7.2 Ein neues Verständnis von Privatheit?

Privatheit ist für fast alle Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ein besonders wichtiges Thema – insbesondere im Online-Kontext, in dem die meisten einen Großteil ihres Alltags verbringen. Was aber genau Privatheit für junge Menschen bedeutet, muss aus Perspektive der Befragten verstanden und damit auf Basis qualitativer Untersuchungsergebnisse konzipiert werden. Ein Rückgriff auf bestehende Definitionen von Privatheit wäre für eine quantitative Überprüfung ihrer Relevanz für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zu kurz gegriffen.

Die Befunde zeigen, dass sich das Verständnis von Privatheit in den verschiedenen Altersgruppen deutlich voneinander unterscheidet.

Kinder nähern sich diesem Thema ex negativo, d. h. Privatheit wird relevant, wenn sie nicht respektiert wird. Sie erwähnen zahlreiche gefährliche Situationen, die entstehen können, wenn zu viele private Informationen über eine Person bekannt sind. Dabei handelt es sich um Internet-Risiken, die in den letzten Jahren vermehrt in medialen Diskursen zirkulierten und über Eltern, Lehrkräfte und andere Bezugspersonen mit erheblicher Wirkungsmacht an die Kinder weitergegeben werden. So benennen diese vor allem Angst vor Einbrüchen oder gewalttätigen Übergriffen als Folge eines fahrlässigen Umgangs mit persönlichen Daten oder einer Kontaktaufnahme mit Fremden. Als unsicher gelten ihnen vor allem diejenigen Online-Angebote, die eine Angabe solcher persönlichen Daten erfordern, wie z. B. die Online-Communitys oder Shopping-Portale. Ferner macht Kindern Angst, dass man im Internet veröffentliche Daten „nie wieder löschen“ kann, dass das Internet „nichts vergisst“ und daher gilt: „Einmal online, immer online“.

Aus Sicht der Jugendlichen ist „privat“ vor allem das, was in den Bereich des Intimen und Peinlichen fällt, also Informationen rund um die eigene Beziehung, Gespräche über Gefühle, wie Sorgen, Ängste oder Schwärmereien. Diese Informationen sind von hoher Sensibilität, ihr Kursieren im Netz stark risikobehaftet – entsprechend fürchten vor allem Jugendliche persönliche Verletzungen aufgrund unfreiwilliger Streuung dieser Informationen. Allgemeine personenbezogene Daten, wie z. B. Geburtsdatum, Wohnort oder Schule gelten als weniger problematisch. Es herrscht großes Unverständnis, was diese Daten angeblich so wertvoll machen soll.

„Ja, so was wie wenn man z. B. Liebeskummer hat oder mit Freunden Streit. Ich finde halt, wie gesagt, wegen dem Risiko, dass im Internet gehackt wird, ist es schon scheiße, wenn man über solche wichtigen Sachen sich da austauscht… oder z. B. wenn man jetzt erwachsen ist, über so was wie Steuersachen, so was sollte man lieber in echt halt bereden, weil im Internet, da steht es ja dann schwarz auf weiß, und wenn dann jemand sich reinhackt und so und der kriegt das dann raus, das ist auch nicht so ganz cool.“ (14-17 Jahre, w)

„Ja also, wenn man Streit hat oder so, würd‘ ich jetzt auch nicht irgendwas posten oder so. Oder wenn die schon jetzt kiffen in meinem Alter oder so, dann posten die manchmal so Sachen und das würd‘ ich auch nicht machen, weil wenn man später arbeitet, man kann ja alles nachvollziehen.“ (14-17 Jahre, w)

