? Wie stellen wir uns eine ideale „Verfassung“ des Internets vor – neudeutsch: dessen Governance, also den Zugang zum Netz für alle und dessen Infrastrukturen und Institutionen? Welche verbindlichen „Spielregeln“ wünschen wir uns bei der Nutzung des Netzes und für den Umgang miteinander dort? Und welche Modelle einer „digitalen Demokratie“ sind denkbar und praktikabel, die den politischen Betrieb, so wie wir ihn kennen, vitalisieren könnten? Wie können wir auch im Internet ein System der Checks and Balances installieren, das unkontrollierter Machtausübung entgegen wirkt? Das sind nur einige der Fragen, vor denen wir stehen.

Wenn die Antworten nicht Stückwerk bleiben sollen, braucht man eine Gesamtschau der Digitalisierung und der Veränderungen unserer Lebenswelt, die sie mit sich bringt. Wenn die Maßnahmen, die ergriffen werden, um den Wandel zu gestalten, ineinander greifen und sich nicht widersprechen sollen, dann braucht man ein integriertes Gesamtkonzept für die Lösung der Probleme, die bewältigt werden müssen, eine Agenda mit klaren Prioritäten.

Und wenn nicht jedes Ressort vor sich hin werkeln soll, ohne nach links und rechts zu gucken, dann braucht es jemanden, der die Umsetzung koordiniert und dafür sorgt, dass die Agenda abgearbeitet wird. Das ist der Grund, weshalb einige über einen „Internet-Minister“ in der neuen Bundesregierung nachdenken, womöglich direkt angesiedelt im Kanzleramt, und über einen ständigen Ausschuss „Internet und digitale Gesellschaft“ im neuen Deutschen Bundestag.

Bisher verfügten weder das Parlament noch die Regierung über ein umfassendes und in sich stimmiges Konzept zur Bewältigung und Gestaltung der digitalen Revolution. Die Vielfalt der Themen, die zu bearbeiten sind, schien noch am ehesten in den Beratungen, Beschlüssen und Maßnahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie organisierten IT-Gipfels auf; andere Häuser kümmerten sich vorrangig um Forschung und (Aus-)Bildung oder um das elektronische Regieren und Verwalten. Im IT- Planungsrat sind – gemeinsam mit den Ländern und Kommunen – die Nationale E-Government-Strategie (NEGS) und eine „Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland“ erarbeitet worden. Für eine Digitale Agenda für die nächsten vier Jahre und darüber hinaus bieten auch die vier Bände, welche die Enquete-Kommission  „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages vorgelegt hat, reichhaltiges Material. Hier werden praktisch alle Themen angesprochen, auf die es jetzt ankommt.

In die Wahlprogramme der Parteien sind davon, wie eine aktuelle Analyse zeigt, nur Bruchstücke eingeflossen. Da Netzpolitik, obwohl so wichtig, nicht zu den Themen gehört, die die Bürger besonders umtreiben, kann man es den Parteien nicht verdenken, dass sie nicht ihr ganzes Programm aus der Perspektive der digitalen Revolution heraus geschrieben, sondern diesen speziellen Themen allenfalls zehn Prozent des Programms gewidmet haben.

Das gilt selbst für die Piraten, deren Wahlprogramm 166 Seiten umfasst. Das der Grünen ist mit 327 Seiten (inklusive Register) fast doppelt so dick. Die SPD braucht knapp 120 Seiten, um das zu sagen, was sie vorhat, die FDP 95 Seiten. CDU und CSU kommen zusammen mit knapp 80 Seiten (im DIN A 4-Format) aus. Selbst die dürfte kaum ein Wähler komplett gelesen haben.

Netzpolitik steht also nicht unbedingt im Mittelpunkt der Wahlprogramme, aber kein Wahlprogramm kommt heute noch damit aus, nichts zu diesem neuen Politikfeld zu sagen. Alle Parteien setzen sich also mit der Digitalisierung der Gesellschaft auseinander, das ist die positive Nachricht. Sie sind sich auch bei den Themen weitgehend einig, die jetzt angepackt werden müssen, unterscheiden sich aber teilweise erheblich darin, wie diese Themen angepackt werden sollen. Während praktisch alle Parteien die Netzpolitik gesetzlich absichern wollen, will die Union erst prüfen, ob das wirklich notwendig ist, und verweist die FDP darauf, dass dieses Grundprinzip eigentlich schon anerkannt sei und dass es eine Diskriminierung von einzelnen Angeboten „innerhalb einer Dienstklasse“ nicht geben dürfe. Während die Grünen die einzige Partei sind, die sich intensiver Gedanken zur Governance des Internets macht, beschwört die Union besonders die wirtschaftlichen Potenziale. Der FDP geht es vorrangig um Grundrechte und die Freiheit der Bürger im Netz, der SPD um eine bessere soziale Absicherung von Kreativen und Künstlern in der digitalen Ökonomie. Den Verbraucher- und Datenschutz wollen alle stärken, das Urheberrecht alle neu regeln.

Wenn man die Wahlprogramme nebeneinander legt, dann hat man bereits die Konturen einer Digitalen Agenda für die kommende Legislaturperiode. Es gibt, wie gesagt, einen erstaunlich breiten Konsens über die Themen, die zu bearbeiten sind, aber nicht immer Einigkeit über die richtige Lösung. Während SPD und Grüne eine Breitbandversorgung per Universaldienst anstreben, wollen CDU/ CSU und FDP möglichst keine gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen. Die Konfliktlinien, die sich abzeichnen, verlaufen häufig zwischen „schwarz-gelb“ einerseits und „rot-grün“ andererseits, aber auch innerhalb der bisherigen Koalition ist man sich längst nicht in allen Punkten einig. So will die Union immer noch eine verfassungskonforme Vorratsdatenspeicherung durchsetzen – aus inhaltlichen Gründen, aber auch, um einer Vorgabe der EU nachzukommen – was aber die FDP nach wie vor strikt ablehnt.

Welche Wahlprogramme eine Chance haben werden, in eine Koalitionsvereinbarung, in die Regierungserklärung und in das Arbeitsprogramm der Bundesregierung einzufließen, hängt vom Ergebnis der Bundestagswahl ab. Diese drei Dokumente werden zeigen, welchen Stellenwert die neue Regierung der Netzpolitik einräumt und ob es für die nächsten vier Jahre so etwas wie eine Digitale Agenda für Deutschland – ähnlich wie die der EU- Kommission für Europa – geben wird. Die Parteien, die in der Opposition verbleiben müssen, werden dafür sorgen, dass alle Punkte aus den Wahlprogrammen, die zu Netzpolitik gehören, auf die Tagesordnung des Parlaments kommen werden. Die Mehrheit kann ihre Vorstellungen umsetzen, das kann die Minderheit nicht. Aber sie kann sich dafür einsetzen, dass auch die Themen nicht ausgespart wer- den, die der Regierung eher unangenehm sind. Insofern ist sicher: Alle Themen, die in den Wahlprogrammen angesprochen werden, kommen auf den Tisch.

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Der Autor

Dr. Göttrik Wewer

Dr. Göttrik Wewer

Seit 2010 ist Wewer Vice President E-Government bei der Deutsche Post Consult GmbH.

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