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Wertschöpfung und Wertschätzung

3. April 2018

Wertschöpfung und Wertschätzung

Foto: NOBUHIRO ASADA | Shutterstock

Wege zur Verbesserung des Persönlichkeitsrechtsschutzes im Internet.

Von Dirk Heckmann

Grobe Beleidigungen und Verleumdungen nehmen in unserer Gesellschaft zu, auch und gerade in Sozialen Netzwerken, Online-Foren und interaktiven Portalen. Das Internet ist aber kaum „schuld“ an dieser Entwicklung. Es zeigt vielmehr als „Spiegel der Gesellschaft“ deren Zustand in Bezug auf das Werteverständnis, charakterliche Merkmale seiner Nutzer und auch die Diskussionskultur.

Zwar sind solche Ehrverletzungen schon nach geltendem Recht strafbar. Dies hindert die Täter aber nicht an ihrem Treiben, weil eine Strafverfolgung nur in ganz seltenen Fällen stattfindet. Dies hat mehrere Ursachen: Zum einen werden Ehrverletzungsdelikte nur auf Antrag verfolgt und selbst dann kaum zur Verurteilung gebracht. Zum anderen scheuen viele Opfer die Strafanzeige, weil sie im Verfahren selbst nur unzureichend geschützt und unterstützt werden.

Abgrenzungsbedarf

Auch die schiere Masse von Tausenden neuer Straftaten jeden Tag scheint die Ermittlungsbehörden zu erdrücken. Außerdem leidet die Diskussion um das „Cybermobbing“ darunter, dass erhebliche Ehrverletzungen (teilweise mit Suizid-Folgen) mit einfachen Beleidigungen „in einen Topf geworfen werden“ (zumal derzeit §185 StGB dafür einheitlich gilt) und dabei auch ein Abgrenzungsbedarf gegenüber grundrechtlich geschützten Meinungsäußerungen proklamiert wird, was bei Löschbegehren immer wieder zum Vorwurf einer Zensur führt.

Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag 2013 den Erlass eines Cybermobbing- Gesetzes versprochen. Herausgekommen ist ein äußerst umstrittenes und (europa)rechtlich fragwürdiges „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG), das einseitig die Betreiber von Sozialen Netzwerken in die Pflicht nehmen will und dabei einen Rundumschlag gegenüber missliebigen Äußerungen und Inhalten (einschließlich sog. „Fake News“) vornimmt. Eine echte Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes im Internet ist durch dieses Gesetz weder intendiert noch möglich. Der Koalitionsvertrag 2018 blendet das Thema aus.

Störerhaftung

Seit dem 1.1.2018 sind Anbieter sozialer Telemedien wie Facebook oder Twitter nach dem NetzDG verpflichtet, rechtswidrige Inhalte von ihren Plattformen unverzüglich zu löschen. Dabei ist die Verpflichtung zum Löschen ehrverletzender Tweets oder Postings nicht neu. Hierzu sind die Plattformbetreiber nach den Grundsätzen der Störerhaftung auch unter Berücksichtigung ihrer Privilegierung nach Art. 14 E-Commerce- Richtlinie und §10 TMG verpflichtet, sobald sie Kenntnis von dem rechtswidrigen Inhalt haben. Problematisch ist vielmehr der mit erheblichen Sanktionen im NetzDG erzeugte Druck auf die Plattformbetreiber, eher zu viel als zu wenig zu löschen (sog. Overblocking).

Und hier kommt das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) in seiner objektiv-rechtlichen Dimension ins Spiel: Praktisch niemand wird etwas dagegen haben, dass strafbare Ehrverletzungen aus dem Internet entfernt werden. Was unterdessen strafbarer Inhalt und was demgegenüber schutzwürdige Meinungsäußerung ist, darüber kann wahrscheinlich gestritten werden. Man denke nur an das durch Satire (Art. 5 Abs. 3 GG) geschützte Gedicht von Jan Böhmermann oder die gegen eine AfD-Politikerin gerichtete Bezeichnung als „Nazi-Schlampe“, die das Landgericht Hamburg ebenfalls zugelassen hat.

So verwundert es nicht, dass jüngst etliche gelöschte Tweets (zum Beispiel solche des Satiremagazins Titanic) wieder freigegeben werden mussten, nachdem darauf hingewiesen wurde, in welchem Kontext diese geschrieben wurden. Es besteht also ein Dilemma: Auf der einen Seite gilt es, die Opfer von Ehrverletzungen im Internet, besonders in schwerwiegenden Fällen wie beim Cybermobbing, zu schützen. Auf der anderen Seite muss die Meinungsfreiheit (korrespondierend mit der Informationsfreiheit und der Kunstfreiheit) als hohes Gut ebenso geschützt werden. Die Grenze, was noch geschützte Meinungsäußerung und was bereits strafbare Ehrverletzung ist, ist fließend. Dies ist auch deshalb ein Dilemma, weil es immer eine Zwischenzeit geben wird, in der entweder ein rechtswidriger Inhalt bis zu einer (gerichtlichen) Entscheidung im Netz steht oder ein rechtmäßiger Inhalt (nachdem er „vorschnell“ gelöscht wurde) noch nicht wieder online verfügbar gemacht wurde. Wie also soll man mit diesem Dilemma umgehen, dass (Persönlichkeits-)Rechtsschutz entweder zu schwerfällig und langsam ist oder auf Kosten der Meinungsfreiheit eine normative Kraft des Faktischen entfaltet?