Für die jungen Erwachsenen wird die Notwendigkeit des sozialen Online-Austauschs immer essenzieller; ein Leben ohne die einmal etablierten, über Jahre gepflegten Online-Netze ist keine Option. In der Entwicklung hin zu jungen Erwachsenen wird das Themenfeld „Intimes und Peinlichkeiten“ weniger relevant, der Umgang mit den eigenen privaten Informationen wird dabei zu einer kontinuierlichen, pragmatischen Kosten-Nutzen-Abwägung: Welche Informationen sind nötig, um dem Bekanntenkreis zu signalisieren, was gerade im eigenen Leben los ist? Welche Informationen sind bereits zu viel und können eine Belästigung darstellen? Gerade mit zunehmender Verdichtung des Alltags durch neue Aufgaben und veränderte Lebenssituationen (Ausbildung, Arbeit, Studium, neuer Wohnort etc.) entwickelt sich ein immer effizienteres Informationsmanagement. Zu wissen, wann welche Information für wen relevant ist, gilt als Kernkompetenz im Online-Verhalten. Die Regeln für die persönliche Informationspolitik sind ungeschriebene Gesetze, die junge Erwachsene als Selbstverständlichkeiten betrachten und entsprechend rhetorisch kultivieren („ich finde es dumm von manchen Leuten“; „da gibt es ja immer noch so Spezialisten, die…“; „wer so doof ist, dass er…“).

Maxime ist ein Maß an Privatheit in der Online-Welt, das von einem selbst gerade so viele Informationen preisgibt, um Folgendes zu gewährleisten:

  • Zu wissen, was andere von einem wissen (Kenntnis der eigenen Privatsphäre-Einstellungen)
  • Effektiv zu verbreiten, was andere von einem wissen sollen (Streuen von relevanten Informationen an entsprechende Verteiler)
  • Nicht zu verpassen, was man von anderen wissen will (an die persönlich relevanten Informationen wichtiger Kontakte gelangen)

Das differenzierte Abwägen, was im Netz akzeptabel ist und wo entsprechende Grenzen liegen, veranschaulicht auch die folgende Grafik: Allzu Privates gehört nicht in die Online-Chats, jedoch ist ein gewisses Maß an informationeller Freigiebigkeit erforderlich, da ansonsten keinerlei Austausch entsteht und eine Online-Community langweilig wäre.

Privatheit und Online-Communitys

Privatheit und Online-Communitys

Gespräche, die als besonders intim gelten (über Beziehungen, Gefühle, Ängste) oder ernste Themen enthalten (Gesetzesverstöße, Konflikte und Streit), werden sowohl von Kindern, als auch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in aller Regel ungern online geführt.

„Ich finde es richtig dumm von manchen Leuten, wenn die irgendwelche Beziehungsprobleme haben und dann schreiben die so einen monsterlangen Text und alle können es lesen. Und dann schreibt man, ja, lasst das jetzt aber nicht bei Facebook klären! Aber dann haben es alle schon gelesen. Also das würde ich zum Beispiel nur privat klären.“ (14-17 Jahre, w)

„Ja, so was wie wenn man z. B. Liebeskummer hat oder mit Freunden Streit. Ich finde […], sowas sollte man lieber in echt bereden, weil im Internet, da steht es ja dann schwarz auf weiß, und wenn dann jemand sich reinhackt und so, kriegt er das dann raus.“ (14-17 Jahre, w)

„Was ich sinnvoll an Facebook finde, ist ja einfach nur, dass man Freunde miteinander einlädt z. B. zu irgendwelchen Feiern oder so. Und wie gesagt, man verabredet sich vielleicht darüber, aber irgendwie Probleme zu lösen, finde ich, ist komplett schwachsinnig. Vor allem, weil die Angst besteht, […] dass es vervielfacht werden könnte übers Internet.“ (18-24 Jahre, m)

Inhalte von Online-Kommunikation sind wichtiger als persönliche Daten

Einstellungen zum Thema Privatheit im Netz sind eine Seite der Medaille, welche Informationen aber geben junge Menschen in Online-Communitys tatsächlich von sich preis?

