Ein (Holz-)Briefkasten als Tor zur Teilhabe in der digitalen Welt? Das mag wie ein Widerspruch anmuten, ist es aber nicht. Denn genau das war das Produkt einer Zusammenarbeit des Design Research Lab der Universität der Künste Berlin und des Senioren Computerclubs Berlin. Prof. Dr. Gesche Joost, Leiterin des Research Lab und Internet-Botschafterin der Bundesregierung im Club der „Digital Champions“ bei der EU, hatte ihre Keynote denn auch folgerichtig unter die Zeile „Der Briefkasten ins Internet – Partizipation in der digitalen Gesellschaft“ gestellt.
Dieses und andere Projekte stellte Gesche Joost am zweiten Tag des dritten DIVSI-Bucerius Forums vor. Sie informierte darüber, welche Instrumente der Teilhabe es gibt, was es überhaupt bedeutet, dass wir uns mehr und mehr hin zu einer digital vernetzten Gesellschaft entwickeln, es in Teilen sogar schon sind, und wie eine inklusive digitale Gesellschaft für wirklich alle Menschen gestaltet sein könnte.
Prof. Joost: „Zu der konkreten Entwicklung des Briefkastens als Mittel, um Senioren ins Netz zu holen, sind wir gelangt, weil wir uns die Frage gestellt haben: ‚Wie können wir Menschen dort abholen, wo sie sind, und auch mit den Instrumenten abholen, die sie haben?‘“
Als Wertebasis der digitalen Gesellschaft sieht Joost die inklusive Gesellschaft,in der Rücksichtnahme und Teilhabe ein hohes Gut sind. Derzeit werde die Diskussion eher von Industrie 4.0, Digitalisierung der Arbeit, beherrscht. Es brauche aber einen Werte-Kodex zur Nutzung digitaler Technologien wie Big Data, Künstliche Intelligenz und Soziale Netzwerke. Dabei müsse man immer hinterfragen: „Was ist die Wertebasis aufgrund derer wir das tun?“ „Wie verhält es sich zu unserem bürgerschaftlichen Werte-Kodex?“
Gesche Joost: „Wir brauchen zudem eine behutsame Regulierung gegen Radikalisierung im Netz, Hate Speech und zu der Frage, wie wir das Recht auf Vergessenwerden überhaupt durchsetzen können. Zuletzt benötigen wir die Teilhabe marginalisierter Gruppen bei der Entwicklung neuer Technologien.“
Die in der digitalen Gesellschaft erforderliche digitale Souveränität setze sich aus einer Trias zusammen aus Regulierung, Datenkompetenz und digitaler Bildung sowie der technologischen Ermöglichung der Ziele, wie etwa Privacy by design/default. Gesche Joost unterstützt, nicht zuletzt aufgrund ihrer Tätigkeit im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV), die DIVSI-These, dass „ohne digitale Teilhabe heutzutage kaum noch soziale Teilhabe möglich ist“. Sie zeigte aber auch Bereiche auf, in denen es um „Teilhabe wider Willen“ gehe, und machte gleichzeitig deutlich, dass „wir nie mehr offline sind“, wenn in Zukunft mehr Dinge mit dem Internet kommunizieren als Menschen. In Smart Cities werde eine vollständige Vernetzung der Infrastruktur stattfinden. Wenn die Menschen dann in der Planung von Smart Cities kaum Berücksichtigung fänden, führe das unweigerlich zu Akzeptanzproblemen.
Angesprochen wurde auch die Thematik „Drucken wir uns die Welt in 3D“ demnächst selbst? Wenn es nach Gesche Joost geht, gibt es dafür zumindest jetzt schon einige vielversprechende Initiativen. Sie liefern Open Source, also kostenlose Ansätze, mit denen eine gesellschaftliche „Teilhabe durch Technologie“ möglich ist. Erfreulicherweise passiere dies nicht immer nur unter der Regie großer Konzerne.
Mit Blick auf die Debatte um „Post-Privacy vs. digitale Souveränität“ ging Gesche Joost der Frage nach, ob wir über das Zeitalter, in dem es so etwas wie Privatsphäre gab, schon hinaus sind. Ist der mündige Bürger in einer digitalen Welt also überhaupt noch zu souveränem Handeln befähigt, oder diktieren längst andere Player die Spielregeln? An dieser Stelle warnte Prof. Dr. Gesche Joost: „Wir stehen an einem entscheidenden Punkt. Wenn wir so weitermachen wie bisher und großen Konzernen die Rahmensetzung überlassen, könnte genau das passieren.“