Kombination

An dieser Stelle soll ein Gesetzentwurf zur Verbesserung des Persönlichkeitsrechtsschutzes im Internet (Persönlichkeitsrechtsschutzgesetz – PRG) weiterhelfen, der auf Initiative der Rechtsschutzversicherung ARAG 2017 an der Universität Passau, Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik For..Net, entstanden ist und der im Februar 2018 veröffentlicht wurde. Verfasserin des Gesetzentwurfs ist neben dem Autor dieses Beitrags Anne Paschke, die For..Net-Geschäftsführerin. Der Gesetzentwurf mit Begründung und konsolidierter Fassung sowie Hintergrundinformationen zum Projekt ist hier abrufbar: www.arag.com/german/press/pressreleases/group/00448.

Schwere Beleidigungen und Verleumdungen sollen danach im Netz wirksam verfolgt werden, indem man die Möglichkeiten des Strafrechts, des Strafprozessrechts und des Telemedienrechts sinnvoll kombiniert. Vorgeschlagen wird ein spezieller Cybermobbing- Straftatbestand, die „besonders schwere Ehrverletzung im Internet“. Der Gesetzentwurf geht aber weit über bloße Strafnormen hinaus. So wird insbesondere der Opferschutz stark verbessert. Neben einer Ermittlungspflicht von Amts wegen erhalten Opfer schwerer Ehrverletzungen einen „Opferanwalt“ und psychosoziale Prozessbegleitung.

Verpflichtung

Das Herzstück des Gesetzentwurfs ist die Neuregelung im Telemedienrecht. Provider und Plattformbetreiber sollen mit ihrer Technologiekompetenz zum Persönlichkeitsrechtsschutz beitragen und nicht an die Stelle der Gerichte treten. So sollen sie verpflichtet werden, Maßnahmen zur Meldung und Kenntlichmachung von problematischen Inhalten bereitzustellen. Gemeldete Inhalte sollen von den Betreibern nicht mehr gelöscht, sondern als streitig gekennzeichnet und zur Beweissicherung dokumentiert werden. Für die Durchsetzung des Löschbegehrens bedarf es eines gerichtlichen Beschlusses. Die rechtliche Abgrenzung zwischen strafbarer Ehrverletzung und freier Meinungsäußerung im Netz erfolgt im Zweifel also durch die Gerichte.

Titanic Tweet

Quelle: Twitter

Zur Sicherung einer erforderlichen Beweisführung eignet sich die Dokumentationspflicht durch die Plattformbetreiber, weil die Opfer gleichsam mit einem Mausklick alles tun können, was die zivilrechtliche und strafrechtliche Rechtsverfolgung erleichtert. So gleichen die normierten Pflichten für die Diensteanbieter nur diejenigen Risiken aus, die diese bei der technischen Ausgestaltung ihrer Geschäftsmodelle erst selbst geschaffen haben. Mit der Regelung eines Auskunftsanspruchs für das Opfer wird der Persönlichkeitsschutz prozedural dem Vermögensschutz des Urheberrechts angeglichen. Dort sind Plattformbetreiber bereits verpflichtet, im Streitfall IP-Adressen von mutmaßlichen Störern zur Rechtsverfolgung herauszugeben. Mit seinem Gesamtpaket will das PRG den Persönlichkeitsrechtsschutz verbessern und damit für Wertschätzung im Internet werben. Wenn in jüngerer Zeit immer von Wertschöpfung durch Digitalisierung die Rede ist, dürfen nicht nur materielle Werte adressiert werden, die sich in Geschäftsmodellen wie denen der Plattformbetreiber widerspiegeln. Schutzwürdig und besonders schutzbedürftig sind auch ideelle Werte wie informationelle Selbstbestimmung und die persönliche Ehre. Das Leitbild des Grundgesetzes mit der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht an der Spitze gilt offline und online.

Prof. Dr. Dirk Heckmann

Fotos: Heckmann

Prof. Dr. Dirk Heckmann
ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht an der Universität Passau und Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.

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Der Autor

Prof. Dr. Dirk Heckmann

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Foto: Heckmann

ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht an der Universität Passau und Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.

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