Die eigene Privatsphäre im Internet zu schützen, bedeutet für Kinder vor allem, nur wenige Daten ins Netz zu stellen. Sie zeigen sich sehr sensibilisiert für einen vorsichtigen Umgang mit persönlichen Daten, wobei in dieser Altersgruppe vor allem personenbezogene Daten zu den schützenswerten Informationen gehören: Vermieden werden insbesondere die Angabe von Adresse, realem Vorund Zunamen sowie die Veröffentlichung von Fotografien, die das Gesicht frontal zeigen. Ursachen für diese Vorsicht liegen vor allem in der Angst vor physischen Übergriffen oder Stalking – also in der Welt außerhalb des Internets. Ein Bewusstsein für Datenmissbrauch im Internet oder eine kommerzielle Nutzung persönlicher Informationen entwickelt sich bei Kindern erst nach und nach. Des Weiteren übernehmen häufig die Eltern Privatsphäre- und Sicherheitseinstellungen zum Beispiel bei Online-Communitys. Dieses Thema ist daher für Kinder selbst noch nachrangig. Bei Nennung des Stichworts „Privatsphäre“ im Internet assoziieren Jugendliche und junge Erwachsene vor allem Privatsphäre-Einstellungen in Online-Communitys – insbesondere Einstellungen bei Facebook. Sie denken dabei somit vor allem an technische Optionen, die aktiviert oder deaktiviert werden können. Folglich besteht sogar die Möglichkeit, „seine Privatsphäre auszuschalten“.

„Die einzige Einstellung, die ich gemacht habe, ist, dass Leute, mit denen ich nicht befreundet bin, nicht meine Fotos angucken können, die ich an die Pinnwand schreibe. Weil, keine Ahnung, ist jetzt nicht böse, aber ich kenne sie hier nicht und die muss dann nicht unbedingt lesen, was andere Leute unter meine Bilder schreiben, weil sie da ja schon wieder mehr über mich weiß. Das ist mir wichtig, dass fremde Leute da nicht einfach… ja.“ (14-17 Jahre, w)

„Also mir ist es sehr wichtig, dass ich da privat …, also dass z. B. nur meine Freunde das sehen können. Es gibt ja auch welche, die das eingestellt haben, dass jeder das sehen kann. Aber so was mag ich nicht. Ich finde, das geht Leute nichts an, was ich poste oder so, die ich nicht kenne.“ (18-24 Jahre, w)

Unterschieden werden Angaben persönlicher Daten wie Name, Alter, Wohnort und die Sichtbarkeit von Inhalten (Posts, Markierungen). Die erstgenannten personenbezogenen Daten gelten, wie eingangs erwähnt, unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht unbedingt als schützenswert. Den Zugang zu Posts, Fotos und der eigenen Chronik limitieren hingegen fast alle. Diese Inhalte sind in der Regel nur für Freunde und/oder Freunde von Freunden sichtbar. Nicht alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen laden darüber hinaus überhaupt Bilder hoch.

Zudem gibt es Unterschiede in der Art der Inhalte: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit niedrigem formalem Bildungsgrad informieren eher über Beziehungsstatus, Lieblings-TV-Shows und Computerspiele; diejenigen mit höherem formalen Bildungsgrad über Schule/Universität, Sprachen und Bücher.

Persönliche Angaben bei Facebook

Persönliche Angaben bei Facebook

Auch wenn sich hier ein differenziertes Bild ergibt, betonen insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene in den qualitativen Gesprächsrunden, dass es in punkto Privatsphäre weniger um die Angabe formaler Daten (Wer kennt meinen Geburtstag oder meinen Lieblingsfilm?), sondern vielmehr um den Inhalt ihrer Online-Kommunikation geht. Schützenswert ist vor allem, was zu wem gesagt wird. Befürchtet wird insbesondere, dass online geführte Gespräche mit (engen) Freunden öffentlich werden (z. B. via Screenshots, also Bildschirmfotos, von Chats, die dann massenhaft verbreitet werden). Der Inhalt der Gespräche, die Jugendliche bzw. junge Erwachsene mit Freunden führen – egal ob online oder offline – ist aus ihrer Sicht das, was unter den Schutz der Privatsphäre fallen sollte. Entlang dieser Maßgabe wird auch festgelegt, was man online eher nicht besprechen würde, weil man entweder das Gefühl hat, dass eine mediatisierte Kommunikationssituation dem Anlass nicht gerecht wird oder die Gefahr besteht, dass die Inhalte öffentlich werden könnten.

