6.3 Die aktuelle Vertrauenslage in virtuellen Arbeits- und Kooperationsformen

Angesichts der Relevanz vertrauensvoller Arbeitsbeziehungen in virtuellen Umgebungen und dem zugleich wachsenden Einsatz virtueller Arbeitsformen ist es bedeutsam, die aktuelle Vertrauenslage zu bestimmen und Ansatzpunkte zur Förderung des Vertrauens in virtueller Zusammenarbeit zu entwickeln.

Will man die Vertrauenslage in virtuellen Arbeitsformen erfassen, müssen zwei wesentliche Vertrauenskomponenten unterschieden werden (Hertel, 2002): Zum einen gilt es, das interpersonale Vertrauen in die anderen Gruppenmitglieder zu erfassen. Zum anderen ist die Erfassung des systembezogenen Vertrauens in virtuellen Kontexten bedeutsam. Hierbei geht es um die Frage, inwiefern der Technik sowie Strukturen und Arbeitsroutinen vertraut wird (Hertel, 2002; Konradt & Hertel, 2007).

Hinsichtlich des interpersonalen Vertrauens in traditionelle Formen der Zusammenarbeit scheint das Vertrauen der Deutschen in ihre Kollegen und Arbeitgeber eher gering ausgeprägt zu sein. Nur 14,3 Prozent der Befragten gaben an, ihren Kollegen zu vertrauen, nur 8,3 Prozent vertrauten ihrem Arbeitgeber (ARAG, 2010). Repräsentative Befragungsstudien zum interpersonalen Vertrauen in virtuellen Arbeitsformen in Deutschland liegen nach dem Kenntnisstand der Autoren bislang nicht vor. In experimentellen Studien im Labor hingegen konnte bereits mehrfach gezeigt werden, dass das Vertrauen in das Team geringer ausgeprägt ist, wenn Personen nicht persönlich, also face-to-face, sondern mittels elektronischer Medien zusammenarbeiten (z. B. Bos, Olsen, Gergle, Olson & Wright, 2002; Rocco, 1998). In einer Studie, in der Personen über einen längeren Zeitraum zusammenarbeiteten, zeigte sich jedoch, dass das anfängliche geringere Vertrauen in virtuellen Teams mit der Zeit anstieg und nach drei Wochen genauso hoch ausgeprägt war wie in den Teams, die im selben Raum zusammen arbeiteten (Wilson, Straus, & McEvily, 2006).

Auch das systembezogene Vertrauen wurde in Umfragestudien bislang nur wenig untersucht. Die Ergebnisse einer aktuellen BITKOM-Studie von 2012 belegen, dass im Arbeitskontext dem Internet eher wenig vertraut wird: Der Umfrage zufolge speichern oder veröffentlichen 22 Prozent der Befragten in ihrem Beruf Daten und Inhalte im Netz. 15 Prozent der Befragten nehmen die Veröffentlichung ihrer Daten im Netz jedoch als „völlig unsicher“ und 44 Prozent als „eher unsicher“ wahr (BITKOM, 2012b).

Befragungen zum Vertrauen in die E-Mail-Kommunikation am Arbeitsplatz zeigen ambivalente Ergebnisse. Auf der einen Seite sehen Arbeitnehmer viele Vorteile in der E-Mail-Kommunikation, einige jedoch bringen dieser Kommunikationsform auch Misstrauen entgegen: 59 Prozent der Befragten gaben an, dass die E-Mail-Kommunikation am Arbeitsplatz die Teamarbeit verbessert hat. Sogar 72 Prozent der Befragten sagten, dass sich durch den E-Mail-Verkehr die Kommunikation mit Kollegen erhöht hat. Hingegen gab jeder Fünfte der Befragten an, dass E-Mails zu Missverständnissen am Arbeitsplatz und die E-Mail-Kooperation zu mehr Stress in ihrem Arbeitsleben geführt haben (Pew Internet and American Life Project, 2002).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese ersten Studien darauf hindeuten, dass im virtuellen Arbeitskontext das Vertrauen sowohl in Kollegen als auch in die technischen Systeme eher gering ausgeprägt ist. Gleichzeitig ist jedoch festzuhalten, dass bisher nur wenige repräsentative Studien existieren, die das Vertrauen im virtuellen Arbeitskontext beleuchten. Wichtig wäre sowohl die Erfassung subjektiver Vertrauens- wie auch Risiko-Einschätzungen mittels Fragebogen-Techniken sowie auch die Erfassung objektiver Daten zum aktuellen Vertrauensverhalten in virtuellen Arbeitsformen, um ein umfassendes Bild von der Vertrauenslage in virtuellen Arbeitsformen zu erhalten. Aufschlussreich wären hierbei Kennzahlen darüber, wie viele Menschen sich bewusst für oder gegen eine virtuelle Zusammenarbeit entschieden haben, wie viele persönliche und arbeitsbezogene Informationen auf virtuellem Wege mit Kollegen ausgetauscht werden oder aber in welchem Ausmaß Personen virtuelle Tools nutzen, um ihre Kollegen zu kontrollieren.

Auf Grundlage der bisherigen Datenlage sowie auf der Basis experimenteller Studien lässt sich zugleich schlussfolgern, dass Unternehmen bei der Entwicklung sowie dem Einsatz neuer Technologien eine Förderung des Vertrauens zwischen den Teammitgliedern besonders berücksichtigen sollten, um damit gleichsam auch die Effektivität virtueller Arbeit zu steigern. Dies kann beispielsweise durch die Sicherstellung häufiger und regelmäßiger Kommunikation zwischen den Teammitgliedern (Henttonen & Blomqvist, 2005; Jarvenpaa, Knoll & Leidner, 1998), das zeitnahe Antworten auf Anfragen per E-Mail sowie die Einhaltung von Versprechen und Deadlines (Aubert & Kelsey, 2003; Henttonen & Blomqvist, 2005) gelingen. Nicht zuletzt spielt wie in anderen Anwendungsbereichen auch in virtuellen Teams das Erleben von Kompetenz, Zuverlässigkeit, und Wohlwollen der Teamkollegen eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung von Teamvertrauen (z. B. Jarvenpaa, Knoll & Leidner, 1998; Robert, Dennis & Hung, 2009; Rico, Alcover, Sánchez-Manzanares & Gil, 2009).