1. Einleitung

Tagtäglich vertrauen wir anderen Menschen unser Leben an: Wir vertrauen dem Elektriker, der uns einen Herd anschließt, den Mitarbeitern des Lebensmittelgeschäfts, bei dem wir einkaufen, oder den Autofahrern, wenn wir bei Grün eine Straße überqueren. Vertrauen hilft uns, den Risiken des Alltags entgegenzutreten und die sozialen Komplexitäten im Umgang mit anderen zu reduzieren (Luhmann 1979). Es ist der soziale Kitt unserer Gesellschaft.

Auch jeder ökonomischen Transaktion liegt Vertrauen zugrunde. Ein Vertrag – egal ob zwischen
zwei Personen oder Organisationen abgeschlossen – wird immer unvollständig bleiben, auch wenn die technischen und juristischen Spezifikationen Hunderte von Seiten umfassen. Es bleibt stets das Restrisiko eines unvorhergesehenen Ereignisses. Und selbst wenn es gelänge, vollständige Verträge zu verfassen, müssten exorbitant hohe Kosten für eine permanente Kontrolle jedes noch so kleinen Details aufgewendet werden.

Vertrauen steht als Untersuchungsgegenstand bereits seit Jahrzehnten im Zentrum des Interesses zahlreicher wissenschaftlicher Disziplinen. Auch die wirtschaftswissenschaftliche Forschung hat sich des Themas Vertrauen sowohl theoretisch als auch im Rahmen zahlreicher empirischer Untersuchungen angenommen. Als unumstritten gilt heute, dass Vertrauen insgesamt zu besseren ökonomischen Ergebnissen führt: Vertrauen fördert das Wirtschaftswachstum eines Landes, die Entwicklung der Finanzmärkte, den internationalen Handel und erleichtert einzelne Transaktionen (u.a. Arrow 1974, Berg et al. 1995, Fukuyama 1996, Knack und Keefer 1997, Camerer 2003, Johnson und Mislin 2011). Auch die Führungs- und Managementliteratur schreibt Vertrauen eine bedeutende Rolle zu: Vertrauen steigert die innerbetriebliche Effizienz, verringert Kontroll- und Transaktionskosten, fördert die intrinsische Motivation und erleichtert Internationalisierungsbestrebungen (u.a. Mishra 1996, Fehr und Gächter 2000, Schweer und Thies 2003). Vertrauen ist zudem Erfolgsfaktor jeder Handels- und Absatzmaßnahme. Kunden und Firmen kaufen Produkte und Dienstleistungen nur dann, wenn sie darauf vertrauen, dass diese die gewünschten Eigenschaften und Qualitäten aufweisen (u.a. Gräbner-Krauter 2001).

Ziel des vorliegenden Überblicks ist es, den Untersuchungsgegenstand „Vertrauen“ aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive zu beleuchten und zentrale Befunde der wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagenforschung vorzustellen. Im Zentrum stehen dabei die Treiber für Vertrauen, d.h. Parameter, die die individuelle Entscheidung einer Person begünstigen, einer anderen Person oder Organisation zu vertrauen. Der Überblick stützt sich auf eine Vielzahl verhaltensökonomischer Befunde und Studien der Organisationsforschung. Ein spieltheoretisches Modellgerüst, das zugrunde liegende Anreize und Risiken einer Vertrauensbeziehung präzise abbildet, hilft, die Ergebnisse aus beiden Forschungssträngen zu organisieren.

Der Überblick ist wie folgt aufgebaut: Abschnitt 2 definiert Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit und bettet die Vertrauensbeziehung in ein spieltheoretisches Modellgerüst ein. Abschnitt 3 erläutert Treiber für Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit auf Grundlage verhaltensökonomischer Literatur. Abschnitt 4 stellt drei zentrale Vertrauenskonstrukte der Organisationsforschung vor und diskutiert die entsprechende Literatur. Abschnitt 5 fasst die wesentlichen Erkenntnisse zusammen.