Wenn von Öffentlichkeit die Rede ist, denken Jugendliche und junge Erwachsene nicht an eine mögliche Überwachung durch Staaten, ein Mitlesen und Datensammeln von Unternehmen oder anderen institutionalisierten Speicherungsverfahren, sondern in erster Linie an ihre Peergroup und damit an die Reputation innerhalb ihres Netzwerks.

Dass Jugendliche und junge Erwachsene die reine Angabe von persönlichen Daten beim Schutz der eigenen Privatsphäre nur bedingt für relevant halten, zeigt sich auch daran, dass kaum Vorbehalte gegenüber personalisierter Werbung geäußert werden. Dass Unternehmen die Online-Aktivitäten von Nutzern verfolgen und für zielgruppenspezifische Angebote einsetzen, ist ihnen in der Regel bewusst. Für die allermeisten ist das kein Grund zur Aufregung. Im Gegenteil, man sieht durchaus Vorteile. In der qualitativen Erhebung hat sich am Beispiel der personalisierten Werbung gezeigt, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene eine pragmatische Einstellung zur kommerziellen Verwertung persönlicher Daten sowie ihrer Nutzerdaten und -profile haben. Sie sehen vor allem den praktischen Nutzen personalisierter Werbung. Kritik an der Personalisierung wird lediglich von zwei U25-Internet-Milieus geäußert: Souveräne und Skeptiker beziehen hier eine eindeutige Gegenposition.

„Ist doch gut, ich sehe das dann direkt, wird mir sozusagen vor die Nase geschoben.“ (18-24 Jahre, m)

„Ich muss sagen, ich finde es eher zweideutig. Also an sich finde ich schon ätzend […] Auf der anderen Seite, es interessiert mich ja schon irgendwie. Angenommen ich suche irgendwas für mein Fahrrad, und weiß aber nicht richtig, wo ich suchen soll, dann ist das quasi schon wieder eine Hilfe.“ (18-24 Jahre, m)

„Mich stört das schon, auf jeden Fall, und ich habe halt auch so einen Ad-Blocker, deswegen kriege ich da eigentlich nicht so viel mit. Ansonsten ist es ja teilweise wirklich ganz schön schlimm so, mit auch so Pop-ups und so, was da alles aufblinkt.“ (14-17 Jahre, w)

Insgesamt zeigt sich, dass bei den Kindern noch eine gewisse Vorsicht hinsichtlich Privatsphäre-Themen besteht, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehen dieses Feld zunehmend pragmatisch und haben sich im Alltag zum Teil mit einem gewissen Widerspruch arrangiert: Zum einen sind sie eher der Meinung, dass man einfach damit rechnen muss, dass die eigenen Daten im Netz weitergegeben werden, zum anderen glauben sie aber gleichzeitig, dass sie ihre Privatsphäre in Online-Communitys ausreichend schützen können.

Privatsphäre in Online-Communitys

Privatsphäre in Online-Communitys

In den qualitativen Befunden hat sich gezeigt, dass die Wirksamkeit der genutzten Privatsphäre-Einstellungen bei Online-Communitys vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen selten überprüft wird. Eine tiefere Auseinandersetzung mit Schutzoptionen, die „da irgendwo versteckt“ sind, findet kaum statt. Listen zur Organisation von Freunden und zum „Mikromanagement“ von Posts werden dementsprechend nicht breit genutzt. Das bedeutet in erster Linie für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen: Schutz der Privatsphäre im Internet ist anstrengend – häufig zu anstrengend.

Gestaltung der Privatsphäre

Gestaltung der Privatsphäre